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Wüstenstrom | Desertec

Die Idee der Erzeugung von Strom in solarthermischen Großkraftwerken in der Sahara und in anderen Wüsten der Erde wird schon seit Jahrzehnten propagiert. Alle paar Jahre wieder wird der Wüstenstrom von interessierten Kreisen und Medien als vermeintlich neue Erfindung aufgewärmt. Dabei wird stets der Eindruck vermittelt, als käme in Deutschland schon morgen solarer Wüstenstrom aus der Steckdose. Die schiere Größe der inzwischen unter der Bezeichnung "Desertec" firmierenden Konzeption besticht und elektrisiert die Köpfe - nicht jedoch die Stromnetze in Deutschland.

Eines ist gewiss: Ebenso wie in den vergangenen drei Jahrzehnten wird Solarstrom aus der Sahara auch in den kommenden drei Jahrzehnten entweder keine oder allenfalls eine marginale Rolle für die Stromversorgung Deutschlands und Europas spielen. Selbst in den optimistischen Szenarien der so genannten Desertec Foundation soll der Wüstenstrom in ferner Zukunft im Jahr 2050 - also in rund 40 Jahren - lediglich 15 Prozent des erforderlichen Stroms liefern. Die Realisierungschancen sind völlig ungewiss.

Real sind hingegen ist der sensationell schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland. Schon heute liefern die in Deutschland betriebenen erneuerbare Energieanlagen größenordnungsmäßig 18 Prozent des Strombedarfs. Die erforderlichen Anlagen für die nächsten 18 Prozent auf dann 36 Prozent können in wenigen Jahren zugebaut werden, vorausgesetzt, die großen Energiekonzerne sind nicht erfolgreich im willkürlichen Behindern der ungeliebten Konkurrenz. Wie zahlreiche Studien und Abschätzungen zeigen, können die erneuerbaren Energien in Deutschland bald schon 100 Prozent des Strombedarfs decken.

Worum geht es?

Um das Fazit "voRWEg" zu nehmen:

  • Desertec ist der Versuch der Großbanken, Versicherungsriesen und Energiekonzerne, den weiteren Ausbau von Solaranlagen auf den Gebäudedächern und den Ausbau der Windenergie im Binnenland zu behindern.
  • Desertec ist der verzweifelte Versuch der Konzerne, die ihnen lästige Konkurrenz durch eine neue Energieversorgung durch Bürgerinnen und Bürger, Kommunen und kleinere Unternehmen möglichst klein zu halten. Desertec ist insofern nur eine neue Spielart im gut 100jährigen Kampf der großen Energiekonzerne gegen eine bürgernahe bzw. bürger-eigene Energiewirtschaft.
  • Die Konzerne werden mit dieser Strategie vermutlich scheitern. Sie werden zwar gewisse Teilerfolge erzielen und der "Energiewirtschaft in Bürgerhand" auch weiterhin Rückschläge bescheren. Auf lange Sicht aber spricht alles dafür, dass sich im Zuge der neuen dezentralen Energiegewinnungstechniken eine vielfältige dezentrale und hoch-dynamische Energiewirtschaft in Bürgerhand weitgehend durchsetzen wird.

Die Interessen der Stromkonzerne

Um politische Auseinandersetzungen wirklich zu verstehen, macht es stets Sinn, zunächst die Frage zu beantworten, welche Akteure welche Interessen verfolgen und wer von welcher Richtungsentscheidung profitiert.

Der wirtschaftliche "Erfolg" der großen Stromkonzerne und der mit ihnen kooperierenden Unternehmen beruht auf einem einfachen "Geschäftsmodell", das sich zugespitzt folgendermaßen skizzieren lässt:

  1. Erzeugung von Strom zu relativ niedrigen Kosten in staatlich privilegierten und subventionierten Großkraftwerken (Kohlekraftwerke, Atomkraftwerke, große Windparks, solarthermische Großkraftwerke). Möglichst weitgehende Beherrschung der Bezugsquellen von Primärenergie (Energieimporte) und der Absatzmärkte.
  2. Belieferung von "befreundeten" Großunternehmen mit Strom zu relativ niedrigen Preisen und zum Teil sogar zu Dumpingpreisen ("Billigstrom für die Großindustrie") - diese Unternehmen verzichten im Gegenzug weitgehend auf eine eigene industrielle Stromerzeugung, mit der sie der Stromwirtschaft Konkurrenz machen würden.
  3. Erzielung von exorbitant hohen Gewinnen durch den Verkauf des relativ billig erzeugten Stroms ("Kosten") an die Bevölkerung und an kleinere Unternehmen zu weit überhöhten Strompreisen ("Preise").

