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Todesurteile

Diskussionen über Oettingers Trauerrede für Hans Filbinger

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Seine Tätigkeit als Marinerichter während des Nationalsozialismus hat den früheren baden-württembergischen Regierungschef Hans Filbinger (CDU) vor beinahe 30 Jahren das Amt gekostet. Über seinen Tod hinaus sorgt nun eine "Verteidigungsrede" von Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) für Diskussionen. Oettinger stellte Filbinger in seiner Traueransprache als Gegner des Nationalsozialismus dar und muss sich nun heftige Kritik anhören. Filbinger war am 1. April im Alter von 93 Jahren in Freiburg gestorben.


Zehn Tage nach seinem Tod haben rund 700 Menschen in Freiburg Abschied von Filbinger genommen. Im Freiburger Münster versammelten sich Weggefährten und Freunde des CDU-Politikers zu einer Trauerfeier. Zu einem Requiem und einem anschließenden Staatsakt kamen unter anderem Filbingers Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, Lothar Späth, Erwin Teufel sowie der heutige Regierungschef Günther Oettinger (alle CDU). Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Unions-Fraktionschef Volker Kauder (beide CDU) zählten zu den Gästen im Münster. Beigesetzt wurde Filbinger im engsten Familienkreis. Er hinterlässt vier Töchter und einen Sohn, 14 Enkel und zwei Urenkel.

Filbinger: Erinnerungslücken - Weisungen

Am 7. August 1978 musste Filbinger von seinem Amt als Ministerpräsident zurücktreten. Durch Recherchen des Schriftstellers Rolf Hochhuth, der den Begriff vom "furchtbaren Juristen" prägte, war seine Tätigkeit als Marinestabsrichter im Zweiten Weltkrieg bekannt geworden. Damals hatte er als Ankläger oder Beisitzer an mehreren Todesurteilen mitgewirkt.

Es ist offenbar unstrittig, dass in einem Fall ein unter Mitwirkung von Filbinger ergangenes Todesurteil kurz vor Kriegsende vollstreckt wurde: Der Matrose Walther Gröger wurde Anfang 1945 in Oslo wegen Fahnenflucht verurteilt und hingerichtet. Filbinger war am 16. Januar 1945 als Vertreter der Anklage an der Verurteilung beteiligt.

Als der Fall ans Licht kam, machte Filbinger zunächst Erinnerungslücken geltend. Später sprach er davon, an Weisungen gebunden gewesen zu sein.

Die CDU stand zunächst nahezu geschlossen hinter ihm. Im Sommer 1978 wurde jedoch bekannt, dass er noch an weiteren Todesurteilen gegen zwei Fahnenflüchtige beteiligt war. Diese wurden 1945 - in Abwesenheit - zum Tode verurteilt, nachdem sie sich bereits nach Schweden abgesetzt hatten.

Filbinger verteidigte sich mit dem Argument, es habe sich um "Phantomurteile" gehandelt. Den immer lauter werdenden Rücktrittsforderungen konnte er jedoch nicht mehr Stand halten, zumal ihm letztlich auch die eigene Partei das Vertrauen entzog. Seinen Abgang kommentierte er schließlich mit den Worten: "Es ist mir schweres Unrecht angetan worden."

Bis zuletzt wehrte er sich gegen die Vorwürfe und stellte sich als Opfer einer Rufmordkampagne dar. Auch gab er an, mehrere Wehrmachtsangehörige vor Verurteilungen bewahrt und sich dabei selbst in Gefahr gebracht zu haben.

Filbinger wird allerdings auch der Satz "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein" zugeschrieben. Er strengte auch einen Rufmordprozess gegen Hochhuth an. In einer Erklärung vor dem Landtag beschrieb er sich als einen heimlichen Widerstandskämpfer, der "überall dort helfen wollte, wo irgendeine Aussicht auf Hilfe war".

