UN-Reform
Einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zufolge hat der italienische UN-Botschafter Marcello Spatafora hatte in der Nacht zum Mittwoch bei der Vorstellung des Resolutionsentwurfes der Ländergruppe "Geeint für Konsens" gesagt, die G4-Staaten hätten einigen UN-Mitgliedsländern mit dem Streichen von finanziellen Hilfen gedroht, sollten diese in der UN-Vollversammlung nicht für die Resolution der G4 zur Erweiterung des Rates stimmen.
Zu einer Vergrößerung des UN-Sicherheitsrates von derzeit 15 auf 25 oder 26 Mitglieder bedarf es der Zustimmung von 128 der 191 Mitgliedstaaten. Ohne zu konkretisieren, welcher Staat der G4 welches Entwicklungsland unter Druck gesetzt habe, sagte Spatafora: "Genug ist genug. Ich meine damit das Ausüben von finanziellem Einfluß und finanziellem Druck, um eine Regierung dazu zu bewegen, sich einer bestimmten Position anzuschließen oder nicht anzuschließen."
So habe ein Staat der G4 mit der Einstellung eines Entwicklungshilfeprojektes für Kinder mit einem Volumen von 460.000 Dollar gedroht, sollte die Regierung dem UN-Vertreter dieses Staates nicht Weisung geben, in New York für den Resolutionsentwurf der G4 zu stimmen. Spatafora sprach in dem Zusammenhang von einer Schande und forderte UN-Generalsekretär Kofi Annan auf, den Vorfall zu untersuchen.
Scharfe Kritik auch von Pakistan und Mexiko
In der vergangenen Woche hatte der UN-Botschafter Pakistans, Munir Akram, ähnliche Vorwürfe gegen Deutschland und Japan erhoben. Es sei "kein Geheimnis", daß Zwangsmittel eingesetzt würden.
Der mexikanische UN-Botschafter Enrique Berruga sprach von "zahlreichen Fällen" in Mittelamerika und in der Karibik, bei denen mit der Drohung, etwa ein Trinkwasserprojekt nicht weiter zu unterstützen, den Regierungen armer Länder "der Arm verdreht" worden sei. Italien, Mexiko und Pakistan sind die maßgeblichen Unterstützer der Resolution der Ländergruppe "Geeint für Konsens", die eine Erweiterung des Rates um zehn nichtständige Mitglieder vorsieht.
UN-Reform: Friedensbewegung fürchtet Ermächtigung für Präventivkriege
Angesichts der Auseinandersetzungen um die Macht im Weltsicherheitsrat gehen in der Medienberichterstattung geplante inhaltliche Neuerungen weitgehend unter. Beispielsweise befürchtet der deutsche Friedensforscher Peter Strutynski, dass im Zuge der UN-Reform künftig Präventivkriege im Namen der Vereinten Nationen ermöglicht werden könnten (ngo-online berichtete). Er bezieht sich hierbei auf das von UN-Generalsekretär Kofi Annan am 21. März vorgelegten Strategiepapiers "In größerer Freiheit" zur Reformierung der Vereinten Nationen.
In Ziffer 125 des Papiers heißt es dazu: "Wenn es sich nicht um eine unmittelbar drohende Gefahr, sondern um eine latente Bedrohung handelt, überträgt die Charta dem Sicherheitsrat die volle Autorität für die Anwendung militärischer Gewalt, auch präventiv, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren." Sollte sich diese Auffassung durchsetzen, fielen die Vereinten Nationen nach Auffassung des Friedensforschers Peter Strutynski "nicht nur hinter die eigene UN-Charta, sondern auch hinter den Kellogg-Pakt aus dem Jahr 1928 zurück, in dem die Vertragsstaaten erstmals den Krieg geächtet hatten."
