Die CDU war am 27. Januar nach beispiellosen Stimmenverlusten äußerst knapp als stärkste Kraft aus der Hessen-Wahl hervorgegangen. CDU und SPD verfügen jetzt über gleich viele Mandate im Hessichen Landtag. Zugleich gelang der Linkspartei der Sprung ins Parlament. Im Landtag gibt es nun weder eine schwarz-gelbe noch eine rot-grüne Mehrheit. In Niedersachsen kann Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) dagegen seine Koalition mit der FDP fortsetzen.
Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, trotz der Verluste ihrer Partei in Hessen gebe es für Koch einen "Regierungsauftrag". Sie gehe davon aus, dass die CDU "mit allen demokratischen Parteien, also allen außer der Linken" Gespräche führen werde. Koch verwies darauf, dass die hessische Verfassung die Möglichkeit vorsehe, bei fehlenden Mehrheiten im Parlament den Ministerpräsidenten geschäftsführend im Amt zu belassen.
SPD-Chef Kurt Beck sagte, er sehe für Hessen die Chance, eine "solidarische Mehrheit" zusammenzubringen. Es sei ausreichend Zeit da, um zu "vernünftigen" Gesprächen zu kommen, da sich der hessische Landtag erst Anfang April konstituiere. Die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti werde das Gespräch mit den anderen demokratischen Parteien suchen - dies gelte aber nicht für die "sogenannte Linke".
Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sagte, auch für seine Partei komme eine Koalition mit der Linken oder eine Tolerierung durch diese Partei nicht in Frage. Eine Kooperation der Grünen mit der Union sei ebenfalls "ausgeschlossen". Stattdessen warb Bütikofer für eine Ampelkoalition mit SPD und FDP in Wiesbaden.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn spraach sich hingegen für ein rot-rot-grünes Bündnis in Wiesbaden aus. Aus inhaltlicher Sicht spreche "wesentlich mehr für eine Koalition mit der Linkspartei als mit der FDP. Die FDP ist Lichtjahre von uns entfernt", sagte Strengmann-Kuhn der "Frankfurter Rundschau". "Ich plädiere dafür, Verhandlungen mit der Linkspartei aufzunehmen", sagte der hessische Grünen-Politiker. Es wäre in Hessen "den Versuch wert, eine rot-rot-grüne Koalition zu bilden". Strengmann-Kuhn war Anfang Januar als Nachrücker für die aus dem Bundestag ausgeschiedene Grünen-Politikerin Margareta Wolf ins Parlament eingezogen.
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle sagte zu den Mahnungen auch aus der SPD, sein Nein zu einer Ampelkoalition zu überdenken: "Wort halten ist keine liberale Schwäche, sondern eine charakterliche Stärke." FDP-Generalsekretär Dirk Niebel betonte: "Das ewige Anschleimen der Sozialdemokraten geht mir langsam wirklich auf den Zeiger."
Linke-Chef Lothar Bisky forderte die SPD auf, ihre Vorbehalte gegenüber seiner Partei aufzugeben. Er mahnte: "Die Mauer zur Linken muss fallen." Bisky sagte, die SPD habe sich selbst gefesselt und und liege nun da und müsse "mit der FDP den Mindestlohn einüben. Das halte ich für illusorisch, und wenn es in Hessen eine Große Koalition gibt, das ist ja ein Witz der Weltgeschichte", so Bisky. "Die Ausgrenzung könnte beendet werden. Der Kalte Krieg ist beendet. Das sollten die letzten nun auch verstehen. Es gibt die Linke, die gesamtdeutsch antritt und die eine vernünftige, eine irdische, eine realistische Politik mit Alternativen für Hessen und Niedersachsen anbietet."
