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Nach Volksabstimmung

Deutschland verlangt weitere Ratifizierung des EU-Reformvertrags

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Deutsche Politiker kämpfen weltweit für die Einführung eine "Demokratie", tun sich aber schwer damit, wenn die Bevölkerung anders votiert als die Regierenden es sich wünschen. Mit dem Nein der Iren zum "EU-Reformvertrag" (Vertrag von Lissabon) ist die Ratifizierung des formal gescheitert. Dennoch rufen Deutschlands Europapolitiker dazu auf, die Ratifizierung fortzusetzen. Von gemeinsamem Handeln in Europa ist die Rede. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte am Montag (16. Juni) auf dem Krisentreffen der 27 EU-Außenminister in Luxemburg, jetzt müsse es darum gehen, zusammen mit Irland die "Situation zu deblockieren". Sein irischer Amtskollege Micheal Martin mahnte, noch sei es zu früh, einen Vorschlag zum Ausweg aus der neuen "Verfassungskrise" vorzulegen. In der vergangenen Woche hatten die Iren den geplanten Vertrag von Lissabon in einer Volksabstimmung mehrheitlich abgelehnt. Der inhaltlich vergleichbare "EU-Verfassungsvertrag" war 2005 in Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Bei der Ratifizierung des Reformvertrages durfte nur die Bevölkerung Irlands über die Ratifizierung abstimmen, weil es die Verfassung zwingend vorsah. In allen anderen EU-Mitgliedsstaaten wollte man die Bevölkerung vorsorglich nicht entscheiden lassen.


Am Donnerstag (19. Juni) kommen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel zu ihrem zweitägigen Sommergipfel zusammen. Dabei wird eine Vorlage des irischen Premiers Brian Cowen erwartet, wie die neue "Verfassungskrise" in Europa überwunden werden kann.

Mittlerweile wird in Irland sogar eine neuerliche Volksabstimmung nicht mehr ausgeschlossen, sollten sich Bestandteile des Reformvertrages ändern. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm betonte, Gespräche mit Irland seien "alternativlos".

"Das irische Votum darf die EU nicht aufhalten"

In Deutschland geht unterdessen die Debatte weiter, ob nach dem irischen Nein die EU nicht doch auf ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten" setzen solle. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), sagte, darüber Ende des Jahres im Lichte des abgeschlossenen Ratifizierungsprozesses zu entscheiden. Für den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), schließen unterschiedliche Geschwindigkeiten nicht aus, dass sich einzelne Länder auch wieder an den Prozess "ankoppeln" können.

Ähnlich wie die Union äußerten sich die Liberalen. Das irische Votum dürfe die EU nicht aufhalten, mahnte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Zwar sollten die notwendigen Reformen der EU "möglichst gemeinsam" erreicht werden. Wenn diese jedoch unmöglich sein sollte, seien auch andere Modelle "zulässig und sinnvoll".

Grünen-Chefin Claudia Roth wandte sich gegen Überlegungen eines "Kerneuropa". Es müsse mit Irland "auf gemeinsamer Augenhöhe" in Verhandlungen geklärt werden, "wie institutionelle Errungenschaften gerettet werden können", die eine Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit der EU seien. CSU-Vize Ingo Friedrich sieht als Lösungsansatz "einige Austrittsmöglichkeiten" für Irland in dem Vertragstext, was ein neuerliches Referendum ermöglichen würde.

"Abrüstung bis zur strukturellen Angriffsunfähigkeit"

Die Linke plädierte indes für eine völlige Überarbeitung der künftigen EU-Rechtsgrundlagen. "Das Votum der Iren war kein Votum gegen die europäische Integration, sondern ein Votum gegen Form und Inhalt des Lissabon-Vertrages", so der europapolitische Sprecher der Linksfraktion, Diether Dehm. "Laut Deutschlandfunk sagen die aktuellen Umfragen, dass die Bevölkerung in Frankreich bei einer neuen Abstimmung den Vertrag von Lissabon wieder ablehnen würde." Wer von "besonderen" französischen, von "besonderen" niederländischen und jetzt "besonderen" irischen Motiven schwadroniere, wolle das Signal von Dublin weder zur Kenntnis nehmen noch verstehen.

"Wie der überwiegende Teil der europäischen Bevölkerung sind auch die Iren gegen die neoliberale und militaristische Ausgestaltung des Vertrages, die zur Zerstörung sozialer Standards und zum Umbau der EU zu einer Militärunion führt", so Dehm. Das alles werde unter den Deckmantel der "Globalisierung" betrieben wovon stets behauptet werde, hierzu würde es keine Alternative geben.

Die Linke fordert, das irische Nein zu respektieren und zu einer Neuverhandlung des Lissabon-Vertrages zu kommen. Statt der "schrittweisen Verbesserung der militärischen Fähigkeiten" im Lissabon-Vertrag müsse ein Passus mit "Abrüstung bis zur strukturellen Angriffsunfähigkeit" in die neuen europäischen Verträge aufgenommen werden. Statt mit dem neoliberalen Begriff des "unverfälschten Wettbewerbs" die EU zu einer reinen Wettbewerbsunion umzubauen, müsse der Sozialstaatsgedanken im europäischen Primärrecht verankert werden. "Die europäischen Verträge müssen so gestaltet werden, dass Urteile wie beim VW-Gesetz zur Verhinderung von Einfluss durch die öffentliche Hand, wie beim Rüffert-Urteil zur Zerstörung von Tariflöhnen oder zur Einschränkung des Streikrechts im Viking-Laval-Urteil durch den EUGH nicht mehr möglich sind", fordert Dehm.

Der slowenische Außenminister und amtierende EU-Ratspräsident Dimitrij Rupel appellierte an die EU-Mitgliedsstaaten, die nach dem irischen Referendum entstandene Situation "sorgfältig zu analysieren". Zugleich bewertete er die Forderungen nach Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses zurückhaltend: "Angesichts der Blockade wäre es riskant zu sagen, wir beleben den Vertrag." Ob dies möglich sei, müsse man in den kommenden Tagen sehen.

Bislang haben 18 der 27 EU-Länder den Reformvertrag gebilligt. Als nächstes steht am Mittwoch eine Entscheidung in Großbritannien an. Unter französischer EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli für sechs Monate beginnt, sollte nach bisherigem Fahrplan dieser Prozess abgeschlossen werden.

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