DIE Internet-Zeitung
Seelenmord -

Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche

Am

Tabuthema Kindesmissbrauch - ich wurde sexuell missbrauchtDies ist das Kapitel "Seelenmord" aus dem Buch "Ich wurde sexuell missbraucht". Norbert Denef wurde 1949 in Delitzsch bei Leipzig geboren. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder. Mit seiner Frau lebt er an der Ostsee in Scharbeutz. Viele Jahre war er als Technischer Leiter im Theater tätig. Seit 22 Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema sexualisierte Gewalt und mit dem Abbruch der Schweigemauer.


Seelenmord

Eine Mischung aus Wut, Einsamkeit und Depressionen waren sechs Wochen lang meine Begleiter beim Schreiben des folgenden Briefes an den Bischof von Magdeburg. Ich habe Bilder beschrieben, die in mir immer wieder hochkommen – oft genügt ein bestimmter Geruch, ein Geräusch oder eine bestimmte Person und die Erinnerung an den sexuellen Missbrauch ist da, Tag für Tag und Nacht für Nacht. Ich beschrieb in dem Brief meinen ‚Seelenmord‘, ‚Die gleiche Scheiße ging weiter‘ und die ‚Gründe des Schweigens‘. Die Verantwortlichen sollten erfahren, welchen Schaden sie angerichtet hatten, indem sie Pfarrer K. immer wieder schweigend in andere Gemeinden versetzten, obwohl sie wussten, dass er Kinder und Jugendliche sexuell missbrauchte. Am 12. März 2003 schickte ich ihn ab.

Sehr geehrter Herr Bischof, aufgrund des bewussten Verschweigens von sexuellen Straftaten durch das Bischöfliche Ordinariat Magdeburg, sind mir Schäden von lebenslanger Dauer zugefügt worden. Ich fordere hiermit eine Wiedergutmachung in Höhe von 450.000 Euro. Im Alter von 10 bis 18 Jahren wurde ich von 1958 bis 1964 vom damaligen Vikar K. und danach bis 1967 von einem Kirchenangestellten mehrmals in der Woche in Delitzsch sexuell missbraucht.

Der damalige Bischof und der verantwortliche Mitarbeiter des Ordinariats Magdeburg haben Kenntnis davon gehabt, dass Pfarrer K. Kinder und Jugendliche sexuell missbrauchte. Sie haben die Verbrechen bewusst verschwiegen und nichts unternommen, um den Opfern zu helfen. Um die Verbrechen von Pfarrer K. nicht an die Öffentlichkeit kommen zu lassen, wurde er nach der seelsorgerischen Tätigkeit in Halle immer wieder zwangsversetzt in die Gemeinden Droyßig, Delitzsch, Nordhausen, Langenweddingen, Hecklingen und Wittenberg-Piesteritz. Eines der vielen Opfer wurde ich in Delitzsch! Mir sind weitere Opfer bekannt, sie schweigen und können nicht darüber sprechen. Da ich selbst 35 Jahre geschwiegen habe, verstehe ich ihr Schweigen. Bedingt durch die Schweigepraxis des Bischöflichen Ordinariats Magdeburg, konnte ich nach dem Missbrauch durch Pfarrer K. von einem weiteren Kirchenangestellten sexuell ausgebeutet werden. Als Pfarrer K. vor wenigen Jahren in das Bistum Limburg wechselte, wurde die Praxis des Verschweigens beibehalten. Der Generalvikar von Limburg, Dr. G., erhielt keinerlei Informationen vom Bistum Magdeburg über die Verbrechen von Pfarrer K.

Nachdem ich nach 35 Jahren meine Schweigemauer durchbrach, zeigte ich zunächst Pfarrer K. beim Generalvikar Dr. G. in Limburg an, den Namen des zweiten Missbrauchers konnte ich zu dieser Zeit noch nicht aussprechen. Der Generalvikar versicherte mir, nichts von den verbrecherischen Handlungen von Pfarrer K. gewusst zu haben und war voller Entsetzen darüber, dass er keinerlei Informationen vom Bistum Magdeburg erhalten hatte, obwohl die Vorgänge bekannt waren.

