Kurnaz
Der heute 24-Jährige Kurnaz war Ende 2001 in Pakistan aufgegriffen und an die Amerikaner übergeben worden, die ihn zunächst in ein Lager nach Afghanistan brachten. Anfang 2002 wurde Kurnaz vom afghanischen Kandahar ins US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba geflogen. Erst am 24. August 2006 ließen ihn die Amerikaner frei und nach Deutschland zurückkehren. Der damaligen rot-grünen Bundesregierung wird vorgeworfen, "nicht genug" für die Freilassung von Kurnaz getan zu haben. Zudem sollen Kurnaz von Deutschen "verhört" worden sein.
Nach Angaben von Kurnaz wurde er in Kandahar vier bis fünf Tage lang an Ketten aufgehängt, sagte der Grünen-Abgeordnete Winfried Nachtwei. Zwischenzeitlich habe ein Arzt offenbar nur die "weitere Folterfähigkeit" geprüft.
Der Abgeordnete der Links-Fraktion, Paul Schäfer, sah sich in seinen Befürchtungen bestätigt, dass Kandahar nur "die Hölle vor der Hölle Guantanamo" gewesen sei. Für die FDP-Vertreterin Elke Hoff muss nun geklärt werden, inwieweit die Bundeswehr von solchen Vorgängen wusste oder ob deutsche Soldaten an solchen Misshandlungen teilnahmen.
Verdacht gegen Rotes Kreuz
Kurnaz sagte weiterhin, ein deutsch sprechender angeblicher Mitarbeiter des internationalen Roten Kreuzes hätte ihn nicht nur in Kandahar, sondern auch in Guantanamo besucht und versucht auszuhorchen. Es sei nicht auszuschließen, dass die Hilfsorganisation von US-Agenten für eigene Zwecke missbraucht worden sei.
Der CDU-Politiker Bernd Siebert wandte sich nach den Aussagen von Kurnaz gegen Vorverurteilungen. Nach wie vor gelte für ihn die Unschuldsvermutungen, sagte er zu den neuerlichen Vorwürfen von Kurnaz gegen die Bundeswehr-Spezialeinheit KSK.
Für den Kurnaz-Anwalt Docke ergeben sich aus der Aussage seines Mandanten weitere Fragen, insbesondere nach der Verantwortung deutscher Stellen für die mehr als vierjährige Haft in Guantanamo. Bereits in Kandahar hätten US-Stellen Informationen aus der Vorgeschichte seines Mandanten gehabt. Da dränge sich der Verdacht auf, dass es eine weit intensivere Zusammenarbeit deutscher mit US-amerikanischer Stellen gegeben habe als bislang zugegeben.
Kurnaz: Von Deutschen in Guantanamo verhört
Kurnaz berichtete dem Geheimdienste-Untersuchungsausschuss des Bundestages auch über seine Inhaftierung in Guantanamo und wie sich Deutschland damals um ihn "gekümmert" habe. "Besonders nett sind sie nicht gewesen", sagt Kurnaz über die drei Bundesbürger, die ihn im September 2002 in Guantanamo besuchten. "Sie haben sich nicht vorgestellt und mich nicht gegrüßt". Umsonst habe er die Männer gefragt, ob sie ihm Post von seiner Familie mitgebracht hätten. "Die sind ganz schnell zur Sache gekommen", so Kurnaz.
Zwei Tage lang hätten ihn die Deutschen ausgequetscht. Manchmal habe er nur "Ja" oder "Nein" antworten dürfen. "Sind Sie von Al-Qaida? Nein. Trinken Sie Milch? Ja. Sind Sie in Bremen geboren? Ja. Haben Sie Kontakt zu den Taliban? Nein.", schildert der Bremer Türke das Verhör. "Unangenehm" sei ihm das barsche Frage-Antwort-Spiel gewesen.
Auch er habe doch so viele Fragen an die Deutschen gehabt. "Aber sie konnten mir keine Antwort geben", erzählt Kurnaz. Dafür wollten die Schlapphüte etwas von ihm wissen: "Sie haben gefragt, ob ich bereit wäre, mit ihnen zusammenarbeiten". Der gerade 20-Jährige saß damals schon seit Monaten unter fürchterlichen Haftbedingungen in den Käfigen von Guantanamo ein. "Ich habe zugestimmt", sagt Kurnaz. Er habe gehofft, so nach Hause, nach Bremen zu kommen.
Doch die Hoffnung trog offenbar. Nach dem Gespräch mit den Deutschen habe er sogar "noch mehr Stress" mit seinen amerikanischen Bewachern gehabt. "Sie wollten wissen, um was es ging." Wenn ihnen die Antworten nicht passten, hätten ihn die Wärter in eine Isolationszelle gesteckt.
Über eine Klimaanlage sei es da drin wechselweise sehr kalt und dann wieder sehr heiß gewesen. Manchmal habe es lange einfach gar keine Frischluft gegeben und er sei in Ohnmacht gefallen. "Natürlich haben die mich auch geschlagen", sagt Kurnaz über die US-Soldaten. Aber die Kälte sei das Schlimmste gewesen.
Staatsanwaltschaft Tübingen ermittelt gegen KSK-Soldaten
Fall Kurnaz
Im Fall Murat Kurnaz prüft inzwischen die Staatsanwaltschaft Tübingen die Misshandlungsvorwürfe gegen Soldaten der Bundeswehr-Elitetruppe KSK. Wie die Ermittlungsbehörde und das Regierungspräsidium Karlsruhe am Montag mitteilten, wurde das zunächst bei der Staatsanwaltschaft Potsdam angelaufene Ermittlungsverfahren "aufgrund der örtlichen Zuständigkeit" den Tübinger Kollegen übergeben. Die Landespolizeidirektion beim Regierungspräsidium Karlsruhe sei in die Ermittlungen involviert. Sie konzentrierten sich auf 13 KSK-Soldaten.
Die Behörden reagierten damit auf einen aktuellen Bericht des Nachrichtenmagazins "Focus" über die Ermittlungen. Sie bestätigten auch, dass der so genannte Bremer Taliban Kurnaz am 15. November im Beisein seines Rechtsanwaltes als Zeuge vernommen wurde. Dabei habe er die zuvor bereits in den Medien erhobenen Vorwürfe, ihm habe ein deutscher Soldat im Beisein eines zweiten deutschen Soldaten im Gefangenenlager im afghanischen Kandahar den Kopf auf den Boden geschlagen, "wiederholt und präzisiert".
Die Ermittlungen konzentrieren sich den Angaben zufolge auf 13 KSK-Soldaten, die Anfang Januar 2002 Kontakt zu Murat Kurnaz gehabt haben könnten. Diese Soldaten würden nunmehr als Zeugen vernommen. Außerdem solle anhand der Vorlage von Lichtbildern geklärt werden, ob Kurnaz die KSK-Soldaten wiedererkennen könne.
Der leitende Oberstaatsanwalt Walter Vollmer sagte, bei den Ermittlungen gehe es um den Vorwurf der Körperverletzung. Das Verfahren richte sich gegen Unbekannt und sei bereits am 25. Oktober an die Tübinger Behörde übergeben worden. Die örtliche Zuständigkeit begründete Vollmer mit dem Sitz des Kommandos Spezialkräfte (KSK) im baden-württembergischen Calw und mit den vermuteten Wohnsitzen der möglichen Beschuldigten.
Am 04. Dez. 2006