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Zum nationalen Energiekonzept

"Energischer Ausbau der erneuerbaren Energien bis auf 100 Prozent"

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Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte unlängst die Frage aufgeworfen, woher nach dem Atomausstieg die dann fehlende Energie kommen solle. Die EU-Energieminister haben am 15. Februar beschlossen, bis 2020 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 20 Prozent anzustreben. Nach Auffassung des Geschäftsführers des Solarenergie Fördervereins Deutschland (SFV), Wolf von Fabeck, ist dieses Ziel nicht hinreichend. "Ich habe den Eindruck, die EU-Energieminister haben den Ernst der Lage noch nicht begriffen", sagte er im Gespräch mit ngo-online. Angesichts "der ungeheuren Gefahren" fordert er ein Verbot des Neubaus weiterer fossiler Energiegewinnungsanlagen, ein Abschalten der Atomreaktoren und einen "energischen Ausbau der erneuerbaren Energien bis auf 100 Prozent". Ein Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien sei bereits "mit den heute bekannten Techniken und Verfahren" möglich - "und zwar sogar auch in Deutschland, obwohl Deutschland eines der am dichtesten besiedelten und am höchsten industrialisierten Länder ist".


Seines Erachtens könnte die Umstellung auf erneuerbare Energien wesentlich schneller erfolgen, wenn sie politisch gewollt werde. "Das größte Hindernis für eine rasche Umstellung ist unsere eigene Unentschlossenheit und Verzagtheit." Sie beruhe auf dem weit verbreiteten Vorurteil, dass die Energieversorgung nur mit den herkömmlichen Energien sicher gestaltet werden könne.

"Durch ständige Wiederholung"

Der Energiewirtschaft sei es gelungen, durch ständige Wiederholung, dieses Vorurteil in den Rang eines Paradigmas zu erheben, "das unsere Gesellschaft von der Bundeskanzlerin bis zum Taxifahrer beherrscht". Es sei also ein Paradigmenwechsel nötig. An die Umweltbewegung gerichtet fordert von Fabeck daher: "Die Umweltverbände müssen die Möglichkeit einer Energiewende zu 100 Prozent bei jeder Gelegenheit in die Öffentlichkeit tragen."

Der allgemeinen Skepsis bezüglich des möglichen Beitrags Erneuerbarer Energien zur Energieversorgung Deutschlands begegnet Solar-Mann von Fabeck mit einer weitreichenden Aussage: "Es gibt fast beliebig viele Möglichkeiten, wie man 100 Prozent Erneuerbare Energien erreichen kann." Grundlage hierfür sei ein Mix aus den fünf Techniken zur Bereitstellung von Energie: Sonne, Wind, Wasserkraft, Biomasse und Geothermie. Für die Energieverteilung könne man auf Stromnetze, Biogasnetze, Fernwärmenetze, Pipelines, Tankwagen und Tankschiffe zurückgreifen. Der Solarenergie Förderverein habe eine "Beispiellösung" entwickelt, die ohne Energieimporte auskomme und auf einer weitgehend dezentralen Energiewirtschaft beruhe.

"Anreize und Ordnungsrecht"

Für die politische Umsetzung plädiert von Fabeck für preisliche Anreize für das Energiemanagement und für den Betrieb von Speicheranlagen sowie für Maßnahmen des Ordnungsrechts. Dazu gehöre unter anderem eine Baupflicht für Solaranlagen auf Neubauten und eine Nachrüstpflicht für Altbauten, eine Verpflichtung bei Heizungsmodernisierung zur Nutzung Erneuerbarer Energien, ein Verbot "stromfressender Standby-Schaltungen" sowie "eine Untersagung von Genehmigungen für neue fossile Kraftwerke". Von Fabeck fordert die "Abschaffung aller Privilegien für fossile und nukleare Energien".

Darüber hinaus sei eine Änderung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen erforderlich. "Unser Vorschlag: drastische Besteuerung von Endenergie bei gleichzeitigem Ausgleich der Mehrbelastung durch ein für alle gleiches Energiegeld, welches aus den Einnahmen dieser Energiesteuer wieder ausgezahlt wird."

