Die Opposition im Sudan erhebt schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Sie wirft Präsident Omar al-Baschir vor, mit Fälschungen schon bei der Wählerregistrierung eine freie Wahl unmöglich gemacht zu haben. Zudem habe die Regierungspartei die Wahlkommission beeinflusst und einen freien Wahlkampf behindert. Die wichtigsten Oppositionsparteien boykottieren deshalb die Wahl. Was halten Sie von diesen Vorwürfen?
Stefan Kröpelin: Der Sudan ist der größte Flächenstaat Afrikas mit vielen unzugänglichen Gebieten und einer Mehrheit von Analphabeten. In viele ländliche Landesteile gelangen Informationen nur dann, wenn irgendwo ein Satelliten-Fernseher herum steht. Es ist eine erhebliche logistische Herausforderung, in einem solchen Land eine Wahl durchzuführen. Europäische Maßstäbe kann man in Afrika schlichtweg nicht anlegen.
Ich glaube, dass es sich bei den Vorwürfen der Oppositionsparteien um ein reines Manöver handelt, um diese Wahlen in Misskredit zu bringen. Denn sie müssen eine schwere Wahlniederlage befürchten. Präsident al-Bashir hat gerade in letzter Zeit so an Popularität gewonnen, dass er unbestreitbar als Sieger aus dieser Wahl hervorgehen wird.
Die Sudanesen dürfen nach mehr als 20 Jahren erstmalig richtig wählen. Ist das nicht ein Kennzeichen für eine Diktatur?
Stefan Kröpelin: Es gab im Sudan Wahlen, die aber von westlichen Staaten nicht anerkannt wurden. Bei der Beurteilung solcher Wahlen muss man aber die afrikanischen Verhältnisse berücksichtigen. Es gibt 50 afrikanische Staaten und in kaum einem der anderen Länder sieht es besser aus. In Nachbarländern des Sudan wie Saudi-Arabien oder Libyen gab es noch nie Wahlen und es wird in absehbarer Zeit auch keine geben. Der sudanesische Präsident Bashir kam 1989 durch einen unblutigen Putsch an die Macht, als es mit dem Land bergab ging. Im Süden des Landes eskalierte damals der Krieg. Bei aller möglicher Kritik an Bashir, muss man sehen: Er hat unter dem Strich eine nützliche und pragmatische Politik betrieben.
Präsident al-Bashir gilt als Diktator, der die Opposition brutal unterdrückt ...
Stefan Kröpelin: Dem würde ich völlig widersprechen. In anderen afrikanischen Ländern sind die Verhältnisse viel schlechter als im Sudan. Im Gegensatz zu anderen Staaten des Kontinents gibt es im Großraum der Hauptstadt Khartum eine sehr ausgeprägte, offene politische Streitkultur. Wäre Bashir ein brutaler Diktator, dann wäre es jetzt auch gar nicht zu den Wahlen gekommen.
Auch kann von einer brutalen Unterdrückung der Opposition nicht die Rede sein. Nehmen Sie beispielsweise einen der Hauptkonkurrenten von Bashir, Hassan 'Abd Allah al-Turabi, der anfangs auch in der Regierung war. Turabi wurde von den USA immer als Terrorist angeklagt und hat Stämme in westsudanesischen Provinz Darfur aufgewiegelt. Nachdem er dann aus der Regierung gedrängt wurde und Hausarrest erhielt, kamen aus den USA aber plötzlich Vorwürfe, Oppositionspolitiker könnten im Sudan nicht mehr so schalten und walten, wie sie wollen. Hier muss man anmerken, dass Turabi keineswegs im Gefängnis saß, sondern lediglich zu Hause, wo er ausländische Regierungsvertreter empfangen konnte.
Aber Polizisten prügeln im Sudan auf Demonstranten ein ...
Stefan Kröpelin: Es gibt solche Berichte in westlichen Medien. So etwas ist aber kein spezifisches Kennzeichen des Sudan. In sehr vielen Ländern der Erde werden Demonstranten von der Polizei verprügelt, auch in Deutschland und in den USA. Im Sudan kommen solche Einzelfälle sofort in die internationale Presse, während über prügelnde deutsche oder amerikanische Polizisten kaum berichtet wird. Die Polizei im Sudan ist schlecht bezahlt und schlecht ausgebildet. Hier könnte Deutschland tatsächlich bei der Ausbildung der Polizei helfen.
Sie halten die Wahlen also für demokratisch?
