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"Wir wissen, dass das nicht stimmt"

Bundestag stimmt Bundeswehr-Einsatz im Nahen Osten zu

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Der Bundestag hat den ersten bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten beschlossen. Nach kontroverser Debatte votierten 442 Abgeordnete für die Entsendung von bis zu 2.400 Soldaten für die UN-Truppe im Libanon (UNIFIL). 152 Parlamentarier stimmten dagegen, 5 enthielten sich. Offenbar stimmten 32 SPD-Abgeordnete und 12 Abgeordnete aus der Unionsfraktion gegen den Antrag. Kern ist dabei der Einsatz eines bis zu 1500 Soldaten umfassenden Marineverbandes, der bereits am Donnerstag auslaufen soll. Zusammen mit anderen Nationen soll der unter deutscher Führung stehende Verband die 225 Kilometer lange libanesische Küste überwachen und Waffenschmuggel für die Hisbollah unterbinden.


Staatliche Souveränität Libanons Der Einsatz ist zunächst auf ein Jahr befristet. Die Einsatzkosten werden auf 193 Millionen Euro veranschlagt. Grundlage für den Einsatz ist die Uno-Resolution 1701. Diese zielt nach Darstellung der deutschen Bundesregierung darauf, dass der Waffenstillstand eine tragfähige Grundlage bekomme und dass der Libanon "in vollem Umfang" seine staatliche Souveränität ausüben könne.

Doch der Einsatz findet innerhalb der Territorialgewässer Libanons statt. Er umfasst laut Bundesregierung auch - falls notwendig - das Betreten und Untersuchen eines verdächtigen Schiffes gegen Widerstand. Dieses robuste Mandat werde in enger Kooperation zwischen Unifil und libanesischer Regierung umgesetzt werden.

Merkel: Deutschland ist nicht neutral

In der Bundestagsdebatte nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel den Unifil-Einsatz den Beginn eines umfassenden Friedensprozesses. Sie behauptete, dass die Entsendung deutscher Marinesoldaten sowohl vom Libanon als auch von Israel gewollt sei. Zudem ist das Mandat der Uno robust und wirksam. Das heiße, dass auch Zwangsmaßnahmen angewendet werden könnten. Damit seien für die Bundesregierung entscheidende Bedingungen erfüllt.

Der Wunsch Israels, die Bundeswehr an der Friedensmission zu beteiligen, sei als "Zeichen des Vertrauens" zu werten. Dies sagte Merkel mit Blick auf die besonderen deutsch-israelischen Beziehungen. Die deutsche Außenpolitik sei seit 1949 wertegebunden und könne daher nicht neutral sein, so Merkel.

Daraus ergebe sich das Engagement für Frieden und Sicherheit in der EU, der Nato und bei der Uno. Die Bundesregierung müsse, so die Kanzlerin, bei der Verantwortung für Frieden in der Welt auch bereit sein, "militärische Verantwortung" zu übernehmen.

Ziel der militärischen Mission im Libanon sei es, beim Friedensprozess weiter zu kommen. Ohne ein Schweigen der Waffen sei dies nicht möglich. "Das Fenster der Gelegenheiten ist geöffnet", sagte die Kanzlerin. Bei den Friedensverhandlungen im Nahen Osten spiele die USA eine entscheidende Rolle.

Steinmeier: Wir haben es bislang den USA überlassen, "Frieden zu stiften"

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hatte in der Ersten Lesung des Bundestages am Dienstag gesagt, dass vor zehn Jahren vermutlich niemand auf die Idee gekommen wäre, "hier darüber zu diskutieren oder gar zu empfehlen, deutsche Soldaten Seite an Seite mit Soldaten anderer europäischer Länder in den Nahen Osten zu schicken". Die Europäer hätten es in den zurückliegenden Jahren den USA überlassen, "Frieden zu stiften", so Steinmeier. Die veränderte Welt versetze die Europäer in die Lage, "jetzt auch im Nahen Osten mitzuhelfen, Frieden zu schaffen und zu sichern. Europa wird künftig – davon bin ich überzeugt – ein Faktor für Frieden, auch im Nahen Osten."

