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Kriegsvölkerrecht

Schäuble will Flugzeugabschuss doch erlauben

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Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will mit einer Verfassungsänderung den Abschuss eines gekaperten Zivilflugzeugs doch möglich machen. Durch die Einführung eines Quasi-Verteidigungsfalls im Grundgesetz soll bei einem drohendem Terroranschlag das Kriegsvölkerrecht angewendet werden können, sagte Schäuble der "Süddeutschen Zeitung". Das Bundesverfassungsgericht hatte am 15. Februar 2006 eine Passage im Luftsicherheitsgesetz für verfassungswidrig erklärt, das den Abschuss eines Passagierflugzeugs erlaubte.


Daher soll nach Angaben von Schäuble der Begriff Verteidigungsfall im Grundgesetz erweitert werden. Der neue Verfassungsartikel 87a, Absatz 2 solle lauten: "Außer zur Verteidigung sowie zur unmittelbaren Abwehr eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt."

Die Entführung eines Flugzeugs durch Terroristen wäre unter einen solchen Fall zu fassen und würde dann den Abschuss des Flugzeugs durch die Luftwaffe erlauben. Schäuble argumentierte, dass im Quasi-Verteidigungsfall die Regeln des Kriegsvölkerrechts gelten, also vor allem die Regeln des Genfer Abkommens über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte. Demnach sind nur Angriffe verboten, "die in keinem Verhältnis zu erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteilen stehen".

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip bleibt Schäuble zufolge gewahrt, wenn zur Vermeidung einer noch größeren Katastrophe der Abschuss eines entführten Zivilflugzeugs, also die Tötung von unschuldigen Flugpassagieren, gesetzlich erlaubt wird. Die Verfassungsrichter hatten vor allem die Abwägung "Leben gegen Leben" als Verstoß gegen Artikel 1 des Grundgesetzes gerügt.

Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold nannte die Forderungen des Innenministers völkerrechtswidrig und nicht verfassungskonform. "Auch dieser Versuch, eine Grundlage zum Einsatz der Bundeswehr im Innern auf der Basis einer falschen Auslegung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz zu schaffen, wird fehlschlagen", sagte Arnold am Dienstag in Berlin. Der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz wies Schäubles Pläne zurück und nannte sie "nicht akzeptabel".

Der FDP-Rechtsexperte Max Stadler mahnte Schäuble, das Urteil der Verfassungsrichter zu respektieren. Die Bindungswirkung von Entscheidungen des höchsten Gerichts sei "rechtsstaatliche Konstante in der Geschichte der Bundesrepublik".

Die FDP-Fraktion forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, "das Treiben ihres Bundesinnenministers unverzüglich zu beenden". Innenexpertin Gisela Piltz sagte, Schäubles Plan, den Begriff des Verteidigungsfalls um den "Quasi-Verteidigungsfall" zu ergänzen, führe ins verfassungsrechtliche Abseits. "Das ist gerade für den Innenminister, der zugleich auch Verfassungsminister ist, ein Armutszeugnis."

Nach Ansicht der FDP-Fraktion leidet der neue Vorstoß wie der erste "unter einer Missachtung von Lebensrecht und Menschenwürde." Das Bundesverfassungsgericht habe eindeutig klargestellt: Unschuldige dürften nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns werden. Jede Ermächtigung zur gezielten Tötung unschuldiger Flugzeuginsassen verstoße gegen die im Grundgesetz verankerten Garantien.

Die Innenpolitik stellt nach Auffassung von Piltz kein Anwendungsfall des Kriegsvölkerrechts dar. "Schäubles Spiel mit dem Kriegsrecht ist ein Spiel mit dem Feuer", so Piltz.

Die Innenexpertin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, warnte, dass bei einer Umsetzung der Schäuble-Pläne der "permanente Ausnahmezustand" drohe. Diese liefen auf eine Grauzone hinaus, in der die Bundesregierung jenseits von Recht und Gesetz schalten und walten dürfte. "Die Koalitionsparteien, vor allem die Sozialdemokraten, müssen sich fragen lassen, wie lange sie noch einen Innenminister dulden wollen, der seinen Eid aufs Grundgesetz ständig bricht", sagte Jelpke.

Nach Auffassung des ehemaligen Bundesrichters und heutigen rechtspolitischen Sprechers der Linksfraktion, Wolfgang Neškovi?, verstoßen die Abschusspläne gegen "die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes". Schäubles Plan, das Grundgesetz zu ändern, "um entgegen dem eindeutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz die Tötung unschuldiger Menschen zu ermöglichen", zeuge von "hartnäckiger Ignoranz gegenüber dem höchsten deutschen Gericht".

Vor nicht einmal einem Jahr habe das Bundesverfassungsgericht den Koalitionären ins Stammbuch geschrieben, dass es wegen der Menschenwürdegarantie aus Artikel 1 des Grundgesetzes "schlechterdings undenkbar" sei, Leben gegen Leben abzuwägen, so Neškovi?. Daran zu rütteln, verstoße gegen die so genannte "Ewigkeitsgarantie" des Artikels 79 des Grundgesetzes, "wonach bestimmte Grundprinzipien unserer Verfassung auch durch eine Grundgesetzänderung nicht eingeschränkt werden dürfen". Hierzu zähle auch die nach Artikel 1 garantierte Menschenwürde.

Ihr Schutz könne deswegen auch "mit einer so abenteuerlichen Konstruktion wie Schäubles Quasi-Verteidigungsfall" nicht umgangen werden. Mit seinem Entwurf zeige Schäuble, dass er Buchstaben und Geist des Grundgesetzes nicht verstanden habe "und offensichtlich auch nicht verstehen will", meint der ehemalige Bundesrichter.

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