Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) versuchte die Verantwortung auf die Politik zu schieben: "Die Forderungen der Wirtschaft werden seit Jahren nur unvollständig und in zu geringem Umfang umgesetzt." Deswegen habe das Land nun mit den Folgen zu kämpfen. Die zunehmende Polarisierung in der aktuellen Diskussion sei zudem "außerordentlich schädlich". Hundt forderte mehr Sachlichkeit.
SPD-Vize Ute Vogt hatte zuvor zum Boykott solcher Unternehmen aufgerufen, die Arbeitsplätze abbauen. Wenn sich Unternehmen sozial engagierten und um den Erhalt von Arbeitsplätzen bemühten, könnte dies im Gegenzug ein Kaufanreiz sein. In wenigen Wochen wird in Nordrhein-Westfalen gewählt.
Der Boykottaufruf der stellvertretenden SPD-Chefin Ute Vogt spitze die Debatte unnötig zu, sagte hingegen die SPD-Politikerin Andrea Nahles am Dienstag in Berlin. Es sei zwar verständlich, dass es Unmut gebe, mache aber keinen Sinn, die Unternehmer pauschal zu kritisieren.
Auch der als SPD-Linker bezeichnete Fraktionsvize Michael Müller warnte vor kurzfristigem Aktionismus. Es gehe jetzt vielmehr darum, grundsätzlich zu klären, wie unter den Bedingungen der Globalisierung soziale Marktwirtschaft möglich sei. Die Welt befinde sich in einer "neuen Gründerzeit", sagte Müller. Ein ökonomisch verengtes Einheitsdenken lasse keine politischen Alternativen zu. IWF, Weltbank, WTO und OECD verstünden sich nicht als Förderer der Demokratie, sondern als Türöffner der Privatisierung der Welt. Es gebe "einen unerklärten Wirtschaftskrieg" zwischen der sozialstaatlichen Ordnung und dem angelsächsischen Kapitalismus.
SPD-Fraktionsvize Gernot Erler lehnte den Boykottaufruf Vogts ebenfalls ab. Zugleich kritisierte er, dass die Unternehmerseite die unpopulären Maßnahmen der SPD zur Reform des Arbeitsmarktes nicht genügend anerkannt habe. Auch Nahles forderte die Unternehmer auf, mit Investitionen und der Schaffung von Arbeitsplätzen "auf die Geberseite zu wechseln". Sie verlangte zudem Mindeststeuern auf internationaler und Mindestlöhne auf nationaler Ebene.
"Rhetorische Wende" zu spät für NRW-Wahl?
Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter sieht in den Unternehmer-Attacken Münteferings eine Vorbereitung auf den Wahlkampf 2006. Für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen komme Münteferings rhetorische Wende aber vermutlich zu spät, sagte Walter der "Berliner Zeitung".
Mit Münteferings Kritik an Massenentlassungen sei "ihm der Applaus der Linken sicher", schreibt indes Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine in der "Bild"-Zeitung. Er betonte: "Aber er vergisst, sich an die eigene Brust zu klopfen." Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Müntefering hätten Vertrauen verspielt, "weil sie den Großunternehmen viele Milliarden Euro geschenkt und gleichzeitig Arbeitslosen und Rentnern in die Taschen gegriffen haben". Nicht Worte zählten, sondern Taten.
Lafontaine schreibt, der nordrhein-westfälische Landesverband seiner Partei könne die Wahlen noch gewinnen. "Wenn er vor den Wahlen noch glaubwürdig rüberbringt, dass Hartz IV und einige soziale Kürzungen wieder rückgängig gemacht werden, dann sehe ich noch eine Chance." Geschehe dies nicht, dann "gebe ich mein Parteibuch zurück, um als Sozialdemokrat noch in den Spiegel schauen zu können."