Die Argumentation des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Desertec werde zu einer kostengünstigeren Stromversorgung führen als die Beibehaltung derzeitiger Trends, läuft daher völlig ins Leere. Denn was für die beteiligten Konzerne niedrige Kosten sind, sind am Ende für die Bevölkerung dennoch die gewohnt überhöhten Preise. Das Kostenargument ist nichts anderes als eine Täuschung von Politik und Öffentlichkeit.

Der dezentrale Ausbau der erneuerbaren Energien "in Bürgerhand" stellt zu diesem Geschäftsmodell der Konzerne natürlich eine gefährliche Konkurrenz dar. Längst hat daher ein Wettlauf um den Zugriff und die Kontrolle auf die erneuerbaren Energien begonnen. Dazu EUROSOLAR-Präsident Hermann Scheer:

"Der Wettlauf um den Zugriff auf die erneuerbaren Energien hat begonnen, die Stromkonzerne steigen jetzt ein, auch weil sie eine angefahrene Entwicklung nur noch dann bremsen können, wenn sie selbst drin sitzen. Außerdem wollen sie verhindern, dass ihnen die Felle wegschwimmen. Sie wollen Ausmaß und Art der Wende zu erneuerbaren Energien kontrollieren und möglichst mit ihren Strukturen in Vereinbarung bringen. Deswegen reden sie von Off-Shore-Projekten, obwohl On-Shore, also die Windenergienutzung an Land, immer kostengünstiger sein wird. Deswegen liebäugeln sie mit dem Desertec-Projekt, in der Hoffnung, damit ihr Anbietermonopol aufrecht erhalten zu können."

Die Interessen der Bevölkerung

Die Interessen der Bevölkerung stehen denen der Konzerne diametral entgegen.

Die Bevölkerung ...

  • wünscht sich preiswerte Energie - sie hat nichts davon, wenn Strom in Kraftwerken zu relativ niedrigen Kosten erzeugt wird, wenn er dann mit staatlicher Billigung zu völlig überhöhten Preisen verkauft wird
  • hat ein Interesse an einer zuverlässigen und umweltfreundlichen Energieversorgung - jeder weiß, dass Energieimporte die Versorgungssicherheit gefährden
  • lehnt eine Abhängigkeit von Energieimporten ab, die notfalls mit militärischer Gewalt gesichert werden muss

Die Wüstenstrom-Konzeption scheitert schon seit Jahrzehnten

Die Wüstenstromerzeugung in der Sahara scheitert schon seit Jahrzehnten. Zu den wesentlichen Gründen für dieses Scheitern zählen u.a.:

