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Gespräche über Menschenrechte und Demokratie

Reise nach Marokko - Demokratie und Menschenrechte

Am

Wie sehen engagierte Marokkaner_innen ihr Land? Als positive Ausnahme unter den arabischen Län­dern (éxception marocaine) wie der König und die staatlichen Medien? Als einen Ort, in dem Angst vor Spitzeln und Geheimpolizei allgegenwärtig ist? Glauben sie dass Nicht­regierungsorganisationen (NGOs) viel bewirken können im Hinblick auf Gerechtigkeit? Und wie sehen speziell Frauen ihre Lage? Antworten auf diese Fragen zu erhalten ist wegen der beschränkten Meinungsfreiheit äußerst schwierig. Vom 22. bis 26. September 2013 führte die Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland (IJAB) einen Study Visit nach Rabat, der Hauptstadt von Marokko, durch. Daran nahmen 11 Vertreter_innen aus der deutschen Jugendarbeit und Jugendbildung teil. Sie kamen in Kontakt zu vielen Akteur_innen von NGOs und der staatlichen Ebene, um sich zu informieren und eine Basis für eine zukünftige Zusammenarbeit herzustellen. Ich nahm als Vertreterin des AKE-Bildungswerks daran teil und berichte in drei Teilen darüber. (Foto: Stadtmauer von Rabat)


Gespräch mit Vertreter_innen in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rabat

Im Gespräch mit Vertreter_innen von NGOs in der Friedrich-Ebert-Stiftung Rabat, Foto: Elke Michauk, CC BY-NC-SA

Die deutsche Bundesregierung lobt die Stabilität Marokkos

Schon am Flughafen Frankfurt hatte ich einen Vorgeschmack auf Marokko, als ich mich mit ei­nem jungen seit zehn Jahren in Deutschland lebenden marokkanischen Verkäufer unterhielt. Er war ganz begeistert von seinem Land und stolz. Gerade angesichts der vielen Toten und Ver­letzten in anderen arabischen Ländern freue er sich, dass Marokko von einer solchen Entwick­lung verschont geblieben sei und sich das Land gut entwickele. Ähnliches war auch bei einigen Gesprächen mit Vertreter_innen zivilgesellschaftlicher Organisationen in Rabat zu hören. Waren wir in großer Runde folgte darauf dann ein großes Lob für König Mohammed VI, der bei den De­monstrationen 2011 genau das richtige getan habe und kurzfristig eine neue fortschrittliche Ver­fassung präsentiert habe. Diese Verfassung müsse jetzt allerdings noch umgesetzt werden und das sei die Aufgabe von allen Marokkaner_innen. Ähnlich verhält sich die deutsche Bundesregierung: „Die deutsche Seite begrüßt die wichtige Rolle, die Marokko in Bezug auf Stabilität, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung in der Region Nordafrika spielt.“ (Er­klärung von Rabat von September 2013).

Demonstrationen im März 2011

Demonstration am 20. März 2011 in Rabat

Kann jedoch ein Staat, der ein anderes Land völkerrechtswidrig besetzt (Westsahara7 ), ein Stabilitätsfaktor sein? Oder ist die Gewalt des Staatsapparats gegen Migrant_innen, Demonstrant_innen und viele an­dere sowie die gesellschaftliche Gewalt gegen Frauen und der um sich grei­fende Rassismus ein Zeichen für Stabilität? Und kann überhaupt eine Diktatur Stabilität versprechen? Guido Stein­berg vom Institut für Wissenschaft und Politik kritisiert, dass die deutsche Politik im arabischen Raum „weiter auf enge Beziehungen zu Diktatoren [setzt], ohne Lehren aus den Umbrüchen zu ziehen.“8

