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pax christi-Kommission Friedenspolitik appelliert ans Parlament

Syrien: Keine Patriot-Raketen an die syrische Grenze

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Die pax christi-Kommission Friedenspolitik wandte sich heute an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Der Brief lautet wie folgt: Am 14. Dezember werden Sie über den Beschluss der Bundesregierung vom 6. Dezember und dem entsprechenden Antrag an das Parlament abzustimmen haben, zwei deutsche Patriot-Flugabwehrsysteme sowie mehrere Awacs-Überwachungsflugzeuge samt Bedienungs-, Besatzungs-und Führungspersonal im Umfang von bis zu 400 Bundeswehrkräften für vorerst ein Jahr an die türkisch-syrische Grenze zu verlegen. Der fragliche Kabinettsbeschluss kam auf Vorschlag der beiden Fachminister Thomas de Maizière und Guido Westerwelle zustande. In ihrer gemeinsamen Erklärung zu dem Beschluss betonen de Maizière und Westerwelle den defensiven und deeskalierenden Charakter der vorgesehenen Maßnahme und weisen eventuelle Spekulationen zurück, dass es um die Einrichtung oder Überwachung einer Flugverbotszone gehen könne oder gar um die Vorbereitung einer offenen Intervention der NATO in den Syrienkonflikt (s. http://www.bmvg.de).


Als Mitglieder der pax christi-Kommission Friedenspolitik bitten wir Sie inständig, dem Patriot-Stationierungs-Beschluss der Bundesregierung Ihre Zustimmung zu verweigern. Wir halten die Begründung für zutiefst unglaubhaft und die Maßnahme für einen gravierenden Eskalationsschub.

Für das Assad-Regime wäre eine kriegerische Auseinandersetzung mit einem Nachbarland - gar mit einem NATO-Mitglied - reiner Selbstmord. Die Grenzzwischenfälle, die an erster Stelle zur Begründung der Stationierung bemüht werden, eignen sich nicht als Grundlage eines bündnisfalltypischen Beistands. Der Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrags ist denn auch nicht erklärt; und selbst wenn es anders wäre, gäbe es keine militärische Beistandspflicht. Auch hat der UN-Sicherheitsrat gemäß Artikel 39 der UN-Charta bisher keine Bedrohung, keinen Bruch des Weltfriedens und keine Angriffshandlung konstatiert. Der Tod mehrerer türkischer Zivilisten war eine Folge von Granaten-Einschlägen auf türkischem Gebiet. Das Patriot-System ist aber, wie de Maizière in dem Bezugs-Statement unumwunden zugibt, nicht zur Abwehr von Granaten mit kurzer Reichweite einsetzbar.

Andererseits werden die syrischen Rebellen seit langem von der Türkei mit Geld, Waffen, logistisch und durch ein großzügiges Grenzregime unterstützt. Zudem verlangt Ankara seit Monaten die Einrichtung einer Flugverbotszone über dem Norden Syriens. Die Führung der „Freien Syrischen Armee“ kündigte Ende September an, ihre Kommandozentrale aus dem türkischen Antakya in „befreite Gebiete“ verlegen zu wollen (Telepolis, 28. Sept.).

Unter Berufung auf die türkische Zeitung Milliyet berichteten deutsche Medien, der Einsatz von Abwehrraketen solle nach türkischer Lesart dazu beitragen, die längst geforderte Pufferzone in Nordsyrien zu etablieren (FAZ, 07.11.2012) und mit logistischer Unterstützung der USA solle die türkische Luftwaffe die Kontrolle über diese Pufferzone übernehmen (taz, 7. Dez.).

Wenn Ankara vor diesem Hintergrund laut NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen betont, die Stationierung der Patriots solle einen klar defensiven Charakter haben und keineswegs der Einrichtung einer Flugverbotszone oder irgendeiner offensiven Operation dienen (nato.int, 21.Nov.), ist das einfach nicht glaubhaft. Sich den Beistand der NATO zu holen, während man selbst längst und zunehmend aktiver in den syrischen Bürgerkrieg eingreift, läuft auf einen kaum verdeckten politischen Schachzug hinaus.

