Schwerpunkte
Im Gespräch mit Vertreter_innen von NGOs in der Friedrich-Ebert-Stiftung Rabat, Foto: Elke Michauk, CC BY-NC-SA
Die deutsche Bundesregierung lobt die Stabilität Marokkos
Schon am Flughafen Frankfurt hatte ich einen Vorgeschmack auf Marokko, als ich mich mit einem jungen seit zehn Jahren in Deutschland lebenden marokkanischen Verkäufer unterhielt. Er war ganz begeistert von seinem Land und stolz. Gerade angesichts der vielen Toten und Verletzten in anderen arabischen Ländern freue er sich, dass Marokko von einer solchen Entwicklung verschont geblieben sei und sich das Land gut entwickele. Ähnliches war auch bei einigen Gesprächen mit Vertreter_innen zivilgesellschaftlicher Organisationen in Rabat zu hören. Waren wir in großer Runde folgte darauf dann ein großes Lob für König Mohammed VI, der bei den Demonstrationen 2011 genau das richtige getan habe und kurzfristig eine neue fortschrittliche Verfassung präsentiert habe. Diese Verfassung müsse jetzt allerdings noch umgesetzt werden und das sei die Aufgabe von allen Marokkaner_innen. Ähnlich verhält sich die deutsche Bundesregierung: „Die deutsche Seite begrüßt die wichtige Rolle, die Marokko in Bezug auf Stabilität, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung in der Region Nordafrika spielt.“ (Erklärung von Rabat von September 2013).
Demonstration am 20. März 2011 in Rabat
Kann jedoch ein Staat, der ein anderes Land völkerrechtswidrig besetzt (Westsahara7 ), ein Stabilitätsfaktor sein? Oder ist die Gewalt des Staatsapparats gegen Migrant_innen, Demonstrant_innen und viele andere sowie die gesellschaftliche Gewalt gegen Frauen und der um sich greifende Rassismus ein Zeichen für Stabilität? Und kann überhaupt eine Diktatur Stabilität versprechen? Guido Steinberg vom Institut für Wissenschaft und Politik kritisiert, dass die deutsche Politik im arabischen Raum „weiter auf enge Beziehungen zu Diktatoren [setzt], ohne Lehren aus den Umbrüchen zu ziehen.“8
Regierung als Sündenbock der Monarchie
In Medien wird viel über das marokkanische Parlament geschrieben sowie über den Ministerpräsidenten Benkirane und die neue Regierung nach der Regierungskrise im Sommer. Auch bei unseren Gesprächskreisen war davon die Rede. Jedoch ist Marokko nach wie vor meilenweit entfernt von einer Demokratie. Mohammed VI. ist sogar nicht nur weltlicher Herrscher, sondern auch nach der neuen Verfassung zusätzlich der Führer der Gläubigen – und das in einem Land, in dem fast alle Einwohner_innen Muslime sind. Parlament und Regierung können keine wichtigen Entscheidungen treffen. Ohne den König läuft in Marokko nichts und die Regierung hat somit die Rolle eines Sündenbocks für alles, was sich in der Monarchie schlecht entwickelt und insbesondere auch für schlechte Politik des Königs, so ein Marokkaner. Die neue Verfassung wurde deswegen von der Bewegung des 20. Februar (M20F), einem Zusammenschluss verschiedener NGOs, die an diesem Tag im Jahr 2011 gemeinsam gegen das Regime demonstrierten, abgelehnt.
In einem Vieraugengespräch wurde eine Abschaffung der Monarchie als längerer Prozess angesehen. Zu groß ist auch bei Gegnern der Monarchie die Befürchtung, dass dies momentan zu Gewalt zwischen Islamisten und anderen führen würde. Ägypten oder gar Syrien und Libyen sind abschreckende Beispiele.
Menschenrechtsthemen
Bereits ganz am Anfang unserer Study Visit – bei dem Briefing durch den Deutschen Botschafter Herrn Dr. Michael Witter – hörten wir, dass es drei Tabuthemen in Marokko gäbe: Islam, König und Westsahara. Eine Meinungsäußerung zu diesen Themen kann zu einer Verhaftung oder einer anderen Form der Einschüchterung führen. Häufig sei außerdem gar nicht wirklich klar, was gesagt werden dürfe. Diese Schwierigkeit äußerte eine Teilnehmerin sogar in größerer Runde erstaunlich offen.
Die Pressefreiheit ist erheblich eingeschränkt. Journalisten werden bedroht oder gar angeklagt und inhaftiert. Rundfunk und Fernsehen liegen komplett in staatlicher Hand.
Offiziell gibt es keine politischen Gefangenen, nur kriminelle. Meist ist die Anklage vorgeschoben. So werden Menschenrechtsaktivisten z. B. angeklagt und verurteilt wegen Drogenbesitz, Körperverletzung oder terroristischer Aktivitäten. Gesagt wurde uns, dass es zurzeit 20 politische Gefangene gäbe. Allerdings ist allein von mehr als 20 sahrauische politischen Gefangenen zu lesen9 , so dass die uns genannte Zahl sich vielleicht ausschließlich auf Marokkaner_innen bezieht.