Die Verantwortlichen im Bistum Magdeburg, die Pfarrer K. immer wieder in eine andere Gemeinde versetzt haben, obwohl sie wussten, dass er Kinder und Jugendliche sexuell missbrauchte, tragen die Hauptschuld daran, dass auch ich von ihm und danach vom Kirchenangestellten sexuell missbraucht werden konnte. 45 Jahre lang leide ich wegen der schweren traumatischen Erlebnisse unter Depressionen, Schlafstörungen, Ängsten, innerer Unruhe, Schwindel, Herzklopfen und Schwitzen.

Ich war zehn Jahre alt und stolz darauf, nun endlich Messdiener zu sein, um am Gottesdienst aktiv teilnehmen zu dürfen. Am Morgen eines sonnigen Wochentages zelebrierte Pfarrer K. die heilige Messe. Nach dem Gottesdienst nahm er mich mit in seine Wohnung. In der ersten Etage eines kleinen Hauses, unmittelbar in der Nähe der Kirche, hatte er eine kleine Küche, ein kleines Schlafzimmer und ein kleines Wohnzimmer. Im Schlafzimmer standen ein Kleiderschrank, sein Bett und eine Kniebank, wo er seine Gebete verrichten konnte. Unmittelbar neben dem Bett stand ein großes Radio auf einem Hocker, das er vom Bett aus bedienen konnte. Das Wohnzimmer hatte eine bunt gemusterte Tapete, eine Tür zum Schlafzimmer und eine Tür, die direkt ins Treppenhaus ging. Im Erdgeschoss war die Bücherei der Gemeinde untergebracht, die immer nach den Gottesdiensten geöffnet hatte. Wenn man vom Treppenhaus aus ins Wohnzimmer ging, stand rechts ein Bücherschrank aus dunkelbraunem Eichenholz mit Glastüren. Daneben stand ein Schreibtisch, der bis an ein Sofa angrenzte, das quer vor dem Fenster stand. Vom Sofa aus blickte man auf ein Loch, welches sich in der Stirnseite des Schreibtisches befand. Es war so groß, dass ich meinen kleinen Finger in das Loch stecken konnte. Die Ränder des Loches waren ausgefranst. Neben dem Sofa, zwischen den beiden Fenstern, stand ein kleiner runder Tisch und vor dem

Tisch ein Sessel. Pfarrer K. schloss die Tür zum Treppenhaus ab und setzte sich in den Sessel, zog mich an sich und setzte mich auf seinen Schoß. Er knöpfte mir den Hosenstall auf und spielte mit seinen Händen, mit denen er kurz zuvor die heilige Kommunion ausgeteilt hatte, an meinem Schwanz herum und bewegte meine Vorhaut vor und zurück. Nach etwa 20 Minuten hatte ich das Gefühl auf die Toilette gehen zu müssen und wollte auch gehen, doch Pfarrer K. hielt mich auf seinem Schoß fest und machte weiter, bis mein Schwanz angeschwollen war und sehr wehtat. Die Sonne schien zum Zimmer herein und auf dem Schreibtisch lag das Buch, das sonst immer auf der Kniebank lag. Er betete jeden Tag daraus.

Mein Seelenmord war vollzogen!

35 Jahre lang habe ich geschwiegen. Ein Jahr lang habe ich vor einem Spiegel geübt, um im Familienkreis den Satz auszusprechen, ‚Ich bin sexuell missbraucht worden!‘ Bis zum heutigen Tag existiere ich für diese Familie nicht mehr. Sie haben mich vor zehn Jahren lebendig begraben!

