Eine nachträgliche richterliche Entscheidung genüge nur in Ausnahmefällen, müsse dann aber "unverzüglich nachgeholt" werden. Dies gelte sowohl für das Vorgehen der Polizei als auch für die Sachbearbeitung durch den zuständigen Richter. Die Klägerin war im November 2001 wegen einer Sitzblockade bei einem Castortransport rund 22 Stunden lang in polizeilichen Gewahrsam genommen worden, ohne dass sich in dieser Zeit ein Richter mit der Sache befasste.
Das Vorgehen war vom Amtsgericht Dannenberg und vom Landgericht Lüneburg nicht beanstandet worden. Aus Sicht des Verfassungsgerichts wurde die Demonstrantin damit aber in ihrem Freiheitsgrundrecht und ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Die Klägerin hatte bei einem Atommüll-Transport ins niedersächsische Zwischenlager Gorleben am 13. November 2001 mit rund 200 Personen an einer Sitzblockade auf einer Landesstraße in Splietau teilgenommen. Aus ihrer Sicht kam die gesamte Behandlung im Gewahrsam einer "Ersatzbestrafung" gleich.
Nach Angaben der Sprecherin des Bundesverfassungsgerichts, Dietlind Weinland, wurde damit "das erste Verfahren dieser Art" vom höchsten deutschen Gericht entschieden. Sechs weitere Verfahren seien anhängig, davon vier Verfassungsbeschwerden von Atomkraftgegnern wegen Polizeigewahrsams im Jahr 2001 und zwei Klagen wegen eines "Polizeikessels" im Jahr 2002.
Die Atomkraftgegner im Wendland fühlen sich durch die Karlsruher Entscheidung bestätigt. "Die massenhaften Ingewahrsamnahmen von Atomkraftgegnern bei den vergangenen Transporten waren ein unhaltbarer Zustand", sagte der Sprecher der Initiative Widersetzen, Jens Magerl, in Dannenberg.
Im vorliegenden Fall hatten Amtsgericht und Landgericht die nachträglichen Anträge der Klägerin zurückgewiesen, mit denen sie die Rechtswidrigkeit des Freiheitsentzugs und des Vollzugs des Gewahrsams feststellen lassen wollte.
Die Karlsruher Richter rügten, die beiden Fachgerichte hätten den Sachverhalt der Gewahrsamnahme "nicht hinreichend aufgeklärt". So hätten sie den zeitlichen Ablauf des polizeilichen Vorgehens nicht analysiert. Hierzu hätte aber "Veranlassung bestanden, weil Zeiträume von mehreren Stunden im Ablauf der Gewahrsamnahme ungeklärt sind". Die Fachgerichte hätten lediglich auf Verzögerungen aufgrund des Großeinsatzes verwiesen und damit "allgemeine blankettartige Begründungen" gegeben, die "nicht auf den konkreten Fall" eingingen.
Die Klägerin war mit 30 Personen in einem Gefangenentransportfahrzeug in die Gefangenensammelstelle nach Neu Tramm bei Dannenberg verbracht worden. Der Gewahrsam dauerte von 10.20 Uhr bis 8.23 Uhr des Folgetages.
Das Landgericht hatte betont, die Unannehmlichkeiten der Gewahrsamnahme seien für die Sitzblockierer "vorhersehbar" gewesen. Sie hätten sich darauf etwa mit entsprechender Kleidung, der Mitnahme heißer Getränke, Lebensmitteln und einer Isomatte "einstellen" können. Die Sache wurde an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Atomkraftgegner im Wendland fühlen sich durch die erfolgreiche Verfassungsklage gegen einen Polizeieinsatz beim Castortransport im November 2001 bestätigt. "Die massenhaften Ingewahrsamnahmen von Atomkraftgegner bei den vergangenen Transporten waren ein unhaltbarer Zustand", sagte der Sprecher der Initiative Widersetzen, Jens Magerl, am Donnerstag. (AZ: 2 BvR 447/05 - Beschluss vom 13. Dezember 2005)