Regierung als Sündenbock der Monarchie

In Medien wird viel über das marokkanische Parlament geschrieben sowie über den Ministerprä­sidenten Benkirane und die neue Regierung nach der Regierungskrise im Sommer. Auch bei unseren Ge­sprächskreisen war davon die Rede. Jedoch ist Marokko nach wie vor meilenweit entfernt von einer Demokratie. Mohammed VI. ist sogar nicht nur weltlicher Herrscher, sondern auch nach der neu­en Verfassung zusätzlich der Führer der Gläubigen – und das in einem Land, in dem fast alle Einwohner_innen Muslime sind. Parlament und Regierung können keine wichtigen Entscheidung­en treffen. Ohne den König läuft in Marokko nichts und die Regierung hat somit die Rolle eines Sündenbocks für alles, was sich in der Monarchie schlecht entwickelt und insbesondere auch für schlechte Politik des Königs, so ein Marokkaner. Die neue Verfas­sung wurde deswegen von der Bewegung des 20. Februar (M20F), einem Zusam­menschluss verschiedener NGOs, die an diesem Tag im Jahr 2011 gemeinsam gegen das Re­gime demons­trierten, abgelehnt.

In einem Vieraugengespräch wurde eine Abschaffung der Monarchie als längerer Prozess ange­sehen. Zu groß ist auch bei Gegnern der Monarchie die Befürchtung, dass dies momentan zu Ge­walt zwischen Islamisten und anderen führen würde. Ägypten oder gar Syrien und Libyen sind abschreckende Beispiele.

Menschenrechtsthemen

Bereits ganz am Anfang unserer Study Visit – bei dem Briefing durch den Deutschen Botschaft­er Herrn Dr. Michael Witter – hörten wir, dass es drei Tabuthemen in Marokko gäbe: Islam, Kö­nig und Westsahara. Eine Meinungsäußerung zu diesen Themen kann zu einer Verhaftung oder einer anderen Form der Einschüchterung füh­ren. Häufig sei außerdem gar nicht wirklich klar, was gesagt werden dürfe. Diese Schwierigkeit äußerte eine Teilnehmerin sogar in größerer Runde erstaunlich offen.

Die Pressefreiheit ist erheblich eingeschränkt. Journalisten werden bedroht oder gar angeklagt und inhaftiert. Rundfunk und Fernsehen liegen komplett in staatlicher Hand.

Offiziell gibt es keine politischen Gefangenen, nur kriminelle. Meist ist die Anklage vorgescho­ben. So werden Menschen­rechtsaktivisten z. B. angeklagt und verurteilt wegen Drogenbesitz, Körperverletzung oder terro­ristischer Aktivitäten. Gesagt wurde uns, dass es zurzeit 20 politi­sche Gefangene gäbe. Aller­dings ist allein von mehr als 20 sahrauische politischen Gefangenen zu lesen9 , so dass die uns genannte Zahl sich vielleicht ausschließlich auf Marokkaner_in­nen bezieht.

Kurz nach Beendigung unserer Stu­dy Visit kamen drei weitere Gefangene dazu: junge 14-15-jährige, die wegen eines Kussfotos verhaftet wurden. Chakib Al-Khayari, der Präsident der marokkanischen Menschenrechtsgruppe ADRH-RIF kritisierte, dass "es in diesem Land ein Verbrechen ist, ein Mädchen zu küssen, aber nicht, es zu schlagen".10

Demonstrationen Januar 2013

eine Demonstration im Januar 2013

Das Demonstrationsrecht ist erheblich eingeschränkt. Demonstrant_innen laufen Gefahr, verhaf­tet, verletzt oder sogar erschossen zu werden. Attac Marokko prangerte Anfang des Jahres eine umfassende Unterdrückungswelle an. "Das äußert sich in brutalen Einsätzen gegen Demonstrationen und Sit-ins, in der Inhaftierung und gerichtlichen Verfolgung von Aktivisten, in Einschüchterungen aller Art. Der Staat versucht ein Klima des Schreckens zu errichten und die Widerstandsbewegungen zu kriminalisieren."11

In Einzelgesprächen wurde die Menschenrechts­situation stark kritisiert. Deutschland erschien dabei als gelobtes Land. Marokkaner_innen waren überrascht zu hören, dass exzessive Gewalt gegen Demonstrant_innen auch bei uns anzutref­fen ist – wie z. B. bei Blockupy in Frankfurt – und es auch in anderer Hinsicht Kritik von Amnesty International an Deutschland gibt.