Die CDU versöhnte sich mit ihrem ehemaligen "Landesvater" allerdings schnell. Bis zuletzt spielte Filbinger als Ehrenvorsitzender der baden-württembergischen CDU eine Rolle in der Partei und saß bei jedem Landesparteitag mit auf dem Podium. Auch wurde er von der CDU mehrmals in die Bundesversammlung berufen, die den Bundespräsidenten wählt.

Oettinger: Er war ein Gegner des NS-Regimes - Er hatte nicht die Entscheidungsmacht

Oettinger sagte am 12. April bei einem Staatsakt des Landes im Freiburger Münster gesagt, dass Filbinger kein Nationalsozialist gewesen sei. "Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes. Allerdings konnte er sich den Zwängen des Regimes ebenso wenig entziehen wie Millionen andere. Es bleibt festzuhalten: Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte", sagte Oettinger in seiner Trauerrede. "Und in den Urteilen, die ihm angelastet werden, hatte er entweder nicht die Entscheidungsmacht oder aber nicht die Entscheidungsfreiheit, die viele ihm unterstellen."

Oettinger sagte weiterhin: "Für uns Nachgeborene ist es schwer bis unmöglich, die damalige Zeit zu beurteilen." Als Ministerpräsident habe Filbinger Baden-Württemberg entscheidend geprägt. "Er war ein Landesvater im besten Sinn dieses großen Wortes."

Oettinger reiht sich mit seinen Äußerungen in eine Reihe von CDU-Größen ein, die Filbinger stets in Schutz nahmen, darunter auch sein Vorgänger Erwin Teufel. Dieser sah den einstigen Ministerpräsidenten ebenfalls als Opfer einer Kampagne, an der auch die DDR-Stasi beteiligt gewesen sei, wie Teufel 2003 in einem Geleitwort zu Filbingers Memoiren schrieb.

Maurer: Er war Mitglied der SA

Der aus Baden-Württemberg stammende Linksabgeordnete im Deutschen Bundestag, Ulrich Maurer, kritisierte die Beschreibung Filbingers als Nazi-Gegner: "Einen Mann, der von 1934 bis 1937 Mitglied der SA gewesen ist, als Gegner der Nazis zu bezeichnen, ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten." Die Behauptung, es sei niemand durch ihn zu Tode gekommen, sei "schlicht falsch".

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, kritisierte "die Geisteshaltung" Filbingers, der gesagt haben soll, was in der Nazizeit Recht gewesen sei, müsse weiterhin Recht bleiben. Dies sei unvereinbar mit einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland. "Die Sache wäre längst erledigt, wenn Ministerpräsident Oettinger nicht versucht hätte, das Ganze zu bemänteln und schön zu reden", meint Kramer.

Der SPD-Spitzenkandidat für die Hamburger Bürgerschaftswahl, Michael Naumann, sagte, es sei richtig, dass Filbinger kein Nationalsozialist gewesen sei. Jedoch sei es eine "brachiale historische Unwahrheit", dass durch die Urteile des Mannes keine Menschen umgekommen sind. "Das hätte Herr Oettinger den Angehörigen des deutschen Soldaten in Norwegen erzählen sollen, der wenige Tage vor Ende des Krieges hingerichtet worden ist."

Eppler: Das war das Normale damals

Der ehemalige Bundesminister und frühere baden-württembergische SPD-Chef Erhard Eppler kritisierte die Äußerungen Oettingers. Er könne sich nicht vorstellen, dass jemand aus der Generation von Oettinger ein endgültiges Urteil über Filbinger sprechen könne, sagte Eppler am 12. April im SWR2.

Er glaube, dass Filbinger, wie die meisten Deutschen damals, in manchen Dingen mit dem NS-Regime einig gewesen sei und in anderen wieder nicht: "Er war wahrscheinlich weder ein wirklicher Nazi, noch war er ein entschiedener Gegner. Das war das Normale damals."

Jelpke: Mitwirkung am Nazi-Regime bis zuletzt

Die innenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion, Ulla Jelpke, sagte, Filbinger habe "buchstäblich bis zuletzt" dem Nazi-Regime die Treue gehalten. Als Staatsanwalt der Nazi-Marine habe er daran mitgewirkt, dass Soldaten umgebracht wurden, die nicht für das Dritte Reich kämpfen wollten.

