Der so genannte "Vertrag von Lissabon" soll die Europäische Union ab 2009 auf eine neue Rechtsgrundlage stellen. Dazu muss er in Deutschland sowohl vom Bundestag als auch vom Bundesrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit bestätigt werden. Im Bundestag ist eine Beschlussfassung für den 25. April geplant. Die Länderkammer will auf der Bundesratssitzung am 23. Mai - dem Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes - die neue Grundordnung Europas ratifizieren.
Der CDU-Außenexperte Andreas Schockenhoff sagte, mit dem Reformvertrag werde die EU "mehr Sichtbarkeit nach Innen und Außen" bekommen. So seien künftig ein ständiger EU-Ratspräsident und eine gemeinsamer Außenminister geplant. Und mit der deutlichen Ausweitung der sogenannten doppelten Mehrheiten bei EU-Entscheidungen würden Blockademöglichkeiten eingeschränkt. Der SPD-Abgeordnete Michael Roth sagte, mit dem Vertrag werde ein wichtiger Schritt hin zu einer "Union der Bürger" getan.
Für die FDP kritisierte der Abgeordnete Markus Löning, dass der freie Wettbewerb aus dem Zielekanon der EU gestrichen wurde. "Europa ist immer auch eine Union der freien Bürger gewesen", sagte er. Es sei bedauerlich, dass soziale Ziele nach vorn gerückt seien. Es dürfe nicht zu viel staatliches Handeln zugelassen werden. Da der Vertrag aber generell ein wichtiger Schritt sei, um Europa nach vorn zu bringen, werde die FDP zustimmen.
Militarisierung oder Friedenspflicht?
Eine klare Ablehnung kam von der Linken. Parteichef Lothar Bisky beklagte erneut eine aus Sicht der Linkspartei falsche Ausrichtung der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der Vertrag von Lissabon sei hier "ein alter Brief im neuen Umschlag". Außerdem bemängelte Bisky eine Militarisierung der Außenpolitik. Positiv sei, dass die Mitbestimmungsrechte des EU-Parlaments gestärkt werden.
Nach Auffassung von Bisky ist es "ein Skandal, wie sich die herrschende politische Klasse in Europa über den Willen der Bürgerinnen und Bürger hinwegsetzt". Nachdem das Nein der Bevölkerung in Frankreich und den Niederlanden die EU-Verfassung zu Fall gebracht hätten, werde eine leicht veränderte Neufassung an der Bevölkerung vorbei durch die Parlamente gebracht. "So etwas fördert Politikverdrossenheit und die Entfremdung der Menschen von der Idee der Europäischen Union", so Bisky. Die Linke fordert daher Volksabstimmungen in allen Mitgliedsländern der Union, möglichst am selben Tag. Die Partei will daher das Grundgesetz ändern und sammelt Unterschriften für einen Volksentscheid über den Vertrag von Lissabon.
Der Grünen-Europaexperte Rainder Steenblock sagte, in keinem EU-Vertrag bisher seien die zentralen sozialen Ziele so integriert worden wie im jetzigen Reformvertrag. Auch werde die EU-Grundrechtecharta endlich rechtsverbindlich. Falsch sei ferner, dem Reformvertrag einen Beitrag zur Militarisierung zu unterstellen. Vielmehr werde die "Friedenspflicht" für die EU festgehalten und zivilen Lösungsmöglichkeiten von Konflikten der Vorrang gegeben. Aus diesen Gründen trügen die Grünen den Reformvertrag mit.
Bevor der EU-Vertrag in Kraft treten kann, muss er in allen 27 Mitgliedsländern ratifiziert werden. Bisher ist Frankreich ngarn, Slowenien, Malta, Rumänien und Frankreich geschehen. Wenn der Ratifizierungsprozess in Europa wie geplant bis Jahresende abgeschlossen ist, könnte die Reformen ab 1. Januar 2009 und damit rechtzeitig zur Europawahl im Juni kommenden Jahres greifen.
Während die Abgeordneten im Bundestag über den EU-Vertrag diskutierten protestierte Attac nebenan vor dem Kanzleramt. Die Globalisierungskritiker forderten die Durchführung eines Referendums und eine breite gesellsch Frankreich ebatte über das Vertragswerk. "Die sogenannte EU-Verfassung wurde von den Menschen in Frankreich und den Niederlanden gestoppt. Jetzt liegt sie mit lediglich kleinen Änderungen unter dem Titel 'Reformvertrag' wieder auf dem Tisch", kritisiert Carla Krüger von Attac.
Dieses Mal sei es "auch den Menschen in Großbritannien und den Niederlanden nicht erlaubt, ein Votum darüber abzugeben. Dieser Vertrag zementiert aber eine rücksichtslose neoliberale Politik und hat Konsequenzen für Jeden von uns. Deshalb fordern wir, dass es Volksabstimmungen über dieses Vertragswerk geben muss."