Zivilgesellschaft und NGOs

Empfang beim Oberbürgermeister von Sidi Allal Bahroui, Herrn Ahmed Ghizlan, und Mitgliedern des Stadtrats

Jugendzentrum in Sidi Allal Bahroui, einer kleinen Stadt ca. 30 km von Rabat entfernt. Wir sind bei einem Empfang des Oberbürgermeister Herrn Ahmed Ghizlan und Mitgliedern des Stadtrats und tauschen uns mit ihnen und mit Jugendlichen aus.

Überall in Marokko entstanden in den letzten Jahren NGOs, die sich für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen sowie für soziale und politische Belange engagieren. Insbesondere sind dies Gruppen, die in sozialen, ökonomischen, kulturellen Bereichen sowie im Frauen-, Bildungs- und Freizeitbereich tätig sind. Bei unserem interessanten Study Visit lernten wir viele NGOs ken­nen. Getroffen haben wir uns mit ihnen entweder in speziellen Häusern, die der Staat seit einig­en Jahren für Vereine zur Verfügung stellt, in Hotels oder der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Ein großer Teil der Zivilgesellschaft war von unseren Begegnungen von vorneherein ausgeschlossen – nämlich diejenigen, die kein Franzö­sisch sprechen, da wir die meiste Zeit keine Arabisch-Dolmetscher_in zur Ver­fügung hat­ten. Des weiteren hatte ich den Eindruck, dass marginalisierte Marokkaner_innen kaum zu un­seren Gesprächspartner_innen gehörten (unter anderem sicher auch wegen der Sprache). Außerdem waren viel weniger Frauen ver­treten als Männer.

Es gibt Gruppen, die nicht als Vereine anerkannt werden, wodurch sie weniger Möglichkeiten haben, z. B. Attac, sahrauische Gruppen und andere politische Gruppen.12 Auch das Recht auf gewerkschaftliche Betätigung ist sehr stark eingeschränkt und in Sonderwirt­schaftszonen existiert es gar nicht. Eine weitere Ungerechtigkeit im Hinblick auf NGOs besteht in der sehr un­terschiedlichen Förderung. Das wurde von einer Gesprächspartnerin bei einem Treffen kritisiert – interessanterweise erst nach­dem eine wichtige Person nicht mehr im Raum war. So bekämen mache Vereine, die gar nicht aktiv wären, große Zuschüsse, während andere nichts erhielten.

Hinweis auf Teil 2 und 3: Frauen, Armut, Versöhnung und Projekte

Erschütternd waren Gespräche zur Situation der Frau in Marokko. Davon und von Aktivitäten von Frauengruppen handelt Teil 2. Im Fokus des letzten Teils stehen die Themen Armut, Versöhnung sowie Ideen für mögliche Projekte.

Gabi Bieberstein

Anmerkungen

[7]Siehe dazu https://www.versoehnungsbund.de/westsahara sowie http://www.attac-netzwerk.de/das-netzwerk/internationales/die-ag-internationales/regionen/afrika/marokko.
[8]Guido Steinberg: Deutschland und die Diktatoren. Berlins Politik gegenüber der arabischen Welt ist korrekturbedürftig, Januar/Februar 2013, Stiftung Wissenschaft und Politik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/fachpublikationen/IP_01_2013_Steinberg.pdf.
[9]Harte Strafen für Sahrauis. Marokkanisches Militärgericht verurteilte die »24 von Gdeim Izik«, neues deutschland, Dienstag, 19. Februar 2013, http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Marokko/strafen.html.
[10]Haft wegen Kussfotos auf Facebook, Heise, 6. Oktober 2013, http://www.heise.de/newsticker/meldung/Haft-wegen-Kussfotos-auf-Facebook-1973148.html.
[11]Attac Marokko prangert umfassende Unterdrückungswelle an, Pressemitteilung, 23. Januar 2013,http://www.attac.de/aktuell/neuigkeiten/detailansicht/datum////attac-marokko-prangert-umfassende-unterdrueckungswelle-an`.
[12]Marokko: Rap gegen Doppelsprech, AfrikaEcho, 10. Februar 2013, http://www.afrikaecho.de/2013/02/marokko-rap-gegen-doppelsprech.
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politik
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