Filbinger habe nie dazulernen wollen, sagte Jelpke. Das von ihm initiierte Studienzentrum Weikersheim führe Rechtskonservative und Neonazis zusammen. "Dass einer wie Filbinger in der Bundesrepublik derart hohe Ämter besetzen konnte, ist ein Schandfleck für dieses Land", so Jelpke, die auch die Teilnahme von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) an der Trauerfeier als "völlig unangebracht" kritisierte.

Der Schriftsteller Rolf Hochhuth sagte, Filbinger sei zum Ende des Krieges ein "sadistischer Nazi" gewesen.

Strobl: Oettingers Äußerungen sind weder inhaltlich noch formal zu kritisieren

Der Generalsekretär der CDU Baden-Württemberg, Thomas Strobl, sagte hingegen, die Äußerungen von Oettinger "waren dem Anlass angemessen und sind weder inhaltlich noch formal in irgendeiner Weise zu kritisieren". Auf den Fall des hingerichteten Matrosen Walther Gröger ging Strobl in der Pressemitteilung vom 12. April nicht ein.

Im Kondolenzschreiben Strobls an die Familie Filbinger heißt es: "Mit Dankbarkeit erinnern wir uns an Amtszeit und Wirken Ihres Ehemannes als Ministerpräsident und als erster Landesvorsitzender der vereinten CDU Baden-Württemberg. Er führte die früher selbständigen Landesverbände in Nordbaden, Südbaden, Nordwürttemberg und Württemberg-Hohenzollern zu einem einheitlichen Landesverband zusammen. Als Landesvorsitzender und Spitzenkandidat hat er mit der CDU großartige Wahlsiege errungen."

Spekulationen über die Motive Oettingers

Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag, Stefan Mappus, nahm Oettinger in Schutz. Bei einer Trauerrede gehe es darum auf die Gefühle der Familie Rücksicht zu nehmen, sagte Mappus im SWR. Oettingers Äußerungen seien deshalb korrekt und angemessen gewesen. Mappus forderte die politischen Gegner von Filbinger auf, wenigstens nach seinem Tod die "üblichen Reflexe ruhen zu lassen".

In der Landes-CDU würden Oettingers Äußerungen von vielen vor allem als Signal an die Partei verstanden. Filbinger war für die CDU eine "Lichtgestalt", die die Partei aufgebaut und zur absoluten Mehrheit geführt hatte. Das solle in Erinnerung bleiben und nicht seine Zeit als Marinerichter im Dritten Reich.

Maurer sagte: "In Wahrheit war Filbinger ein willfähriger Diener des Nazisystems, wie leider so viele, die in der Nachkriegszeit zu hohen Staatsämtern gelangt sind", meint Maurer. Deren Zustimmung für sich zu sichern, sei wohl das Hauptmotiv für Oettingers Bemerkungen gewesen, mit denen er dem Ansehen des Landes schwer geschadet habe.

Nach Auffassung der SPD-Landes- und -Fraktionsvorsitzenden Ute Vogt hat Oettinger Filbinger einen Bärendienst erwiesen, denn die Diskussion um seine Vergangenheit gehe nun wieder los.

CDU-Politiker Willy Wimmer warnt vor einem großen Krieg

Während sich Deutschland noch immer mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt, gibt es Politiker, die mit einem neuen großen Krieg rechnen. Der CDU-Außenpolitiker und einstige Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Willy Wimmer, warnte im November 2006 im Interview mit der Wochenzeitung "Freitag" vor einem "großen Krieg".

"Ich denke", so Wimmer, "wir wissen doch durch die Ereignisse vor dem 1. September 1939 und während des Zweiten Weltkrieges zur Genüge: Das internationale Recht ist die letzte Chance, uns vor einem großen Krieg zu bewahren. Wenn ihn niemand will, muss das auch so deutlich ausgesprochen werden."

