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Warum Traumata an Kinder und Enkel weitergegeben werden

Traumata von Kriegsenkeln

Am

Ingrid Meyer-LegrandDer Vortrag der Berliner Psychotherapeutin Ingrid Meyer-Legrand wurde am 15.8. im Speicher der Alten Waage vom Friedenszentrum Braunschweig in seiner Reihe WEGE ZU EINER KULTUR DES FRIEDENS präsentiert. Er bezog sich auf die aktuell vom Friedenszentrum im Rahmen seines Projekts zum „Jubiläumsjahr 1913“ im Foyer der VHS Alte Waage gezeigte Ausstellung. Bis zum 6.9. läuft dort die Ausstellung „Von Kriegszitterern, Sanitätsoffizieren und Helferinnen – Trauma und Psychiatrie im Ersten Weltkrieg“.


Als der Vortrag startete, erwartete die Vortragende ein gespanntes Plenum. Zunächst erklärte Frau Meyer-Legrand, was genau ein Trauma ist. Es resultiert immer aus einem schlimmen Ereignis, das die psychischen Kapazitäten eines Menschen sprengt. Wird das Trauma dann gar nicht oder falsch aufgearbeitet, entsteht für die betroffene Person ein großes Problem, das ihm sein normales tägliches Leben unmöglich machen kann. Die Umwelt der Person hat dabei einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Intensität der Symptome.

In einer besonders harten Art und Weise sind Soldaten davon betroffen. So wurden im Irakkrieg 4.486 US-Soldaten getötet – nach ihrem Einsatz selbst getötet haben sich 2.676! Und sehr viele kämpfen immer noch gegen die Folgen des Kriegseinsatzes. 2011 gab es bei der Bundeswehr 922 posttraumatisierte Störungen.

Traumata sind auch deshalb so heimtückisch, weil sie von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben werden. Die Referentin setzte einen Schwerpunkt auf die sogenannten Kriegsenkel. Dies sind die Kinder der Kriegs- und Flüchtlingskinder, die zwischen 1930 und 1945 geboren wurden.

Bei der Veranstaltung bezeichneten sich 50 % der Anwesenden als Flüchtlinge. Viele davon berichteten von eigenen Erfahrungen. Diese Eltern, die als Kinder viel Leid erfahren haben, gaben dies indirekt und fast immer unbewusst an ihre Nachfahren weiter. Diese wiederum – in der Wohlstandsgesellschaft des Wirtschaftswunders aufwachsend – erkrankten später psychisch. Depressionen, ein ständiges „Auf der Flucht sein“ oder das Gegenteil, ein „Immer ausgebremst werden“, sind zwei der Krankheitsbilder, die bei den Kriegsenkeln zu beobachten sind. Besonders das Symptom „Auf der Flucht sein“ macht sehr plastisch deutlich, wo hier der Ursprung zu suchen ist. Ingrid Meyer-Legrand führt genau unter dem Titel „Sind die Kriegsenkel immer noch auf der Flucht?“ Workshops durch.

Sehr gut gelang es Frau Meyer-Legrand einen konstruktiven Umgang mit Traumata zu verdeutlichen. Nachdem sie in der ersten Hälfte des Vortrags ein düsteres - teilweise fast beklemmendes - Bild der Situation skizziert hatte, beschrieb sie im zweiten Teil des Abends Ressourcen, wie sie sie nannte, die aus schlimmen Ereignissen geschöpft werden können. Schaffen es die Patienten, sich diese positiven Ressourcen wirklich bewusst zu machen, so hilft das ihnen sehr bei ihrem Heilungsprozess. Beispielsweise gibt es in jeder harten und schlimmen Zeit auch immer kleine schöne Momente, die zu schnell in Vergessenheit geraten. Auch Erfolge können Ressourcen sein. So waren in der Generation der Kriegskinder Familien oft dazu gezwungen ihre Existenz „von Null an“ wieder aufzubauen. Diese enormen Kraftakte, die es massenweise gab, können auch den Kriegsenkeln bei der Bewältigung ihrer psychischen Probleme Mut und eben Kraft geben. Dieses „Sich bewusst machen von positiven Ressourcen“ kann auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden. Einige - und das wird wohl die kleinste Gruppe sein - erreichen es in einem Prozess der Selbstreflexion und der Beschäftigung mit der Geschichte der Eltern. Andere treffen sich mit anderen Betroffenen in Gesprächskreisen von Kriegsenkeln oder suchen sich psychotherapeutische Hilfe.

Im Idealfall sind die Patienten im Rahmen ihrer Therapie noch in der Lage mit ihren Eltern den Kriegskindern Gespräche zu führen. Erlebnisse der Eltern sind wichtig für die Therapie der Kriegsenkel. Mit der Zeit gehen diese Informationen unwiederbringlich verloren. Diese Ressourcen sollten gesichert werden, bevor es zu spät ist. Jahrelang verdrängte Erinnerungen können auch Ursprünge für intergenerationell weitergegebene Traumata sein. Ist die entscheidende Erinnerung für immer weg, erschwert dies die Therapie sehr.

Vor allem solche Qualitäten helfen bei der Trauma-Bearbeitung: Durchhaltevermögen, Geduld, Zähigkeit, Gerechtigkeitsgefühl, Gelassenheit. Frau Meyer-Legrand verbrachte noch einen weiteren Tag in Braunschweig und konnte daher glücklicherweise an der aktuellen Sendung des „Friedensradios“, das in Kooperation von Radio Okerwelle und dem Friedenszentrum Braunschweig e.V. produziert wird, teilnehmen.

Ohne die Musikbeiträge kann jede der bisher 13 Sendungen unter http://www.friedenszentrum.info/friedensradio.php nachgehört werden. Die aktuelle Sendung wird am Mittwoch dem 21.8. von 20.03 h bis 21 h bei Radio Okerwelle unter dem Titel „Kriegszitterer, Kriegskinder und –Enkel“ zu hören sein.

Daniel Gottschalk

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