Kurz nach Beendigung unserer Study Visit kamen drei weitere Gefangene dazu: junge 14-15-jährige, die wegen eines Kussfotos verhaftet wurden. Chakib Al-Khayari, der Präsident der marokkanischen Menschenrechtsgruppe ADRH-RIF kritisierte, dass "es in diesem Land ein Verbrechen ist, ein Mädchen zu küssen, aber nicht, es zu schlagen".10
eine Demonstration im Januar 2013
Das Demonstrationsrecht ist erheblich eingeschränkt. Demonstrant_innen laufen Gefahr, verhaftet, verletzt oder sogar erschossen zu werden. Attac Marokko prangerte Anfang des Jahres eine umfassende Unterdrückungswelle an. "Das äußert sich in brutalen Einsätzen gegen Demonstrationen und Sit-ins, in der Inhaftierung und gerichtlichen Verfolgung von Aktivisten, in Einschüchterungen aller Art. Der Staat versucht ein Klima des Schreckens zu errichten und die Widerstandsbewegungen zu kriminalisieren."11
In Einzelgesprächen wurde die Menschenrechtssituation stark kritisiert. Deutschland erschien dabei als gelobtes Land. Marokkaner_innen waren überrascht zu hören, dass exzessive Gewalt gegen Demonstrant_innen auch bei uns anzutreffen ist – wie z. B. bei Blockupy in Frankfurt – und es auch in anderer Hinsicht Kritik von Amnesty International an Deutschland gibt.
Zivilgesellschaft und NGOs
Jugendzentrum in Sidi Allal Bahroui, einer kleinen Stadt ca. 30 km von Rabat entfernt. Wir sind bei einem Empfang des Oberbürgermeister Herrn Ahmed Ghizlan und Mitgliedern des Stadtrats und tauschen uns mit ihnen und mit Jugendlichen aus.
Überall in Marokko entstanden in den letzten Jahren NGOs, die sich für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen sowie für soziale und politische Belange engagieren. Insbesondere sind dies Gruppen, die in sozialen, ökonomischen, kulturellen Bereichen sowie im Frauen-, Bildungs- und Freizeitbereich tätig sind. Bei unserem interessanten Study Visit lernten wir viele NGOs kennen. Getroffen haben wir uns mit ihnen entweder in speziellen Häusern, die der Staat seit einigen Jahren für Vereine zur Verfügung stellt, in Hotels oder der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Ein großer Teil der Zivilgesellschaft war von unseren Begegnungen von vorneherein ausgeschlossen – nämlich diejenigen, die kein Französisch sprechen, da wir die meiste Zeit keine Arabisch-Dolmetscher_in zur Verfügung hatten. Des weiteren hatte ich den Eindruck, dass marginalisierte Marokkaner_innen kaum zu unseren Gesprächspartner_innen gehörten (unter anderem sicher auch wegen der Sprache). Außerdem waren viel weniger Frauen vertreten als Männer.
Es gibt Gruppen, die nicht als Vereine anerkannt werden, wodurch sie weniger Möglichkeiten haben, z. B. Attac, sahrauische Gruppen und andere politische Gruppen.12 Auch das Recht auf gewerkschaftliche Betätigung ist sehr stark eingeschränkt und in Sonderwirtschaftszonen existiert es gar nicht. Eine weitere Ungerechtigkeit im Hinblick auf NGOs besteht in der sehr unterschiedlichen Förderung. Das wurde von einer Gesprächspartnerin bei einem Treffen kritisiert – interessanterweise erst nachdem eine wichtige Person nicht mehr im Raum war. So bekämen mache Vereine, die gar nicht aktiv wären, große Zuschüsse, während andere nichts erhielten.
Hinweis auf Teil 2 und 3: Frauen, Armut, Versöhnung und Projekte
Erschütternd waren Gespräche zur Situation der Frau in Marokko. Davon und von Aktivitäten von Frauengruppen handelt Teil 2. Im Fokus des letzten Teils stehen die Themen Armut, Versöhnung sowie Ideen für mögliche Projekte.
Gabi Bieberstein
Anmerkungen
[7] | Siehe dazu https://www.versoehnungsbund.de/westsahara sowie http://www.attac-netzwerk.de/das-netzwerk/internationales/die-ag-internationales/regionen/afrika/marokko. |
[8] | Guido Steinberg: Deutschland und die Diktatoren. Berlins Politik gegenüber der arabischen Welt ist korrekturbedürftig, Januar/Februar 2013, Stiftung Wissenschaft und Politik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/fachpublikationen/IP_01_2013_Steinberg.pdf. |
[9] | Harte Strafen für Sahrauis. Marokkanisches Militärgericht verurteilte die »24 von Gdeim Izik«, neues deutschland, Dienstag, 19. Februar 2013, http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Marokko/strafen.html. |
[10] | Haft wegen Kussfotos auf Facebook, Heise, 6. Oktober 2013, http://www.heise.de/newsticker/meldung/Haft-wegen-Kussfotos-auf-Facebook-1973148.html. |
[11] | Attac Marokko prangert umfassende Unterdrückungswelle an, Pressemitteilung, 23. Januar 2013,http://www.attac.de/aktuell/neuigkeiten/detailansicht/datum////attac-marokko-prangert-umfassende-unterdrueckungswelle-an`. |
[12] | Marokko: Rap gegen Doppelsprech, AfrikaEcho, 10. Februar 2013, http://www.afrikaecho.de/2013/02/marokko-rap-gegen-doppelsprech. |