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Streit über US-"Angebot"

Brüsseler CIA-Sonderausschuss sieht im Fall Kurnaz Versagen von Rot-Grün

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Im Fall des ehemaligen Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz stützt das Europäische Parlament die Vorwürfe der Opposition gegen die frühere Bundesregierung. In dem am Dienstag verabschiedeten Abschlussbericht des CIA-Sonderausschusses wird festgestellt, dass die rot-grüne Regierung nach "vertraulichen institutionellen Informationen" im Jahr 2002 ein Angebot der USA zur Überstellung des Bremer Türken nach Deutschland nicht angenommen habe. Damit sieht die Opposition den früheren Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) noch stärker unter Druck und verlangte eine rasche Aussage des Außenministers vor dem BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Die Koalition wandte sich erneut gegen "Vorverurteilungen".


SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte, dieses Papier "könne man nicht so ganz ernst nehmen", weil es lediglich auf öffentlichen Presseberichten basiere. Auch blieben Zweifel, ob es überhaupt ein Freilassungsangebot der Amerikaner gegeben habe. "Nach dem, was ich weiß, hat es ein solches Angebot nicht gegeben", behauptete Struck. Nach den Worten von SPD-Obmann Thomas Oppermann ging es bei den damals geführten Gesprächen "nur um Überlegungen auf geheimdienstlicher Arbeitsebene", Kurnaz als V-Mann einzusetzen.

Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff, Mitglied im CIA-Ausschuss des Europaparlaments, widersprach energisch: "Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es 2002 dieses Angebot (zur Freilassung) gegeben hat. Ich habe auch persönlich Gespräche geführt mit Beamten auf amerikanischer Seite, die das wissen müssen", sagte er.

Stadler: Steinmeier hat sich einer Vernehmung durch das Europäische Parlament verweigert

Der FDP-Obmann im BND-Ausschuss des Bundestages, Max Stadler, forderte daher eine rasche Aussage Steinmeiers. Das Europäische Parlament habe – "mit sozialdemokratischer Zustimmung" - deutlich gemacht, wie schwer die Vorwürfe wiegen. "Peter Struck erweist der Aufklärung einen Bärendienst, wenn er behauptet, die europäischen Untersuchungsergebnisse seien nicht ernst zu nehmen. Nach diesem Bericht ist erst recht zu fordern, dass Außenminister Steinmeier jetzt endlich alle Karten auf den Tisch legt, denn einer Vernehmung durch das Europäische Parlament hatte er sich verweigert", kritisiert Stadler.

Auch aus den Reihen der Union wurden Forderungen lauter, der SPD-Politiker solle sich so schnell wie möglich zu den Vorwürfen äußern. Angesichts der neuesten Entwicklungen sei es "unumgänglich", dass Steinmeier nicht erst in zwei Monaten im Ausschuss auftreten kann, betonten Unions-Innenexperte Hans-Peter Uhl (CDU) und sein CSU-Landesgruppenkollege Stephan Mayer. SPD-Ausschussobmann Thomas Oppermann mahnte hingegen, zunächst sollten die Akten ausgewertet und alle maßgeblichen Zeugen gehört werden.

Der Vorsitzende des BND-Untersuchungsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), rechnet nicht mit einer schnellen Aussage von Steinmeier. Eine frühere Vernehmung sei aus organisatorischen Gründen nicht möglich, selbst wenn Steinmeier dies wünsche, sagte Kauder. Der Minister soll nach bisherigem Plan frühestens im März befragt werden. Ein Sprecher der Bundesregierung unterstrich, der Fall Kurnaz liege beim Untersuchungssausschuss, wo "alle relevanten Fragen geklärt" würden.

Der Bremer Türke war mehr als viereinhalb Jahre wegen eines unbewiesenen Terrorverdachts in dem US-Sondergefangenenlager Guantanamo auf Kuba interniert, bevor er im August vergangenen Jahres freigelassen wurde. Bei dem Streit zwischen Regierung und Opposition geht es im Kern um die Frage, ob die rot-grüne Bundesregierung eine frühere Freilassung verhindert hat.

EP-Berichts-Entwurf: Deutsche Regierung lehnte Verhandlungen mit US-Regierung über Freilassung von Kurnaz ausdrücklich ab

Im Berichts-Entwurf des Europäischen Parlaments vom 24. November 2006 wird betont, dass "vertraulichen institutionellen Informationen zufolge" die deutsche Regierung das Angebot der Vereinigten Staaten aus dem Jahre 2002, Murat Kurnaz aus Guantanamo freizulassen, nicht angenommen wurde. Die Geheimdienste der Vereinigten Staaten und Deutschlands seien bereits im Jahre 2002 zu der Schlussfolgerung gelangt, "dass Kurnaz keine Verbindung zu Al-Qaida oder zu den Taliban unterhielt und dass er keine terroristische Bedrohung darstellt".

Das Europäische Parlament stellt laut der Enwurfsfassung des Berichts fest, "dass dem Rechtsanwalt von Murat Kurnaz seit 2002 bei zahlreichen Gelegenheiten von der deutschen Regierung gesagt worden war, es sei unmöglich, Verhandlungen mit der US-Regierung in Bezug auf dessen Freilassung aufzunehmen, weil Murat Kurnaz türkischer Staatsbürger sei".

EP-Berichts-Entwurf: Deutsche Beamte verweigerten Kurnaz jeden Beistand

Laut Berichts-Entwurf bedauert das Europäische Parlament "den Umstand, dass Murat Kurnaz von deutschen Beamten in Guantanamo, wo er ohne formelle Anklage, ohne Prozess und ohne Rechtsbeistand inhaftiert war, in den Jahren 2002 und 2004 zweimal verhört wurde". Auch wird bedauert, "dass die deutschen Beamten ihm jeden Beistand verwehrten, weil sie ausschließlich an seiner Befragung interessiert waren".

Weiterhin heißt es, man unterstütze in jeder Hinsicht die vom Staatsanwalt in Potsdam eingeleiteten Ermittlungen gegen Unbekannt, "um herauszufinden, inwieweit Murat Kurnaz in Afghanistan von deutschen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK), den Sondertruppen der Bundeswehr, misshandelt wurde, bevor er nach Guantanamo verbracht wurde".

Steinmeier: Es gab kein US-Angebot

Nach tagelangem Schweigen äußerte sich Steinmeier am Dienstag in Brüssel zum Fall Kurnaz. Er wies die schweren Vorwürfe gegen die damalige rot-grüne Bundesregierung zurück, sie habe im Herbst 2002 ein Angebot der Amerikaner zur Freilassung des Bremer Türken nicht angenommen. "So ein Angebot hat es 2002 nicht gegeben", behauptete der deutsche Außenminister.

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