Diese Gegendemonstrationen hatten Raum und diesen haben sie sich genommen. Der Umgang zwischen Polizei und Demonstrierenden war in diesem Jahr oft geprägt von Gelassenheit. Am Bahnhof Neustadt, in der Nähe der von den Nazis zerstörten Synagoge und gegenüber dem Gemeindezentrum der jüdischen Gemeinde, hielten die Gegendemonstrierenden den Platz vor dem Bahnhof und die Ausgänge des Bahnhofs besetzt, um der von der extremen Rechten dort gewünschten Demonstration keinen Raum zu geben.
Vormittags gab es jedoch in der Innenstadt Richtung Stadtfeld einen polizeilichen Angriff auf eine Spontandemonstration. Ohne polizeiliche Vorwarnung, ohne vorhergehende Aufforderung stürmte eine Berliner Hundertschaft in die Demonstration, teilte Faustschläge und Fußtritte aus, um ein Transparent zu beschlagnahmen, das kurze Zeit später zurückgegeben wurde. Einige Zeit später drangen Polizeieinheiten in diese Versammlung ein, um Einzelne herauszuzerren, Personalien festzustellen und in Gewahrsam zu nehmen. Eine potentiell eskalierende und unverhältnismäßige Maßnahme.
Der mittags von den Nationalisten angestrebte Ort Herrenkrug, auf der anderen Elbseite, konnte von ihnen nicht erreicht werden. Viele Gegendemonstrierende hatten sich in Richtung Elbbrücken in Bewegung gesetzt. Einige waren kurzzeitig auf die Bahnbrücke gelangt, so dass ein Zug anhalten musste und der Zugverkehr zunächst unterbrochen werden musste. Dies betraf auch den Zug der Nationalisten, der auf dem Gleis am Bahnhof Neustadt in Richtung Herrenkrug stehenbleiben musste, um dann wieder zurückzufahren.
Als nachmittags bekannt wurde, dass die „Gedenkmarschierer“ im Süden der Stadt, ausgehend vom SKET-Bahnhof, demonstrieren würden, versuchte die Polizei, diese Region weiträumig abzusperren. Protest in Sicht- und Hörweite ist in Magdeburg politisch nicht gewollt. Der Hauptzug der Demonstrierenden samt Lautsprecherwagen wurde weit entfernt vom SKET-Bahnhof polizeilich gestoppt. Gruppen, die in dieses Areal vorgedrungen waren, wurden polizeilich heraus gedrängt. Protest muss aber – wie in anderen Städten – auch in der Nähe des Geschehens, gegen das er sich wendet, möglich sein. Dennoch waren einige Gegendemonstrierende auch bis in die Nähe dieses nationalistischen Marsches vorgedrungen. Mit ihrem friedvoll-protestierenden Verhalten machten sie deutlich, dass auch dies möglich ist.
Immer wieder beobachteten wir verschiedene Länderpolizeien, auch mit der Bundespolizei kooperierend, die sachlich mit dem Protest und ihrem Auftrag, die Gruppen auseinanderzuhalten, umgingen.
Die über zwanzig Fest- oder Ingewahrsamnahmen machen jedoch deutlich, dass auch unverhältnismäßig gegen Einzelne vorgegangen wurde. Vor allem all diejenigen, die dem polizeilichen Feindbild „der Autonomen“, „des schwarzen Blocks“ entsprechen, sind von polizeilicher Gewalt bedroht. Auch das oft martialische Auftreten der Polizei mit Helmen und gepanzerter Schutzkleidung bis hin zum Einsatz einer Pferdestaffel war angesichts der Friedlichkeit des Protestes überflüssig.
Der Ausnahmezustand wurde auch daran deutlich, dass der Hauptbahnhof fast den ganzen Tag weitgehend abgeriegelt war. Über lange Zeit wurden Personen, die die Polizei relativ willkürlich den Demonstrierenden zurechnete, nicht in den Bahnhof hineingelassen.
Die Besonnenheit der vielen Demokraten ließ an diesem Tag den Protest überall in der Stadt sichtbar werden. Letztes Jahr war genau dies nicht möglich. Dennoch wurde auch in diesem Jahr den Nationalisten eine Demonstration ermöglicht und ein Gegenprotest in Sicht- und Hörweite weitgehend unterbunden. Darum muss weiterhin gestritten werden.