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Doof sind immer die anderen
Die einen nennen sie Lemminge, Bildzeitungsleser, Dummvolk oder einfach nur Michel. Die andere Seite spricht von Sozialromantikern, Gutmenschen, Utopisten oder bezeichnet sie als weltfremd. In der Mitte gibt es ein paar unverbesserliche und feixen sich eins. Haben sie doch die Auswahl aus zwei Gruppen von doofen. Was alle miteinander verbindet ist, dass sie die jeweils anderen für durch und durch manipuliert halten, was ihnen niemals widerfahren könnte, da sie doch so intelligent und kritisch sind.
Ein Hurrah auf das Selbstbild
Manipuliert wird ein Mensch am leichtesten über seine Selbstdefinition. Einen Autofan „kriegt“ man über Autos, eine Kunstmalerin über Kunst und Rapper über tiefe Bässe. Das ist eine einfache und funktionale Methode, wie allein schon an Facebook zu erkennen ist, wo auch die Werbung ein Abbild der letzten Kommentare zeichnet. Doch das ist Werbung. Da gibt es Ad-Blocker im Netz wie im Kopf, die einem zumindest das Gefühl vermitteln, nicht erfasst zu werden.
Widerstände
Es gibt Verhaltensmuster, die es schwierig machen, Menschen über Werbung zu manipulieren.
- Negierung: Kaum hat ein Mensch eine konstruiert klare Vorstellung davon, wie Werbung aussieht, legt er sie beiseite oder blendet sie aus.
- Distanzierung: Hier versucht der Empfänger die Werbung eher auf einer metasprachlichen Ebene zu betrachten. Besonders leicht fällt das, wenn die eigene Berufsrolle, die Spezialisierung oder die eigene Erfahrungswelt angesprochen wird.
- Stabilisieren: Ab und zu trifft eine Werbebotschaft auf eine vorgefestigte Meinung, die durch eine gegenteilige oder abweichende nur noch stärker vertreten wird.
- Inokulation: Eine Resistenz gegen Werbung kann auch dadurch geübt werden, indem man eine Abwehr einübt, also ein auf sich selbst zugeschnittenes Training absolviert.
Dies alles sind Methoden, mit denen sich der Einzelne vor Werbung schützen kann. Aber gilt das auch für die Öffentlichkeitsarbeit von Staaten, staatlichen Organisationen und Regierungen?
PR ist keine Werbung
Wenn jetzt die Negierung eine genügende Effektivität haben sollte, dürfte man nicht mehr zum Bäcker gehen und sich die Kommentare der anderen Kunden zu Artikeln irgendwelcher Zeitungen anhören. Man müsste viele soziale Kontakte abbrechen oder Freundschaften vernachlässigen. Denn Meinung ist überall.
Wollten sie sich distanzieren, also die Öffentlichkeitsarbeit und somit auch die Öffentlichkeit auf eine metasprachliche Ebene führen, müssten sie die Welt sehr weit vereinfachen oder ein so großer Geist sein, die Komplexität in allen Zusammenhängen ad hoc abrufen zu können.
Eine Stabilisierung würde bedeuten, dass man ein so starres Bild der Welt und der Gesellschaften hat, dass die einem absoluten Dogma gleichkäme. Und die Inokulation? Welche Abwehr wäre wohl stark genug? Welches Training müsste man absolvieren? Das des konsequentesten buddhistischen Mönches?
Dich kriegen wir auch noch!
Wenn die Werbung schon den Menschen am leichtesten über seine Selbstdefinition zu packen kriegt, dann schafft die Public Relation das umso leichter. Den welche Selbstdefinition macht einen Menschen greifbarer als die, ein intelligenter, gebildeter und kritischer Mitbürger zu sein? Jeder Autokäufer kennt das. Irgendwann ist der Reiz eines Neuwagens dahin. Und dann treten plötzlich die negativen Eigenschaften, die Verarbeitungsfehler oder auch die abfälligen Bemerkungen eines Nachbarn in den Vordergrund. Man beginnt darüber nachzudenken, ob man sich nicht doch hat beeinflussen lassen. Die Werbeindustrie arbeitet hart gegen diese kognitiven Dissonanzen. Da gibt es Serviceangebote, Updates, Wiederholungen von Modellreihen und vieles mehr. Dies alles um den ehemaligen Kunden bei Laune zu halten. Nichts ist schlimmer, als der Besitzer eines Artikels, der diesen öffentlich kritisiert oder sich sogar von ihm distanziert. Wer aber kritisiert seine Kritikfähigkeit, distanziert sich von seiner Bildung oder wirft seine Intelligenz ins Korn? Allein diese Frage zeigt schon, wo die Angriffsfläche der PR ist. Bei der Intelligenz, nicht bei der Dummheit. Um es ganz platt zu sagen: Ein Mensch, der zu blöd ist, aus dem Busfenster zu schauen, kann auch keine Plakate lesen.
Es zählt die Volksmoral
Das Ziel einer Öffentlichkeit ist jedoch nicht das Individuum, wie bei der Werbung, wo die effektivste Zielgruppe die theoretische Menge „1“ ist. Bei der Öffentlichkeitsarbeit für Staaten und Regierungen ist nicht der einzelne Mensch wichtig, nicht einmal die Masse an Menschen, sondern der Durchschnitt. Innerhalb des Volkes wird erfasst, erhoben und analysiert, Das Ergebnis ist nicht ein „die Menschen wollen die und jenes nicht“, sondern der Querschnitt einer Volksmoral. Die Frage ist immer die nach den moralischen Interpretationen hinter einem Zeitgeist. Und anschließend die Frage, wie weit eine Regierung gehen kann, um dieses oder jenes zu erreichen, bis die „Volksmoral“ überstrapaziert wird. Das ist der Grund, warum so viele sich darüber wundern, warum noch nicht heftiger protestiert und demonstriert wird – warum alle noch auf den Sofas sitzen bleiben. Die Politik geht hart am Wind der Volksmoral. Sie könnte diese Grenze leicht überschreiten, wenn nicht die Intelligenten, die Kritischen und die Gebildeten ihr zur Hand gingen. Und das sind selten Opportunisten oder staatstreue Untertanen. Sie lassen sich jedoch trefflich dazu benutzen, innerhalb ihrer sozialen Gruppen auszuloten, wie weit man gehen darf. Sie differenzieren, überintellektualisieren, diskutieren und beschwichtigen, indem sie Wege zum Konsens aufzeigen. Die wirklich manipulierten und benutzten sind die Debattierer auf eingebildeter oder selbstdefinierter hochgeistiger Ebene. Ihr modernes Medium sind die sozialen Netzwerke im Internet. Sie erschaffen immer neue moralische Maßstäbe, die moderne PR-Fachleute an ein angeschlossenes Institut weiterleiten, wo aus diesen Maßstäben die Grundlage für neue Gesetzesentwürfe geschaffen werden. Vor einigen Jahren hieß es noch: „Der Mörder ist immer der Gärtner“ und sollte uns sagen, wie simpel die Struktur eines Serienkrimis ist. Hier könnte man sagen: „Der Manipulierte ist immer der Kritische“.
So simpel ist er.
Uwe Koch