Es gehe beim Libanoneinsatz "nicht um das prinzipienlose Brechen außenpolitischer Tabus, die wir uns aus guten Gründen nach der Zeit des Nationalsozialismus selbst auferlegt haben", so Steinmeier. Es gehe vielmehr "um Glaubwürdigkeit und um die Anerkennung von Normalität". Trotz anderslautender Berichte sagte Steinmeier im Deutschen Bundestag: "Es geht schließlich auch um die Respektierung der Tatsache, dass uns nicht nur der Libanon, sondern auch Israel ausdrücklich um Beteiligung an diesem Einsatz gebeten haben."

"Mit unseren deutschen Soldaten, mit den britischen, französischen, italienischen, spanischen und vielen anderen sorgen wir dafür, dass die ausgebombten Menschen bald wieder ein Dach über dem Kopf haben, Straßen geflickt werden und Kraftwerke repariert werden", so Steinmeier ohne zu erwähnen, dass diese Infrarstruktur gerade erst durch Bomben zerstört worden war.

Steinmeier emotional: "Wir sind dabei"

Der Außenminister sprach vor den Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch von Emotionen. So fand er es "bewegend", "als Kofi Annan in der Runde der europäischen Außenminister einzeln abfragte, wer bereit sei, an der internationalen Hilfe teilzunehmen, um Stabilität an der Grenze zwischen Israel und Libanon zu sichern, und einer nach dem anderen aus der Runde der Außenminister sagte: Wir sind dabei."

Abgesehen von dem Militäreinsatz beteilige sich Deutschland auch an Maßnahmen zur humanitären Hilfe und am "Wiederaufbau" des Landes. Europäische Mittel, zu denen auch Deutschland einen Beitrag leiste, kämen hinzu. "Was ist der Sinn dieser Sache?", fragte der Außenminister. "Ich finde, die Menschen im Libanon sollten spüren, dass es für sie und ihre Familien in der nächsten Zeit wieder vorangeht. Das sollten wir ihnen zeigen, damit keine anderen Flaggen über den wieder aufgebauten Brücken wehen, sondern möglichst europäische."

Westerwelle: "Wir alle wissen, dass das nicht stimmt"

FDP-Chef Guido Westerwelle verteidigte das mehrheitliche Nein seiner Fraktion. Die besondere deutsche Verantwortung für Israel sei im Bundestag unbestritten, Deutschland könne und wolle gegenüber Israel nicht neutral sein. Wenn deutsche Soldaten aber an der UN-Mission teilnehmen, werde von ihnen Neutralität verlangt. Merkel entgegnete, Deutschlands Außenpolitik sei nie neutral, sondern werteorientiert gewesen.

"In der öffentlichen Debatte konnte man gelegentlich den Eindruck gewinnen", so Westerwelle, "die Marine habe den Auftrag, vor der Küste des Libanon allein durch Präsenz den Waffen-stillstand zu sichern. Wir alle wissen, dass das nicht stimmt, und doch ist das Wort 'Kampfeinsatz' mittlerweile wieder gänzlich aus dem Sprachgebrauch der Bundesregierung gestrichen worden."

Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, sprach von einer "echten Gewissensentscheidung". "Wir respektieren den Mehrheitsbeschluss, fühlen uns aber gerade durch die unerwartet hohe Zahl von Gegenstimmen aus den Regierungsfraktionen in unserer skeptischen Haltung noch einmal bestätigt."

Lafontaine: Die Entführung von zwei israelischen Soldaten wird als terroristischen Akt verurteilt, nicht jedoch der Tod von 1000 Zivilisten durch Bombardements

Linksfraktions-Chef Oskar Lafontaine kritisierte die Behauptung der Bundeskanzlerin, die gesagt hatte: "Im Nahen Osten ruhen die Waffen." Merkel blende hierbei relevante Daten aus. "Ich sage, meine Damen und Herren: Im Nahen Osten ruhen die Waffen nicht", so Lafontaine. Auch könne der Bundeswehr-Einsatz die Anschlagsgefahr in Deutschland erhöhen.

Lafontaine zitierte in der Debattte den Führer der christlichen Opposition im Libanon, General Aoun, der sinngemäß gesagt habe: "Wir verstehen nicht, dass die Vereinten Nationen die Entführung von zwei israelischen Soldaten als terroristischen Akt verurteilen, während sie das Bombardieren unseres ganzen Landes, wobei über 1000 Zivilisten umgekommen sind, nicht als terroristischen Akt verurteilen."