Ypsilanti sagte, sie wolle zu ihrer Wahl als Ministerpräsidentin "eine klare Mehrheit ohne die Linkspartei haben". Sie will mit allen Parteien vorläufig mit Ausnahme der Linkspartei reden, auch mit der CDU: "Ich würde auch mit Herrn Koch reden." Voraussetzung sei allerdings, "dass die CDU ihre Niederlage eingesteht", schränkte sie ein. Koch und seine CDU seien "abgewählt", die Wähler wollten Koch nicht mehr als Ministerpräsidenten. Bei einer Personen-Direktwahl hätte sie selbst mehr Zustimmung, argumentierte Ypsilanti: "Wir sehen uns als Gewinner dieser Wahl." Eine große Koalition mit der CDU werde aber angesichts der unterschiedlichen Programme schwierig. "Einfach die Person auszutauschen, so einfach ist das nicht", saget sie.
Ypsilanti kündigte weiter an, unverbindliche Gespräche auch mit der FDP führen zu wollen. "Ich fände es sehr merkwürdig, wenn eine Partei der anderen das Gespräch verweigern würde", sagte sie in Richtung der Liberalen. Auf die Gesprächsangebote der Linken und deren Spitzenkandidaten Willi van Ooyen angesprochen, entgegnete sie hingegen: "Ich werde vielleicht mal einen Kaffee mit Herrn van Ooyen trinken - aber dabei bleibt es auch."
Zu ihrer Wahl als Ministerpräsidentin wolle sie "eine klare Mehrheit ohne die Linkspartei haben", dabei werde es auch bleiben. Ypsilanti appellierte zudem erneut an alle Parteien, die Regierungsbildung nicht "übers Knie" zu brechen. "Mein Plan ist, sich einen Moment Zeit zu nehmen", sagte sie. Die Parteien müssten erst noch "feststellen, dass der Wahlkampf vorbei ist".
Der hessische SPD-Schattenminister für Wirtschaft und Umwelt, Hermann Scheer, schließt eine Regierung mit der CDU kategorisch aus. Auch aufgrund der Art des Wahlkampfs sei es "völlig unzumutbar", eine große Koalition zu bilden, sagte er am 28. Januar dem Radiosender Bayern 2. Dies gelte auch für den Fall, dass Koch sich zurückziehen sollte. "Herr Koch hat über Jahre hinweg die CDU in eine ganz bestimmte Richtung mit einer engen Kampftruppe geformt", sagte Scheer. Er könne keinen anderen Politiker erkennen, der von Koch unabhängig und mit einer entsprechenden Autorität ausgestattet wäre, die unabhängig von Koch wäre.
"Es wird nicht gehen, das ist eindeutig, es wird eine Regierungsbildung unter Führung der SPD geben müssen", erklärte der SPD-Politiker. Außer der FDP sei niemand bereit, mit der CDU zu koalieren. "Es wäre auch für die SPD völlig unzumutbar, nicht zuletzt aufgrund der Konstellation in Hessen, der Art des Wahlkampfs, der Art der Politik, der Konfrontation, die auch keine sachlich begründete war, eine Große Koalition zu bilden", sagte Scheer.
Linksparteichef Oskar Lafontaine hält die Tolerierung einer Minderheitsregierung aus SPD und Grünen für denkbar. Er habe grundsätzlich nichts gegen einen solchen Schritt, sagte Lafontaine der Berliner "Tageszeitung". "Wir kaufen sicherlich nicht die Katze im Sack und geben irgendwem eine Blankovollmacht. In welcher Form wir beispielsweise mit der SPD kooperieren können, ist derzeit noch offen", sagte er. Darüber hätten Mitglieder der Linken in Hessen abzustimmen, wenn es soweit sei.
Zu den Bedingungen für eine Tolerierung zählte Lafontaine, "das die Kinder gemeinsam lernen und Schule nicht mehr ausgrenzt". Zudem verlangte der Parteichef ein gebührenfreies Studium, sichere Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst und die "Rekommunalisierung der Energieversorger ohne Atomkraft".
Zur Regierungsfähigkeit der Linken sagte Lafontaine, er kenne das das politische Personal in Deutschland sehr gut. "Glauben Sie mir: Wir können da locker mithalten", so Lafontaine.
Die SPD war bei den Wahlen am Sonntag mit 36,7 Prozent nur äußerst knapp hinter der CDU gelandet, die auf 36,8 Prozent abrutschte.