Nach 40 Jahren habe ich das Zimmer wieder gesehen, in dem der sexuelle Missbrauch zum ersten Mal stattgefunden hat. Es wohnten nette Menschen dort und die Möbel waren auch andere. Meine Seele war immer noch in dem Zimmer, sie wollte nicht mit mir gehen. Sie schreit nach mir und will, dass ich weiter aufschreibe, was die Verbrecher alles mit mir gemacht haben. Ich sage ihr, dass es keinen Zweck hat, es will niemand wissen, ich werde von allen gemieden, das tut so verdammt weh!

Wenn ich mit dem Rücken auf dem Sofa lag und er auf mir, so dass er meinen Schwanz in den Mund nehmen konnte, steckte ich meinen kleinen Finger in das Loch vom Schreibtisch, bohrte so lange darin herum, bis die Scheiße vorbei war. Das ausgefranste Loch war nicht ganz rund und es gab da interessante Ausbuchtungen, die ich sehr genau untersuchte. Links oben war die Ausbuchtung stärker ausgeprägt als weiter unten. An manchen Tagen tat mir der Finger weh, weil ich zu lange die Ausbuchtungen untersuchte. Pfarrer K. war ein Freund unserer Familie und besuchte uns sehr oft. Es wurden viele Feste gefeiert und es ging sehr lustig dabei zu.

Wenn der Alkohol ausging, gab mir Pfarrer K. Geld und ich musste dann in die Gaststätte ‚Zur Linde‘ gehen, um Krim-Sekt für 20 Mark zu kaufen. Als ich wiederkam, tanzte meine Mutter mit Pfarrer K. in unserem sehr kleinen Wohnzimmer. Vor einer solchen Feier waren Pfarrer K. und ich kurzzeitig allein im Wohnzimmer. Er öffnete meinen Hosenstall und wollte mir einen runterholen, was aber nicht gelang, da plötzlich jemand ins Zimmer kam. Niemand bemerkte etwas oder wollte nichts merken. Wieso auch, dass Pfarrer K. missbrauchte war eh bekannt in der Gemeinde, nur ausgesprochen hat es niemand.

Als ich zehn Jahre alt war, hat mir dieses widerliche Schwein seine ekelerregende Zunge in meinen kleinen zarten Kindermund gesteckt – seitdem leide ich an starkem Brennen der Haut um den Mund herum, besonders morgens und nach jedem Essen.

Vor Schulbeginn war ich sehr oft in der Frühmesse als Messdiener, wenn sie vom Pfarrer K. gefeiert wurde. Bei der heiligen Wandlung kam es vor, dass ich mir in die Hose schiss. In Panik bin ich dann nach Haus gerannt, habe meine Hose weggeschmissen und bin zu spät in die Schule gekommen. Wenn ich nachts ins Bett gepisst hatte, sagte mir meine Mutter, dass ich mich dafür schämen sollte und schickte mich zum Gottesdienst. Ich schiss wieder in die Hosen oder wurde erst sexuell missbraucht, so genau weiß ich das nicht mehr, es war zu oft. In der Schule war ich geistig immer abwesend, ein Außenseiter. Nachdem der Kirchenangestellte eingehend den damaligen Pfarrer S. dazu drängte, in der Sache Pfarrer K. tätig zu werden, folgten umgehend Gespräche mit dem Bischöflichen Ordinariat Magdeburg. Kurz danach ist Pfarrer K. wieder einmal strafversetzt worden.

Als begeisterter Chorsänger wurde ich freundschaftlich in den Kreis der Jugendlichen aufgenommen, die immer beim Kirchenangestellten ein- und ausgingen. Ich fühlte mich sehr wohl und glaubte, zum ersten Mal in meinem Leben, in ihm einen richtigen Freund gefunden zu haben. Da er dafür gesorgt hatte, dass Pfarrer K. versetzt wurde, hatte ich volles Vertrauen zu ihm. Bei ihm war immer Haus der offenen Tür, viele Jugendliche haben sich dort getroffen und auch dort geschlafen. Nach einem solchen Treffen war ich der Letzte und er bot mir an, bei ihm zu schlafen. Er hatte zwei Zimmer, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer in dem ich schlafen sollte. Nachdem ich mich hingelegt hatte und schlafen wollte, kam er zu mir und legte sich neben mich, fing an mich am Bauch zu streicheln und holte mir einen runter. Die gleiche Scheiße ging weiter – bis ich 18 Jahre alt war, mehrere Male in der Woche. Nach einem Kirchenkonzert in Naumburg kroch er unter meine Bettdecke und hat mir einen geblasen, obwohl noch andere Jugendliche im Zimmer geschlafen haben.