Der CDU-Politiker brachte vor dem Hintergrund möglicher militärischer Verstrickungen der Bundeswehr in Asien - beispielsweise in Korea oder an der Straße von Taiwan - sogar einen Austritt Deutschlands aus der NATO ins Gespräch.

In der eigenen Bundestagsfraktion setzt Wimmer "auf die Wirksamkeit der eigenen Argumentation". Der Politiker hofft auf die Einsicht der Abgeordneten des Deutschen Bundestages und auf eine parlamentarische Intervention. Seine Begründung: "Weil nur in den Parlamenten über die von mir beschriebenen Entwicklungen befunden werden sollte und nicht in irgendwelchen Hinterzimmern, in denen die amerikanischen Interessen der NATO definiert werden. Ich bin in dieser Hinsicht gegen jede Verletzung der Volkssouveränität. Wenn wir die Volkssouveränität missachten, müssen wir uns über die Ergebnisse nicht wundern."

Heftige Kritik übt Wimmer am NATO-Generalsekretär und seiner Forderung nach einem Bundeswehr-Einsatz im Süden Afghanistans. Jaap de Hoop Scheffer verstehe offenbar die aktuelle Entwicklung nicht.

Der CDU-Politiker verglich den Widerstand der Bevölkerung im Süden Afghanistans gegen die NATO-Truppen mit dem Volksaufstand in Ungarn: "Es kann doch für das westliche Bündnis 50 Jahre nach Budapest nicht darum gehen, einen Volksaufstand im Süden Afghanistans niederzuschlagen."

Tornado-Einsatz - Verfassungsbeschwerden

Am 12. März hat das Bundesverfassungsgericht eine Organklage sowie einen Eilantrag der Unions-Abgeordneten Peter Gauweiler (CSU) und Willy Wimmer (CDU) gegen den "Tornado"-Einsatz aus formalen Gründen abgelehnt.

Am 29. März lehnte das Verfassungsgericht auch einen Eilantrag der Linksfraktion gegen den "Tornado"-Einsatz in Afghanistan mit der Begründung ab, dass über die Organklage in der Hauptsache noch "rechtzeitig" entschieden werden könne. Die Fraktion habe "nicht dargetan, aus welchen Gründen der bis zur Entscheidung des Senats in der Hauptsache verstreichende Zeitraum den von ihr für verfassungswidrig gehaltenen Zustand entscheidend verfestigen würde".

Einen Tag später, am 30. März, sorgte Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) für eine "Verfestigung" des Zustandes: Er verabschiedete rund 200 Soldaten in den Einsatz nach Afghanistan verabschiedet. Ihr Auftrag dort: der Tornado-Einsatz in Afghanistan. Die "volle Einsatzbereitschaft" soll nach Angaben der Bundesregierung in der zweiten Aprilhälfte erreicht sein. Am 2. April folgten mehrere Tornados in Richtung Afghanistan - laut Bundesregierung "ein Beitrag zum Frieden". Am 18. April findet die Mündliche Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe statt.

Hans Filbinger schrieb in seinem 1987 veröffentlichten Buch "Die geschmähte Generation": "Die herrschenden geistigen Strömungen wirken auf die Justiz ein. Richter und Staatsanwälte sind Zeitgenossen und von Strömungen der Zeit beeinflusst."

Die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen, Karola Stötzel, hatte am Wochenende auf einer Kundgebung im Rahmen des Ostermarsches in Frankfurt gesagt, der Krieg gegen den Terror, in dem sich Deutschland als Kriegspartei befände, sei bereits allgegenwärtig: "Deutsche Truppen stehen in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Mazedonien, im Mittelmeer, in Georgien, in Usbekistan, in Afghanistan, in Dschibuti, in Äthiopien, in Eritrea, in Kenia, in Kuwait, am Horn von Afrika, im Libanon", so Stötzel. "Was wie eine Bekanntmachung des Oberkommandos der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg klingen könnte, ist die Realität 2007."

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