Auch der Koordinator für der Linksfraktion (GUE/NGL) im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des EU-Parlaments, Tobias Pflüger, wandte sich unlängst gegen diese UN-Reform: "Wer Präventivkriege mit UN-Mandat für die Zukunft gutheißen möchte, tritt das Völkerrecht mit Füßen", so Pflüger. "Eine solche Reform der UN wird dazu führen, dass das Recht des Stärkeren auch noch mit den Weihen der Vereinten Nationen versehen wird. Mit einer solchen UN-Reform würde das gefährliche Präventivkriegskonzept unterstützt, eine solche 'Reform' ist ein regelrechtes Kriegsunterstützungsprogramm."
UN-Soldaten im Einsatz: Zum Beispiel im Kongo
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist beispielsweise eine militärische Aktion von UN-Blauhelmsoldaten im Kongo am 1. März 2005. Bei dem Angriff auf ein Milizenlager in der nordostkongolesischen Region Ituri sollen mindestens 50 Milizionäre getötet worden. Der Angriff der Vereinten Nationen, der nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) von dem niederländischen General Patrick Cammaert geplant worden war, richtete sich gegen ein Lager der Miliz "Front nationaliste et intégrationiste" (FNI) in der Nähe der Ortschaft Loga, rund 30 Kilometer außerhalb der Regionalstadt Bunia.
Der französische Generalstabschef der UN-"Mission" für Kongo (MONUC), Jean-François Collot d'Escury, machte deutlich, dass es sich bei dem UN-Angriff um einen Racheakt handelte: die Milizenführer in Ituri würden von der UN für die Ermordung von neun Blauhelmsoldaten in der vergangenen Woche verantwortlich gemacht. Der Angriff auf die Milizen sei eine "direkte Antwort auf die Ermordung der neun Soldaten", so der UN-General laut FAZ.
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes vom 4. Oktober 2004 ist Deutschland der drittgrößte Beitragszahler für den MONUC-Einsatz. In einer Pressemitteilung vom 31. März 2005 begrüßte die deutsche Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, "ausdrücklich" das "resolute Vorgehen" der Vereinten Nationen. Nach Auffassung Müllers "muss das robuste Mandat von MONUC voll ausgeschöpft werden, wie es auch vom Sicherheitsrat in seiner neuen Resolution gefordert wird. Ich begrüße daher auch ausdrücklich das jüngste resolute Vorgehen MONUCs im Distrikt Ituri, das ein klares Signal an alle Friedensstörer ausgesandt hat."
"Begehrlichkeiten der Kolonialherren"
Hintergrund der kriegerischen Auseinandersetzungen unter Beteiligung von UN-Soldaten im Kongo könnte der Rohstoff-Reichtum des Entwicklungslandes sein. Nach einem Bericht der österreichischen Zeitung "Der Standard" vom 18. Januar 2001, ist der Krieg im Kongo ein "Verteilungskrieg" um den ungeheuren Reichtum des Kongo. "Diamanten, Kupfer, Kobalt, Gold, seltene Erden, Edelhölzer - riesige Mengen leicht abbaubarer, gut absetzbarer Rohstoffe haben schon vor hundert Jahren die Begehrlichkeiten der damaligen belgischen Kolonialherren geweckt", schreibt die Zeitung. "Fast 40 Jahre lang konnte der Diktator Mobutu Sese Seko die Verteilung der Schätze unter seinen Anhängern und internationalen Konzernen kontrollieren. Seit seinem Sturz 1997 hat sich eine Vielzahl von Interessenten auf den Kongo gestürzt."
In seiner "Außenpolitischen Strategie zu Zentralafrika" vom Januar 2004 schreibt auch die deutsche Bundesregierung von einem "Krieg der Rohstoffe". Das Auswärtige Amt weiß: "Die Demokratische Republik Kongo ist reich an Bodenschätzen, fruchtbaren Böden, tropischen Nutzhölzern und verfügt über ein gewaltiges Potenzial an hydroelektrischer Energie". Weiter heißt es auf der Website des Ministeriums. "Das enorme wirtschaftliche Potenzial des Landes" habe seit der Unabhängigkeit "nie voll ausgeschöpft werden" können. Die wichtigsten Exportprodukte seien Kupfer, Industriediamanten, Kobalt, Gold, Erdöl, Kaffee, Palmöl, pharmazeutische Pflanzen und Tropenholz.