"Photovoltaik kann die Hälfte des derzeitigen Strombedarfs decken"

Nach Vorstellung des Solarenergie-Fördervereins gehört auf jedes Dach und an jede Gebäudefassade eine Photovoltaik-Anlage zur Stromerzeugung. "Wir schlagen zur Abdeckung von Gebäudehüllen generell die Verwendung von Dach- und Fassadenplatten mit PV-Beschichtung vor." Eine Studie für die Stadt Aachen habe gezeigt, dass man dadurch 65 Prozent des "gegenwärtigen", also nicht durch Energiesparmaßnahmen verminderten, jährlichen Strombedarfs dieser Stadt decken könne.

"Dachflächen und Fassaden für Solarstrom und Solarwärme"

Ein Teil der Dachflächen werde weiterhin auch für die Erzeugung von Solarwärme für die Warmwasserversorgung und insbesondere für den Raumwärmebedarf benötigt. "Lokale solarthermische Nahwärmekonzepte sind meines Erachtens die intelligenteste Anwendung der Solarthermie in unseren Breiten, weil sie die Überschüssige Wärme des Sommerhalbjahres in die kalte Jahreszeit hinüberretten", so von Fabeck. Im Sommer werde die Solarwärme in saisonale Wärmespeicher eingespeist, mit deren Hilfe man in der kalten Jahreszeit heizen könnte. Bevor man sich um die Deckung des Wärmebedarfs der Wohnungen kümmert, müsse man ihn aber durch die Pflicht zur Vollwärmedämmung bei Neubauten und Nachrüstpflicht bei Altbauten deutlich reduzieren.

In eng besiedelten Großstädten seien solare Nahwärmekonzepte im Altbaubestand möglicherweise schwieriger umzusetzen, schränkt von Fabeck ein. Dort könne man aber den verbleibenden Wärmebedarf durch Fernwärme mit Geothermie decken, die gleichzeitig zur Stromerzeugung genutzt werde.

"Allein mit Solarzellen über den Verkehrsflächen können wir theoretisch den gesamten Energiebedarf Deutschlands decken"

Dort, wo der Platz auf den Dachflächen für die Solarwärmegewinnung und die Solarstromerzeugung nicht ausreiche, "müsste man mit der Photovoltaik teilweise ausweichen", meint von Fabeck. Photovoltaik-Anlagen auf Freiflächen will der Solarenergie Förderverein allerdings nicht. "Dort ist die Windenergie besser geeignet, weil sie weder die Landwirtschaft, noch die Renaturierung von denaturierten Flächen behindert."

Allerdings wären Lärmschutzwände an Autobahnen, Eisenbahnen und Landstraßen für die Photovoltaik geeignet. "Die Verkehrsflächen in Deutschland betragen über 17.000 Quadratkilometer und sind etwa achtmal so groß wie die Flächen aller Dächer und Fassaden. Im Bedarfsfall könnte man sie teilweise überdachen und mit Photovoltaik-Elementen bestücken. "Würde man sie vollständig überdachen und mit heute üblichen Solarzellen bestücken", sagt von Fabeck, "so würde ihr Jahresertrag dem gesamten Jahresenergieverbrauch - nicht nur dem Stromverbrauch - Deutschlands entsprechen". Dies sei aber ausdrücklich nicht die Vorstellung des Solarenergie Fördervereins, sondern nur eine Modellrechnung, um das enorme Potential der Photovoltaik deutlich zu machen.

"Mit Schwachwindanlagen in Süddeutschland ähnlich hohe Jahreserträge wie an der Küste"

Das riesige Potential der Photovoltaik auszuschöpfen sei gar nicht erforderlich. Es gehe vielmehr um einen ausgeglichenen Energiemix, also auch um die Windenergie. Und selbst hier ist es nach Darstellung des Solarenergie Fördervereins nicht erforderlich, ein Windrad ans andere zu stellen: "Nach unserem Modell wollen wir in den südlichen Bundesländern lediglich die Windraddichte pro Quadratkilometer wie heute in Nordrhein-Westfalen erzielen - allerdings mit 3 Megawatt-Anlagen." In Nordrhein-Westfalen habe es "keine wesentlichen Akzeptanzprobleme" gegeben, so von Fabeck. Aber auch eine höhere Windraddichte "wäre leicht möglich".