Sollten Sie mit solchen Ausdrucksformen Probleme haben, so versichere ich Ihnen hiermit, dass ich sie auch habe!

Meine Seele konnte der Kirchenangestellte nicht ermorden, das hatte Pfarrer K. schon vollbracht! Nie wieder in meinem Leben konnte ich Vertrauen zu Menschen aufbauen! Erst nach 45 Jahren war ich dazu in der Lage, den sexuellen Missbrauch vom Kirchenangestellten beim Bischöflichen Ordinariat in Limburg anzuzeigen.

Gründe des Schweigens: Der bisherige Umgang der katholischen Kirche mit Opfern sexuellen Missbrauchs hat mit zu meinem langen Schweigen beigetragen. Nach 35 Jahren, getrieben von schweren Depressionen, chronischen Schlafstörungen, Heulkrämpfen und extremen Schweißausbrüchen, habe ich meine Schweigemauer im Familienkreis durchbrochen. Kurz danach sprach eine meiner Schwägerinnen vorwurfsvoll das aus, was alle gedacht haben: „Du hast solange geschwiegen, dann hättest du den Rest deines Lebens auch noch dein Maul halten können!“ Dieser Familienkreis meidet mich bis auf den heutigen Tag!

Eine Kontaktaufnahme mit dem jetzigen Pfarrer der katholischen Kirche in Delitzsch, zum Zwecke der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Pfarrer K., ist kläglich gescheitert. Die Gründe des Schweigens sind nicht beim Opfer zu suchen, sondern bei denen, die bisher die Täter geschützt haben und sich nicht eindeutig auf die Seite der Opfer gestellt haben. Sehr geehrter Herr Bischof, der Papst hat öffentlich bekannt, dass die katholische Kirche im Umgang mit sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Mitarbeiter der katholischen Kirche in der Vergangenheit Schuld auf sich geladen hat und entschuldigte sich dafür bei den Opfern. Mit der Anerkennung meiner oben genannten Forderung werde ich erkennen, ob die katholische Kirche es ernst meint, Verantwortung zu übernehmen und bereit ist, sich auf die Seite der Opfer zu stellen. Mein langjähriges Studium und die eigenen Erlebnisse zum Thema sexueller Missbrauch erlauben es mir, in der Öffentlichkeit über alle Einzelheiten zu sprechen. Wir können es gern gemeinsam tun!

Mit freundlichen Grüßen Norbert Denef

Eine Kopie dieses Schreibens habe ich an Papst Johannes Paul II geschickt. Mit mir gesprochen hat der Bischof bis heute kein einziges Mal. Er beauftragte einen Anwalt, der mir mitteilte, dass sich bei der Aufklärung der seinerzeitigen verwerflichen Vorgänge erhebliche Schwierigkeiten ergeben.

Nach mehr als 30, ja 40 Jahren lassen sich etwaige persönliche vorwerfbare Handlungsweisen von mit der Angelegenheit des beschuldigten Pfarrers befassten verantwortlichen Vorgesetzten im kirchlichen Dienst nicht mehr mit hinreichender Sicherheit aufklären. Jedenfalls vermitteln die im Bistum vorhandenen archivierten Akten keinerlei klaren Einblick in die damaligen Vorgänge. Sie lassen insbesondere nicht erkennen, dass die verwerflichen persönlichen Übergriffe, denen Sie nach Ihrer glaubhaften Schilderung ausgesetzt waren, von verantwortlichen kirchlichen Amtsträgern bewusst vertuscht oder verschwiegen worden sind.

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