Stefan Kröpelin: Ja. Durch die seit Jahren anhaltende anti-sudanesische Haltung des Westens spielt Bashir jetzt natürlich die nationalistische Karte. Er geht in seiner Politik aber sehr pragmatisch vor. Wer den Sudan von früher kennt, weiß, welchen Boom das Land in den letzten Jahren erlebt, seit die Erdölquellen sprießen und das Friedensabkommen mit den Rebellen des Südsudan geschlossen wurde. Bashir hat den Krieg im Süden beendet. Die Sharia wurde entschärft. Und das Alkoholverbot ist meines Erachtens für den Sudan durchaus positiv.
Durch die undogmatische Politik von Bashir gab es im Großraum Khartum und in den Städten des Nordens, wo Bashir seit dem Friedensabkommen nur noch zuständig ist, einen unglaublichen Boom. Die Lebensbedingungen verbessern sich deutlich sichtbar. Neue Brücken, Dämme, Straßen, Fabriken, Flugplätze, Schulen allerorts, das Inlandsprodukt hat sich fast verdreifacht in den letzten 10 Jahren. Korruption spielt keine Rolle ...
Alle merken, dass es mit dem Sudan aufwärts geht. Bashir betreibt eine effektive Politik und hat dadurch in der Bevölkerung extrem an Popularität gewonnen. Alle haben zugleich das Gefühl, dass es eine ausländische Verschwörung gegen den Sudan und seinen Präsidenten gibt. Wenn er jetzt die Wahl gewinnt, dann allein deswegen, dass die meisten Nordsudanesen hinter ihm stehen.
Aber es gibt doch viele kritische Stimmen im Sudan, sehr viel öffentlichen Protest ...
Stefan Kröpelin: Ja natürlich gibt es öffentlich artikulierte Kritik, aber das ist doch ein Beweis dafür, dass die Unterdrückung nicht so schlimm ist wie behauptet. Vergleichen Sie das mal mit Ländern wie Saudi-Arabien oder China, wo öffentliche Kritik nicht geduldet wird.
Am lautstärksten in der Kritik der sudanesischen Regierung sind im Übrigen immer die Exil-Sudanesen. Manche Sudanesen erzählen mir, dass ihre Verwandten, die beispielsweise in die USA oder nach Israel ausgewandert sind, von einem Tag auf den anderen ihre Meinung über den Sudan geändert haben. Urplötzlich verwandelten sie sich von moderaten Kritikern des Landes in Hardliner. Die Leute schmunzeln dann über ihre Familienangehörigen, die im Ausland zu massiven Sudan-Kritikern werden und dann Kampagnen gegen ihr Heimatland unterstützen.
Al-Bashir wird vom Internationalen Strafgerichtshof ICC als Kriegsverbrecher gesucht. Westliche Medien schreiben regelmäßig, er werde wegen Völkermordes in der westsudanesischen Provinz Darfur per Haftbefehl gesucht. Auch die so genannte internationale Staatengemeinschaft erhebt also schwere Vorwürfe ...
Stefan Kröpelin: Die Sicht auf diese Dinge innerhalb des Landes unterscheidet sich fundamental von dem von westlichen Massenmedien gezeichneten Bild. Natürlich gibt es Probleme in Darfur - aber keinen Völkermord. Dieser Vorwurf ist völlig abwegig und wird inzwischen selbst vom Internationalen Strafgerichtshof nicht mehr aufrechterhalten.
Unter dem fast schon fanatischen Oberstaatsanwalt Luis Moreno-Ocampo recherchierte ein Team von rund 200 Ermittlern rund sieben Jahre lang, um den Hauptanklagepunkt des Völkermords zu untermauern. Dieses Team hat aber, obwohl es mit allen finanziellen Mitteln und Reisemöglichkeiten ausgestattet war, nicht einmal einen Tag vor Ort in Darfur recherchiert. Es wurden nach offiziellen Angaben auch keinerlei geheimdienstlichen Berichte berücksichtigt. Es wurde so schlampig recherchiert, dass eine solche Anklage in Deutschland noch nicht einmal hinreichende Beweise für einen einzelnen Mord erbringen würde. Schon gar nicht konnte damit ein Völkermord nachgewiesen werden.
Mit diesen Ermittlungsergebnissen konnten schließlich nicht einmal die eigenen Richterinnen am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überzeugt werden. Den Vorwurf des Völkermords ließ man fallen. Es wurde dann ausgewichen auf den Vorwurf allgemeiner Kriegsverbrechen und von Vergewaltigungen, die angeblich in direkter Befehlskette von Bashir angeordnet worden sein sollen. Das sind meines Erachtens unbelegte Vorwürfe, die vor einem unparteiischen Gericht kaum Bestand haben dürften.
