Vorgesehen ist, dass der Bund künftig das Umweltrecht in einem einheitlichen Umweltgesetzbuch zusammenfassen kann, die Länder jedoch ab 2010 in einigen Bereichen von den Bundesbestimmungen abweichen dürfen. Bundesgesetze sollen demnach grundsätzlich erst sechs Monate nach ihrer Verabschiedung in Kraft treten, mit dem ausdrücklichen Ziel, dass die Bundesländer sie - nach Auffassung von Kritikern - "nach Belieben" durch eigene, abweichende Regelungen ersetzen können. Das soll aber nicht für so genannte "abweichungsfeste Kerne" wie etwa die Festlegung von Verschmutzungsstandards im Wasserhaushalt gelten.
Die Vertreterin der Deutschen Umwelthilfe, Cornelia Ziehm, warnte auf dem Hearing, im schlimmsten Fall könnten die Abweichungsrechte der Länder zu 16 unterschiedlichen Umweltgesetzen in Deutschland führen. Auch seien die abweichungsfesten Kerne zu vage formuliert. Zudem würde das angestrebte Umweltgesetzbuch "weitgehend bedeutungslos", wenn die Länder von ihren Abweichungsrechten Gebrauch machen. Notwendig seien bundeseinheitliche Mindeststandards, wobei den Ländern Gestaltungsspielräume "nach oben" geöffnet werden sollten.
Die geplante Föderalismusreform bedroht nach Auffassung von Ziehm "bereits erreichte Umweltstandards in Deutschland, öffnet einem Umweltdumping zwischen den Bundesländern Tür und Tor, programmiert endlose Rechtsstreitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht, befördert die umweltpolitische Kleinstaaterei, konterkariert darüber hinaus das von der Großen Koalition angestrebte einheitliche Umweltgesetzbuch und gefährdet schließlich massiv die Europatauglichkeit Deutschlands im Umweltrecht".
Die Abweichungsmöglichkeit würde unter den Ländern – etwa beim Wettbewerb um Industrieansiedlungen - im Einzelfall "einen Wettlauf um die niedrigsten Umweltstandards" auslösen. Der bisher unbestrittene verfassungsrechtliche Grundsatz "Bundesrecht bricht Landesrecht" werde in sein Gegenteil verkehrt, weil die Länder stets am längeren Hebel säßen, so Ziehm.
Auch der frühere Präsident des Umweltbundesamtes, Heinrich von Lersner, lehnte die Abweichungsrechte grundsätzlich ab. Sie führten nicht nur im nationalen Recht zu "erheblichen Schwierigkeiten", sondern auch auf EU-Ebene. Zwar sollte der Bund in seinen Gesetzen "spezifizierte Abweichungsmöglichkeiten der Länder" festschreiben. In die Verfassung solle aber kein generelles Abweichungsrecht aufgenommen werden, mahnte er.
Der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen, Hans-Joachim Koch, befürwortete zwar prinzipiell die Abweichungsrechte der Länder. Er kritisierte aber, dass sie im Reformentwurf "sehr weit ausgestaltet" seien. Auch stelle sich die Frage, ob nicht im internationalen Standortwettbewerb die Gefahr drohe, dass unter den Ländern etwa der Naturschutz "weicher gefahren" werde.
Der Rechtswissenschaftler Michael Kloepfer wies die Kritik an den Abweichungsbefugnissen als weitgehend "theoretische Befürchtung" zurück. Ein erfolgreiches Umweltgesetzbuch werde es für die Länder sehr viel schwerer machen, dazu überhaupt umfassende Gegenkonzeptionen vorzulegen. Aus Sicht des Umweltrechts wäre es eine "entscheidende politische Selbstschwächung", das Reformpaket abzulehnen.
Der Direktor des Düsseldorfer Zentrums für Informationsrecht, Johannes Dietlein, nannte es "wenig plausibel, wenn die Reise im Umweltrecht nunmehr in Richtung 'mehr Zentralismus' ginge". Daher sei es konsequent, dass in der Reform keine "Blankokompetenz des Bundes" beim Umweltrecht vorgesehen sei.
Der frühere nordrhein-westfälische Justizminister Wolfgang Gerhards betonte, mit der Neuregelung könne der Bund ein Umweltgesetzbuch "aus einem Guss" schaffen. Künftig habe der Bund in allen wesentlichen Bereichen ein Regelungsrecht, während die geplanten Abweichungsrechte der Länder nicht für zentrale Punkte gelten würden.
Die Anhörungen zur Föderalismusreform sollen übernächste Woche fortgesetzt werden. Dann wird es bei der Expertenbefragung zunächst um den Bildungsbereich gehen. Insgesamt werden zu dem bis Anfang Juni dauernden Hearing mehr als 100 Sachverständige erwartet.