Verständnis für den Mörder
Mirkos Eltern als Fürsprecher
Wenn wir Berichte lesen, in denen Olaf H. als Opfer bezeichnet wird, läuft sicher so manchem Leser die Galle über. Sätze, wie „Der gehört ein Leben lang weggesperrt“ oder „nur kein Mitleid mit diesem Schwein“ sind noch die Harmlosesten. Selbst von Todesstrafe wird schon gesprochen. Zwischen diesen meist anklagenden Artikeln stechen immer wieder Bekanntmachungen hervor, die die Angehörigen von Mirko als verständnisvolle Fürsprecher für Olaf H. darstellen.
Wieso erzählen Mirkos Eltern etwas von Erleichterung?
Wir alle befinden uns oft in so genannten schwebenden Zuständen, in denen etwas ungeklärt im Raum steht. Geht es Ihnen dann nicht auch so, dass sie nervös und unruhig sind, unter Schlafstörungen leiden, sich nicht konzentrieren und was fast am Schlimmsten ist, kein neues Ziel in Angriff nehmen können. Solange eine alte Sache nicht zum Abschluss gekommen ist, findet man keine Ruhe. So makaber das in diesem Fall auch klingt, für Mirkos Eltern ist nun die Zeit der Ungewissheit vorbei. Sie wissen, was mit Mirko passiert ist. Sie konnten ihr Kind zu Grabe tragen und wurden damit auch von der Unklarheit befreit. Sie werden noch lange um ihren Jungen trauern und sicher nie verstehen, warum Mirko einem so grausamen Verbrechen zum Opfer fiel. Trotzdem habe sie nun die Chance, einen Neuanfang zu machen, der ihnen hoffentlich gelingen wird.
Warum zeigen gerade Mirkos Eltern Verständnis?
Mirkos Eltern sind sehr gläubige Menschen, die in ihrer Gemeinde viel Trost erhalten. Wochenlang traf man sich zum gemeinsamen Gebet für Mirko in seinem Elternhaus und sprach der Familie Mut zu. In allen Religionen, aber auch esoterischen Gruppen sowie philosophischen Richtungen wird gelehrt, dass Hass und Wut, die man gegen einen anderen richtet, zu einem zurückkehrt. Man soll seinen vermeintlichen Feind umarmen und ihm Hilfe anbieten, nur dann kann man inneren Frieden finden. Manch einer wird dies als Blödsinn abtun und kein Verständnis dafür haben, was ich bei einem solchen Verbrechen auch nachvollziehen kann.
Da ich selbst Betroffene sexueller Vergehen war, habe ich erfahren, dass Feindschaft und Zorn mich nicht weiterbringen. Im Gegenteil, während ich meinen Missbrauch in einer Biographie aufarbeitete, hatte ich oft mit bösartigen und feindseligen Gedanken zu kämpfen und wünschte den Tätern die Pest an den Hals. Es hat viele Monate gedauert, in denen auch unzählige Tränen geflossen sind, bis ich endlich begriff, dass ich so nicht weiterkomme. Ich konnte das Buch nicht zu Ende schreiben, bevor ich nicht Frieden gefunden hatte. Ich musste Frieden mit den Verursachern meiner seelischen Schmerzen schließen. Und das konnte nur geschehen, indem ich ihnen verzeihe. Ich hatte keine Möglichkeit, ihnen dies persönlich zu sagen, weil ich gar nicht weiß, wo sie abgeblieben sind. Nachdem ich aber erkannt hatte, warum ich nicht zur Ruhe kommen konnte, und ich ihnen ehrliches Verständnis entgegenbringe, fühle ich mich nicht nur frei, sondern bin nach Jahrzehnten auch etliche körperlichen und seelischen Symptomen losgeworden.
Mirkos Eltern haben eventuell durch ihren Glauben die Chance, erst gar nicht in diesen Strudel der psychischen Zerstörung hineinzugeraten. Sie wissen, dass es nichts bringt, durch Hass und Feindseligkeit womöglich die eigene Zukunft zu zerstören. Mögen sie weiterhin die Kraft haben, demjenigen zu verzeihen, der ihnen das Kind genommen hat. Bei ihrer Einstellung ist ihnen gewiss, ihre Liebe und die Erinnerung werden weiter in ihrem Herzen verweilen und ihnen Frieden schenken.
Journalistin * Autorin Gisa Pradam