Die Afrikaner wundern sich, warum beim Internationalen Strafgerichtshof fast nur Afrikaner angeklagt werden. Er wird deshalb als europäische neokoloniale Institution angesehen. Nicht nur viele Afrikaner fragen sich, warum nicht zum Beispiel der einstige US-Präsident George W. Bush und sein Vizepräsident Dick Cheney wegen des völkerrechtlich illegalen Angriffskrieges gegen den Irak mit seinen Hunderttausenden von Toten und Vertriebenen vom ICC angeklagt wurden.
Die Zentralregierung von al-Bashir arbeitet eng mit China zusammen. Die südsudanesischen Rebellen paktieren mit den USA und Europa. Wie kommt das?
Stefan Kröpelin: China ist keineswegs der Wunschpartner des Sudan gewesen. Vielmehr hatte die deutsche Industrie vor Jahren das beste Ansehen im Sudan. Deutschland hätte vom Öl-Boom am meisten mit profitieren können. Man hätte damit auch ganz andere Einflussmöglichkeiten auf die Politik und die Demokratisierung haben können. Das wurde aber leichtfertig verspielt. Die Bush-Administration der USA hat US-Firmen verboten, im Sudan zu investieren und die Deutschen haben sich dem blind angeschlossen. Den Sudanesen blieb daraufhin gar nichts anderes übrig, als mit China zusammenzuarbeiten.
Natürlich geht es China ebenso wie den USA und den europäischen Staaten vornehmlich um die Rohstoffe. Aber: Die Chinesen sind immerhin diejenigen, die militärisch in Afrika nicht präsent sind. Mir ist nicht bekannt, dass auch nur ein einziger chinesischer Soldat in Afrika stationiert ist. Es gibt dagegen so manche militärische Einmischung westlicher Länder, beispielsweise auch Frankreichs, in Afrika. China vergibt hohe zinslose Kredite und betreibt eine sehr effektive Entwicklungshilfe, die viel umfangreicher ist als das, was beispielsweise die europäische Entwicklungshilfe leisten könnte.
Die Chancen Deutschlands wurden durch geradezu starrsinnige Sudan-Gegner wie den FDP-Politiker Gerhard Baum, die Grünen-Politikerin Kerstin Müller und die ehemalige sozialdemokratische Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zerstört.
Es war nur eine Handvoll von Politikern, die kritiklos die Bush-Politik und die einseitige Haltung der westlichen Medien gegenüber dem Sudan vertreten haben. In reiner Ignoranz gegenüber den Verhältnissen vor Ort und den eigentlichen Ursachen des Darfur-Konflikts haben sie die deutsche Politik frühzeitig auf die US-amerikanische Boykott-Politik eingeschworen. Dadurch wurden nicht nur Milliardenaufträge für die deutsche Industrie verspielt, sondern auch viele Möglichkeiten der Einwirkung auf die politischen Verhältnisse im Land. Auch alle GTZ-Projekte wurden aus dem Nordsudan zurückgezogen. Man hätte sehr viel mehr bewirken können als durch diesen lächerlichen und kontraproduktiven Boykott.
Die USA und Deutschland wollen die Teilung des Landes, also die Abspaltung des Südsudan durchsetzen. Worum geht es eigentlich?
Stefan Kröpelin: Es geht da natürlich um Großmachtpolitik, um strategische Interessen, um Rohstoffinteressen, um die Konkurrenz mit China. Seit der US-Ölkonzern Chevron Ende der 1970er Jahre im Südsudan Öl gefunden hatte, wurden die südsudanesischen Rebellen von den USA systematisch mit Waffen beliefert und trainiert. Die USA hatten offenbar von Anfang an die Absicht, das riesige Land zu teilen, vor allem, um einen möglichst exklusiven Zugriff auf die Erdölvorkommen im Südsudan zu haben. Ebenso arbeitet Deutschland aus Wirtschaftsinteressen und wegen des erhofften Zugriffs auf das Öl und andere Ressourcen eng mit dem Südsudan zusammen.
Das Friedensabkommen von 2005 sieht nach den jetzigen Wahlen im kommenden Januar 2011 ein Referendum über die mögliche Sezession des Südsudan vor. Es wird damit gerechnet, dass die Südsudanesen für eine Abspaltung votieren würden. Wird es dazu kommen?
Stefan Kröpelin: Im Südsudan ist das Bildungsniveau noch sehr viel niedriger als im Nordsudan. Der Südsudan ist auch ökonomisch weit zurück und dadurch sind die Menschen dort zum großen Teil überhaupt nicht in der Lage, die Folgen einer Abtrennung abzuschätzen. Sie können von den Befürwortern einer Sezession mit einfachen Mitteln leicht beeinflusst werden, darunter auch etwa von ausländischen kirchlichen Organisationen.