Auch in Süddeutschland könnten an vielen Orten Windanlagen wirtschaftlich betrieben werden, so von Fabeck. Die Firma Enercon beispielsweise lege inzwischen viel Gewicht auf die Produktion von Windanlagen für Schwachwindgebiete. "Man braucht etwas höhere Türme und etwas längere Flügel - also so genannte Schwachwindanlagen. Solche Anlagen sind für Starkwindgebiete weniger gut geeignet, weil sie dort öfter wegen zu hoher Windgeschwindigkeit abschalten müssten."

Bemerkenswert: "In Schwachwindgebieten allerdings erzeugen sie ähnlich hohe Jahreserträge wie die Starkwindanlagen in Küstennähe", so von Fabeck. "Wir sollten aber darüber hinaus Windanlagen nicht nur dort errichten, wo sie nach derzeitigem Stand wirtschaftlich sind, sondern auch dort, wo die Ausbeute etwas geringer ist."

"Ein Mix erneuerbarer Energien und Speichertechnologien ist grundlastfähig"

Der Solarexperte hält die erneuerbaren Energien im Strommix auch für grundlastfähig. "Im Allgemeinen ergänzen sich Solar- und Windenergie recht gut. Wenn die Sonne nicht scheint, weht häufig der Wind und umgekehrt. Außerdem liefert Solarstrom den höchsten Leistungsanteil zu Zeiten des hohen täglichen Mittagsverbrauchs", so der Solarexperte. Deswegen sei es auch so wichtig, den "Energiemix zwischen Sonne und Wind vollständig durchzuführen, also in Süddeutschland auch die Windenergie und in Norddeutschland die Solarenergie auszubauen. "Sonst müssten zu sonnenschwachen Stunden riesige Strommengen nach Süden und zu windschwachen Stunden riesige Strommengen nach Norden transportiert werden. Dieses Problem können wir vermeiden". Dadurch könne auch der weitere Ausbau des Stromnetzes zwar nicht vermieden, aber doch besser begrenzt werden.

Die Notwendigkeit Strom aus Stromspeichern zu nutzen, ergebe sich erst dann, wenn weder Sonne noch Wind ausreichend zur Verfügung ständen. Dann könne ein Mix aus Laufwasserkraftwerken, Strom aus Geothermie, Strom aus den mit "biologischen Reststoffen" angetriebenen Stromerzeugungsanlagen einspringen. Hinzukommen könnte nach Auffassung von von Fabeck auch Pflanzenöl aus ökologischem Anbau - jedoch kein Importöl - "zum Antrieb von kraft-wärmegekoppelten Spitzenlastkraftwerken". Mit diesem Mix samt Energiespeichern könne man eine Grundversorgung sicherstellen.

"Auch die Speicherung von Strom kann dezentralisiert werden"

Von Fabeck will auch die Speicherung von Strom dezentralisieren. "Variable Strompreise, die bis zum Endkunden die jeweilige Angebotslage signalisieren, stellen einen Anreiz dar. Wenn Strom im Überfluss vorhanden ist, wird er nahezu umsonst angeboten; dann können die Speicher gefüllt werden."

In diesem Zusammenhang sei es "sicherlich interessant zu wissen, dass bereits in der Zeit des kalten Krieges, insbesondere der Berliner Blockade 1948/49 die ganze Stadt Westberlin von der BEWAG zu Strom-Spitzenbedarfszeiten aus einer riesigen Speicherstation mit aufladbaren Bleibatterien versorgt werden konnte". Seitdem habe die Speichertechnik einige Fortschritte gemacht.

Als weitere verfügbare Techniken für die Speicherung der erneuerbaren Energien nennt von Fabeck Pumpspeicherkraftwerke, unterirdische Druckluftspeicher, Gasspeicher, aufladbare Batteriesätze in den Kellern von Privatwohnungen und Tanks mit Pflanzenöl. "Wir favorisieren kein bestimmtes Speicherkonzept."

Allerdings: "Die Euphorie für Wasserstoff teilen wir nicht." Wasserstoff sei aber möglicherweise der ideale Treibstoff für den Flugverkehr, weil er kein zusätzliches CO2 oder Rußpartikel in große Höhen transportiere.

