Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen, die Deutsche AIDS-Hilfe, die Deutsche Journalisten-Union (dju), die Freie Ärzteschaft und der Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) appellieren an die Bundestagsabgeordneten von SPD und Union, die Zustimmung zum aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Vorratsdatenspeicherung zu verweigern.
Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung soll ab 2008 für Sicherheitsbehörden rückblickend über 6 Monate nachvollziehbar machen, wer, wann und mit welchen Adressen das Internet genutzt hat und wer mit wem per Telefon oder E-Mail Kontakt hatte, bei Handy-Nutzung einschliesslich des Standorts. Diese Pläne der Regierungskoalition zur Aufzeichnung von Informationen über die Kommunikation, Beziehungen, Bewegung und Mediennutzung jedes Bürgers stellen nach Auffassung der Kritiker "einige der bislang größten Gefahren für unser Recht auf ein furchtloses, selbstbestimmtes und privates Leben dar". Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung fordert daher eine Abkehr "von diesem verfassungswidrigen Generalangriff auf Bürgerrechte und Datenschutz in Deutschland".
Erfahrungen aus Belgien würden zeigen, dass die geplante Vorratsdatenspeicherung das Ende für viele Kontakte zwischen Informanten und Presse bedeuteten. Wichtige Informationen über Missstände könnten nicht mehr per Telefon, Fax oder Internet weitergegeben werden, weil Informanten damit rechnen müssten, mithilfe von Verbindungsdaten als Quelle identifiziert zu werden.
Ebenso würde das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und ihren Ärzten gestört, weil die Erfassung der Kontakte mit bestimmten Ärzten Rückschlüsse auf persönliche Problemlagen zulasse. Dies könne beispielsweise bei Ehekrisen, Suchtproblemen und bei bestimmten Krankheiten Patienten davon abschrecken, Ärzte anzurufen oder per Internet zu kontaktieren.
"Der faktische Wegfall anonymer Beratungsmöglichkeiten" würde nach Auffassung der Überwachungs-Kritiker generell die Hemmschwelle für viele Menschen in seelischer Not erhöhen, sich telefonisch oder per Internet beraten und helfen zu lassen. Dies könne unter anderem Suizidgefährdete, AIDS-Kranke, Alkoholiker, Gewaltopfer oder Opfer sexuellen Mißbrauchs davon abhalten, im Internet Erfahrungen auszutauschen oder am Telefon anonym Rat zu suchen.
Bis die ersten vorratsgespeicherten Kommunikationsdaten missbräuchlich offengelegt würden, sei erfahrungsgemäß nur eine Frage der Zeit. "Dies zeigten in jüngster Vergangenheit etwa spektakuläre Fälle in Italien, aber auch der Fall eines Bundesnachrichtendienstmitarbeiters aus Berlin."
Schutz durch Richtervorbehalt?
Der im Gesetzesentwurf vorgesehene Richtervorbehalt deckt nach Auffassung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung viele Fälle nicht ab. Wer Inhaber einer Rufnummer sei oder im Internet gesurft habe (Stammdaten), könne ohne richterliche Kontrolle abgefragt werden. Die Geheimdienste könnten Verbindungs- und Standortdaten ohne richterliche Genehmigung abfragen.
Doch selbst in den Fällen, in denen Richter gefragt werden müssten, ist das Problem nach Ansicht der Kritiker nicht vom Tische: "Letztlich ändert ein Richtervorbehalt nichts daran, dass der Richter den Zugriff genehmigen muss, wenn die niedrigen gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind."
Grundrechtseingriff auch bei Bagetelldelikten
Im Gegensatz zur EU-Richtlinie erlaube das in Deutschland geplante Gesetz eine Verwendung der Vorratsdaten nicht nur zur Aufklärung schwerer Straftaten, sondern bei "allen mittels Telekommunikation begangenen Straftaten".
"Dies werden im Schwerpunkt leichte Vergehen wie Beleidigungen im Internet oder das Herunterladen von Klingeltönen und Musik sein", fürchten die Kritiker des Gesetzes. Mit dieser fehlenden Begrenzung auf schwere Straftaten schieße das deutsche Gesetz weit über die europäische Richtlinie hinaus. "Die oft genannte Begrenzung der Speicherfrist auf 6 Monate ist daher nichts weiter als ein Feigenblatt."