Es ist daher gut möglich, dass es zur Abspaltung des Südsudan kommt. Meines Erachtens hätte eine solche Abtrennung für die normalen Südsudanasen enorme Nachteile. Denn die Führung des Südsudan konnte die Lebensbedingungen der Menschen in den vergangenen Jahren kaum verbessern, obwohl der Südsudan seit Jahren wesentlichen Anteil an den Erdöleinnahmen hat. Man sieht dort keine positiven Effekte. Ohnehin bekämpfen sich im Südsudan die verschiedenen politischen Gruppierungen gegenseitig. Selbst die politische Elite des Südsudan lebt nicht im armen Süden des Landes, sondern lieber in der boomenden Hauptstadt Khartum.
Kommt es bald zu einem neuen Krieg zwischen dem Nord- und dem Südsudan, weil die Zentralregierung eine Teilung des Landes verhindern will?
Stefan Kröpelin: Auch das sind unhaltbare Behauptungen westlicher Medien. Selbst viele Sudankritiker gehen davon aus, dass Präsident Bashir eine Abspaltung des Südsudan anerkennen würde. Bashir hat mehrfach bestätigt, dass er die Abspaltung anerkennen wird. Der Grund dafür ist einfach: Der Krieg mit den südsudanesischen Rebellen hat viele Jahre lang die Entwicklung des Landes verhindert. Zudem geht Bashir wohl davon aus, dass der Süden sich selbst im Falle einer Abspaltung bald wieder an den Nordsudan annähern würde, weil der völlig unterentwickelte Süden alleine nicht vorankommt.
Ich halte es daher für ausgeschlossen, dass es wieder zu einem von der möglichen Nord-Regierung entfachten Nord-Süd-Krieg kommt. Viel eher wird es im Südsudan selbst zu bewaffneten Auseinandersetzungen der Stämme und Gruppierungen untereinander kommen. Der Südsudan ist ein künstliches Zwangsgebilde willkürlicher kolonialer Grenzziehungen.
Es werden seit Jahren Waffen in den Südsudan geschafft ...
Stefan Kröpelin: Es ist zu befürchten, dass immer mehr Waffen und Kleinwaffen in Umlauf kommen, die natürlich auf Jahrzehnte jederzeit die Seiten wechseln können. Die Waffen werden dann nicht mehr für den Zweck eingesetzt, den sich die Lieferländer oder Waffenhändler versprechen. Rebellen können zu Banditen werden oder wechseln auf die Gegenseite, oder die Waffen landen in den Nachbarländern. Es kann wie in Afghanistan kommen, wo die vom Westen für den Krieg gegen die Sowjetunion gelieferten Waffen heute gegen die ehemaligen westlichen Waffenlieferanten eingesetzt werden.
Jede Waffenlieferung in diese Länder bleibt ein Verbrechen. Mit bewaffneten Konflikten geht die Entwicklung nur rückwärts. Daher kam es vor Kurzem auch zum Friedensabkommen zwischen Tschad und Sudan.
Was machen eigentlich die deutschen Bundeswehr-Soldaten, die im Namen der Vereinten Nationen im Sudan das Friedensabkommen überwachen sollen?
Stefan Kröpelin: Ich würde sagen, sie bewirken überhaupt nichts - außer Spesen nichts gewesen. Diese UN-Maßnahmen verursachen nur hohe Kosten. Es soll um Milliarden gehen. Sie bringen selbst nach Aussagen der Südsudanesen überhaupt nichts. Die aus vielen Ländern zusammen gemischten UN-Soldaten verbringen die meiste Zeit in ihren stacheldrahtbewehrten Lagern. Einige machen wenig sinnvolle aber extrem teure Überwachungsflüge oder fahren in dem riesigen Land im Jeep, aber nur in der Nähe ihrer Camps herum. Jeden Abend kehren sie ins Lager zurück. Wir haben Soldaten der UNMIS befragt - die wussten teilweise gar nicht, wo sie sind und was sie machen sollen. Sie sitzen in ihren Wohncontainern und schauen sich Pornos an. Da spielt sich ein absurdes Theater ab, das in fernen Hauptstädten des Westens aus politischen Gründen inszeniert wurde.
Mit einem Bruchteil des Geldes hätte man so viel Nützlicheres erreichen können. Man hätte zum Beispiel einheimische Nomaden zu ungleich kostengünstigeren Hilfspolizisten ausbilden können, die das Land und die Sprachen kennen. Die könnten für viel mehr Ordnung sorgen als alle fremden UN-Soldaten, die wie waffenstrotzende Rambos im Jeep durch die Gegend fahren. Es ist nicht nachvollziehbar, wie man so viel Geld verschwenden kann.
ngo sprach mit Stefan Kröpelin