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Deutsches Schulsystem

Soziale Benachteiligung wird durch frühe Auslese verstärkt

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Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat die Kultusministerkonferenz (KMK) aufgefordert, endlich die Kernprobleme des Schulsystems anzupacken. "Die KMK muss ihr selbst auferlegtes Tabu brechen und die negativen Folgen der deutschen Schulstruktur zur Kenntnis nehmen. Das Thema gehört jetzt auf die politische Tagesordnung", forderte GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange am Mittwoch mit Blick auf die KMK-Tagung "Qualitätsentwicklung im Bildungswesen", die am Donnerstag in Berlin stattfindet.


"Alle Maßnahmen, die die Länder bisher ergriffen haben, sind nicht geeignet, Antwort auf die alarmierendste PISA-Botschaft zu geben. In keinem anderen Land ist die Verknüpfung von sozialer Herkunft und Schulerfolg der Kinder so eng wie in Deutschland. Der Skandal dabei: Unser Schulsystem verschärft Benachteilungen von Kindern aus sozial schwächeren Elternhäusern, statt diese abzubauen." Mehr Qualität sei ohne mehr Chancengleichheit nicht zu haben.

Grund für die systembedingte Benachteiligung durch das Schulwesen sei das frühe Sortieren der Kinder nach Klasse vier in Haupt-, Realschüler und Gymnasiasten. "Das System zwingt die Lehrer auszulesen. Es erzeugt hohen Leistungsdruck, dem viele Kinder ohne Unterstützung aus dem Elternhaus nicht gewachsen sind. Individuelle Förderung der Kinder, die ganz unterschiedliche soziale Voraussetzungen, Erfahrungen und Talente mitbringen, kommt viel zu kurz", betonte Stange. Die gemeinsame Grundschulzeit aller Kinder sei beispielsweise viel zu kurz, um Sprachdefizite auszugleichen. Die KMK solle ein Konzept vorlegen, wie die Benachteiligung der Kinder durch die frühe Auslese verringert werden kann. Bis jetzt habe sie lediglich "hektische Betriebsamkeit auf anderen Gebieten verbreitet".

Die GEW-Chefin machte deutlich, dass auch die Halbtagsschule Benachteiligungen verstärke. "Wenn die Kinder nur bis mittags zur Schule gehen, muss das Elternhaus am Nachmittag den Lernprozess etwa bei den Hausaufgaben unterstützen. Alleinerziehende oder Familien, in denen beide Eltern arbeiten müssen, weil sonst das Einkommen nicht reicht, können dies nur in eingeschränktem Maße", sagte Stange. Der Ausbau der Ganztagsschulen müsse konsequent und mit pädagogischem Augenmaß vorangetrieben werden.

Sie kritisierte, dass die KMK bisher viel Zeit, Geld und personelle Ressourcen in die Entwicklung von "Bildungsstandards" gesteckt habe. "Bis diese Maßnahmen Früchte tragen, gehen mindestens zehn Jahre ins Land. PISA und OECD-Studien haben aber deutlich gemacht, dass es jetzt brennt. Deshalb brauchen wir auch Aktivitäten, die schnell greifen", unterstrich die Gewerkschafterin.

Bei den Bildungsstandards sei zudem entscheidend, wie sie eingesetzt werden. "Was für Finnland und Schweden gut ist, kann unter den Bedingungen des deutschen Schulsystems zu verschärfter Auslese und weiterem Abhängen sozial schwächere Kinder führen." Bildungsstandards machten nur dann Sinn, wenn sie mit dem Ziel der Systembeobachtung und der individuellen Förderung der Kinder eingesetzt werden - nicht aber zur Auslese der Schüler oder der öffentlichen Bloßstellung von Schulen missbraucht würden.

Stange erneuerte das Angebot der GEW an die KMK, die Weiterentwicklung des Schulsystems in einer konzertierten Aktion gemeinsam voranzutreiben. Dazu gehöre vor allem "ganz massiv" Lehrerfortbildung in Lerndiagnostik und im Umgang mit sozial- und leistungsgemischten Gruppen. Außerdem brauchten die Schulen Unterstützung durch Sozialpädagogen, Schulpsychologen und medizinisches Personal.

Ein Kind aus einem Akademikerhaushalt hat gegenüber einem Kind aus einem Facharbeiterhaushalt durchschnittlich eine sechs Mal so große Chance, ein Gymnasium zu besuchen. Selbst wenn die kognitiven Kompetenzen (Intelligenz) und die Lesefähigkeit gleich sind, sind die Chancen des Facharbeiterkinds noch drei Mal niedriger. Je nach Bundesland stellt sich die Situation noch drastischer dar. "Weltmeister in Benachteiligung" ist Bayern: Bei gleicher Intelligenz und Lesekompetenz ist die Chance eines Arbeiterkindes, den Sprung zum Gymnasium zu schaffen, sechs mal niedriger als für ein Akademikerkind.

Hat ein Kind den Sprung auf das Gymnasium nicht geschafft, verschärft das Schulsystem die Benachteiligung weiter. An Hauptschulen lernen gleich intelligente junge Menschen weniger dazu als an Realschulen und Gymnasien. Dazu die PISA-Studie: "Auch bei gleichen kognitiven Grundfähigkeiten und identischem sozioökonomischen Status ist die Leistung eines Gymnasiasten um 49 Punkte höher als die Leistung eines Hauptschülers." 49 PISA-Punkte entsprechen einem Lernrückstand von ca. 1,5 Schuljahren. (Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.): PISA 2000 - Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen 2001. S. 182.).

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