Des weiteren führte Lafontaine Alfred Grosser, "einen französisch-deutschen Intellektuellen", an, der kürzlich gesagt hab: "Wir werden auf die Art und Weise, wie wir bisher Politik betreiben, im Nahen Osten nicht weiterkommen, weil diese Politik zu einer Demütigung der arabischen Welt führt."

"Sie sind stolz darauf, dass Sie nicht neutral sind", warf er der Bundeskanzlerin vor. "Sie wollen dazu beitragen, dass keine Waffen an die Hisbollah geliefert werden, während Sie gleichzeitig Waffen an Israel liefern." Das aber sei aus Sicht der arabischen Welt nicht akzeptabel ist und werde als Demütigung empfunden.

Lafontaine: Die Regierung ist nicht dazu in der Lage zu sagen, was sie unter Terrorismus versteht

"Wir lehnen diesen Einsatz auch deshalb ab, weil Sie sich nach wie vor konstant weigern, zu sagen, was Sie unter Terrorismus verstehen", sagte der Links-Fraktionschef. Der Kollege Struck habe sich darüber "erregt", "dass ich ihn aufgefordert habe - übrigens auch die Kanzlerin -, endlich zu sagen, was man unter Terrorismus verstehe". Er habe in diesem Zusammenhang das Wort "beschämend" verwandt, der Außenminister habe von "unerträglich" gesprochen. "Ich will jetzt nicht sagen, ob es in meinen Augen beschämend oder unerträglich ist, dass die Regierung und die Mehrheit des Parlaments nicht in der Lage sind, zu sagen, was sie unter Terrorismus verstehen", so Lafontaine. "Nur so viel: Solange man das nicht kann, ist man nicht in der Lage, irgendwie rational gegen den Terrorismus auf dieser Welt vorzugehen."

Lafontaine erinnerte weiterhin an das Völkerrecht. "Das Völkerrecht kann man auf der Welt aber nur durchsetzen, wenn man es selbst beachtet. Deshalb möchte ich hier den Satz 'Im Nahen Osten ruhen die Waffen' aufgreifen und daran erinnern, dass wir nach wie vor am Irakkrieg beteiligt sind, der nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts völkerrechtswidrig ist." Es mache keinen Sinn, das einfach auszuklammern und zu übergehen, "weil es einem nicht passt. Dieser Krieg ist völkerrechtswidrig und wir sind an ihm durch die Gewährung der Nutzung von Flugplätzen sowie die Gewährung von Überflugrechten und sonstigen Hilfen an eine der Krieg führenden Parteien beteiligt. Das Bundesverwaltungsgericht hat Recht. Die Mehrheit dieses Hauses ist völlig im Unrecht, wenn sie ein solches gravierendes Argument übergeht", so Lafontaine.

Es gebe zudem einen untrennbaren Zusammenhang zwischen den Auseinandersetzungen im Libanon und der Bedrohung des Iran durch die USA. "Sie nehmen das wohl gar nicht mehr wahr", sagte Laftaintaine an einen SPD-Abgeordneten gewandt, der offenbar die Herstellung dieses Zusammenhangs als "zynisch" bezeichnet hatte.

"Der Iran sieht sich einer Bedrohung ausgesetzt, weil im Pentagon Pläne gehandelt werden - sie werden in Amerika veröffentlicht -, den Iran mit Nuklearwaffen anzugreifen. Dazu haben mehr als 100 Physiker, darunter fünf Nobelpreisträger, in einem offenen Brief Stellung genommen. Sie haben geschrieben, das sei äußerst unverantwortlich", so Lafontaine. "Man kann doch das alles nicht einfach übergehen. Deshalb sagte ich eben, Frau Bundeskanzlerin: Ihr Satz 'Im Nahen Osten ruhen die Waffen' ist typisch für die Art und Weise, in der diese Entscheidung vorbereitet worden ist. Die Tatsache, dass Sie sich weigern, die Begriffe zu klären, wird eines Tages dazu führen, dass wir solche Entscheidungen bereuen."

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