Außenminister Westerwelle lässt in seiner Erklärung sein Wissen um Überlegungen oder Planungen, „die auf eine Intervention hinauslaufen“, durchblicken; „was dazu an Spekulationen verbreitet“ sei, könne er jedoch „nur zur Kenntnis nehmen“, Deutschland sei „an solchen Überlegungen nicht beteiligt“. Der Minister verschweigt, von wem die Überlegungen und Planungen angestellt werden, und versucht sie als Spekulationen und damit als belanglos hinzustellen. Wenn er zum Ausdruck bringt, er sei „über diese öffentlich geführte Debatte alles andere als erfreut“, lässt er im Unklaren, ob ihn der Inhalt der Debatte oder die Tatsache ihrer Öffentlichkeit irritiert. Sagt er nur die halbe Wahrheit? Zumindest suggeriert er, dass er von einschlägigen Aktivitäten „von ernstzunehmender Stelle“ nichts wirklich weiß.

Ähnlich unredlich wirkt Verteidigungsminister de Maizière in seinen Ausführungen zur Awacs-Komponente des Stationierungsbeschlusses. Seine Versicherung, der Einsatz diene in keiner Weise der Überwachung einer Flugverbotszone „und auch nicht der Überwachung des syrischen Territoriums“, steht in Widerspruch zur bekannten Funktion der Awacs-Systeme. Unter der Decke bleibt, was Aufklärung und Überwachung in einem mandatspflichtigen Umfeld tatsächlich fragwürdig macht: dass insbesondere mit den Awacs-Flugzeugen ein ständiges detailliertes Lagebild aller Flugbewegungen über Syrien erstellt werden soll, das im Rahmen der „Vernetzten Operationsführung“ allen Führungs- und Einsatzebenen gleichzeitig zur Verfügung steht, mit dem aber auch militante Rebellen-Gruppen versorgbar sind. Das Mandat untersagt jedenfalls eine solche Ausspähung des syrischen Luftraums und die angedeutete problematische Verwendung der gesammelten Information ausdrücklich nicht.

Einmal angenommen, die beiden Fachminister und die Bundesregierung hätten tatsächlich den Wunsch, in der Syrienkrise zu einer Deeskalation beizutragen, wie sollten sie vorgehen, um die Türkei und die Nato-Führung von einer Eskalation abzuhalten? Jedenfalls nicht durch Verlegung deutscher Patriot-Systeme an die türkisch-syrische Grenze und den Einsatz deutscher Awacs zur Ausspähung des syrischen Luftraums. Nicht durch die Bereitstellung militärischen Potenzials, das der Einrichtung einer Flugverbotszone oder gar einer offenen militärischen Intervention dienen kann, um eben das zu verhindern. Nicht durch die Schaffung von Offensivfähigkeiten, um aus diesen Fähigkeiten keine Absicht werden zu lassen.

Dem militärischen Handeln der NATO sind auch nicht durch politische Beschlusstexte der NATO selbst Fesseln anzulegen; die kann die NATO jeden Tag selbst ändern. Selbst ein restriktiver Bundestagsbeschluss, der im ersten Schritt etwa eine Flugverbotszone ausschließen würde, ist im Handumdrehen von der NATO ausgehebelt, wenn die Entwicklung vor Ort es erfordert. Niemand wird ernsthaft glauben, dass die Bundesregierung der NATO „in die Speichen greifen“ würde, um einen neuen Beschluss zu verhindern.

Nur mit einem Nein zu dem Ansinnen von Bundesregierung, NATO und Türkei kann dieses Szenario verhindert werden.

Mit freundlichen und besorgten Grüßen

Christof Grosse

Sprecher der pax christi-Kommission Friedenspolitik

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