"Die Biomasse soll gleich mehrfach verkauft werden"

Bezüglich des Energiepflanzenanbaus auf landwirtschaftlichen Flächen warnt von Fabeck davor, diese Flächen für zahlreiche Verwendungszwecke gleichzeitig heranziehen zu wollen. Man benötige die Flächen auch für einen ökologischen Landbau und für eine ökologische Stoffwirtschaft. "Wir haben den Eindruck, dass das Potential der Biomasse gleich mehrfach 'verkauft' werden soll", so von Fabeck. "Wir haben die Sorge, dass es zu einem Raubbau kommen kann, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird."

Die Biomasse sei zwar vergleichsweise leicht speicherbar. Es sei aber zu bedenken, dass der Flächenertrag der Bioenergie erheblich geringer sei als die Flächenerträge von Sonnen- oder Windenergie. Es bestehe ein Unterschied um den Faktor 20. Insofern sei es sinnvoller, landwirtschaftliche Flächen als solche zu nutzen und bei weiterem Energiebedarf über diesen landwirtschaftlichen Flächen Windparks zu errichten.

Gemeinsam mit Stromspeichern könne man so insgesamt erhebliche Überschüsse an gespeicherter Energie produzieren. "Wir sind somit nicht gezwungen, die Erträge unserer Felder, Wälder und Äcker zu verheizen. Wir sind auch nicht zum Import von Biomasse gezwungen. Wir können vielmehr in Ruhe entscheiden, wie viel Biomasse wir bei Berücksichtigung der Nachhaltigkeit einsetzen wollen", meint von Fabeck.

Keine Bedenken hat er gegen die energetische Verwertung von biologischen Abfällen, wie Klärschlamm oder tierische Exkremente oder Küchen- und Gartenabfälle, Schlachtereiabfälle, Abfälle aus der Holzverarbeitung oder Stroh oder sonstige Abfälle, die bei der Gewinnung von Nahrungsmitteln anfallen". Auch einen Mischfruchtanbau von Ölpflanzen mit Nahrungspflanzen, wie etwa "die gleichzeitige Aussaat und Ernte von Leindotter mit Erbsen oder Leindotter mit Gerste, bei dem sich die Erträge der Nahrungspflanzen noch nicht einmal verringern, halten wir für völlig unproblematisch".

"Einheimische Energie auch für den Verkehr"

Der Solarenergie Förderverein lässt es heute noch offen, welche technische Lösung sich im Straßenverkehr endgültig durchsetzen wird. Es gäbe hier verschiedene interessante Ansätze wie etwa Elektroautos, Biogasautos und mehr. Perspektivisch käme zudem in Betracht, den Treibstoff Methanol mit Überschüssiger Sonnen- und Windenergie aus dem CO2 der Atmosphäre sowie aus Wasser synthetisch herzustellen.

Mit Skepsis betrachtet der SFV hingegen die synthetische Herstellung von Treibstoffen aus Biomasse, weil hier die ökologische Nachhaltigkeit fehle. Wichtig sei im Straßenverkehr auf jeden Fall eine deutliche Erhöhung der Effizienz, zum Beispiel auch durch Verringerung der Fahrzeuggewichte. Wichtig sei zudem eine Verlagerung des Güter-Fernverkehrs auf die Schiene.

"Ein nationales Konzept mit den Elementen Dezentralisierung und Verzicht auf Energieimporte"

Importe von Palmöl zur Energiegewinnung sieht von Fabeck mit Skepsis. "Solange wir nicht die Gefahr ausschließen können, dass beispielsweise zugunsten von Palmölplantagen Regenwälder abgeholzt werden, sehen wir Importverbote als notwendig an. In unserem Modell sind ohnehin keine Energieimporte vorgesehen - auch aus friedenspolitischen Gründen."

Besondere Betonung legt von Fabeck auf die Dezentralisierung. Dezentralisierung erhöhe die Versorgungssicherheit, "da sie die Folgen bei Unterbrechungen der Strom- oder Gas-Ferntransportleitungen mildert". Die Dezentralisierung der Speicher schaffe zusätzliche Sicherheit. Jeder dezentrale Energiespeicher funktioniere im Katastrophenfall wie eine unterbrechungsfreie Stromversorgung.

Schließlich warnt von Fabeck davor, dass die Bewegung für erneuerbare Energien ihre Dynamik verlieren könnte, "wenn sie nicht mehr Angelegenheit der Bürger ist".

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