  • Die erforderliche Kooperation der miteinander Energiekonzerne scheitert in der Praxis
  • Kooperation der Staaten scheitert
  • die nordafrikanischen Staaten wollen es vielleicht gar nicht (warum wurde noch nicht ein Wüstenkraftwerk konkret projektiert?)
  • Wasserstoffwirtschaft als Riesen-Infrarstruktur war technisch schwer umsetzbar und gegen den Widerstand der Mineralölwirtschaft praktisch nicht durchsetzbar
  • Stromkonzerne wollen keine Konkurrenz für eigene Kohle- und Atomkraftwerke
  • beim heutigen Transportkonzept hohe Stromverluste trotz HGÜ-Leitungen
  • großer Landbedarf (Problem in Küstennähe), die Eigentümer des Landes bzw. die betreffenden Staaten erwarten eine einträgliche Gewinnbeteiligung, was wiederum die Gewinnmarge der europäischen Konzerne schmälern würde
  • evtl. schwere Verfügbarkeit von Standorten außerhalb von Sandwüsten (Sandsturmproblematik),
  • großer Wasserbedarf (Problem in der Wüste)
  • gewaltiger Finanzbedarf, erste grobe Schätzungen beziffern die Desertec-Konzeption auf 400 Milliarden Euro
  • gewaltige finanzielle Risiken für Banken und Versicherungen
  • Terror bzw. Sabotagegefahr
  • fehlende Rechtssicherheit für die „Investoren“ (Eigentumsgarantie)
  • Gefahr der militärischen Aneignung der Anlagen durch andere Staaten
  • Gefahr von Energierevolten durch die lokale Bevölkerung (vgl. Probleme in Nigeria)
  • daher Notwendigkeit von Sicherheitsapparaten
  • eine vorrangige Abnahmegarantie zu garantierten hohen Preisen durch die Netzbetreiber ist nicht leicht durchsetzbar
  • preiswerte Konkurrenz durch dezentralen Wind- und Solarstrom gefährdet Finanzierung
  • Realisierungsprobleme durch Beteiligung zahlreicher Firmen aus Standort-Ländern (vgl. EPR-Bau in Finnland: alles geht schief)

Die unrealistischen Verheißungen von Großprojekten

Desertec fasziniert viele Menschen allein aufgrund der schieren Größe des Vorhabens. Die Wüstenstrom-Konzeption wird von vielen als der ganz große Wurf gesehen, mit dem auf einen Schlag die Energieprobleme der Menschheit gelöst werden könnten. Desertec ist vorläufig allerdings nichts weiter als ein Papiertiger.

Mehr noch. Gerne wird übersehen, dass in den vergangenen Jahrzehnte fast alle Großprojekte der Energiepolitik gescheitert sind. Fast alle Blütenträume der großen Energiekonzerne, an deren kurzfristiger Realisierung in hunderttausenden Medienberichten kein Zweifel angemeldet wurde, sind geplatzt. Zu den gescheiterten Großprojekten zählen:

  • Schneller Brüter in Kalkar
  • Hochtemperaturreaktor Hamm-Uentrop
  • Fusionsreaktor Iter
  • Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben und Wackersdorft
  • Atommüll-Endlager Gorleben
  • mehr als hundert in Deutschland geplante Atomkraftwerke
  • viele Dutzend Atomexporte von Siemens ins Ausland
  • Renaissance der Atomenergie mit Dutzenden Europäischen Druckwasser-Reaktoren (EPR)
  • Dutzende geplante Kohle-Großkraftwerke
  • viele europäische Stromtrassen
  • zahllose Pipeline-Projekte (auch die Nabucco-Pipeline etc.)

Dem Desertec-Modell vergleichbar wollte Siemens am westrussischen Atomstandort Smolensk vor Jahren ein Atomkraftwerk vom Typ Europäischer Druckwasser-Reaktor (EPR) errichten und mit Hilfe einer HGÜ-Gleichstromtrasse den Atomstrom nach Deutschland importieren. Es gab bereits Gespräche zwischen der deutschen, der französischen und der russischen Regierung, um das Vorhaben zu realisieren. Doch auch hier das Ergebnis: Außer Spesen nichts gewesen.

Wenn schon ein einzelnes Kraftwerksprojekt und eine einzige Stromtrasse mit wenigen beteiligten Ländern und Unternehmen nicht zum "Erfolg" führt, wie soll dann das Mega-Vorhaben Desertec gelingen?

Die einzige Realität sind derzeit vom Staat bzw. von den Steuerzahlern bezahlte Studien. Vorstellbar ist ferner, dass aus den Forschungsetats wenige Pilotprojekte realisiert werden ... Ein wenig erinnert das Ganze an den Transrapid, für den auf Kosten der Steuerzahler viele Jahre lang teure Konzeptstudien, eine Teststrecke und anderes finanziert wurden, ohne dass in Deutschland auch nur eine einzige Verkehrsrelation per Transrapid realisiert wurde.

Vielleicht geht es den Banken und Energiekonzernen auch bei Desertec nur darum, Millionen-, wenn nicht Milliarden- Subventionen für Konzeptstudien und ein paar Pilotprojekte zu kassieren.

Fakt ist jedenfalls: Man darf nicht jede Ankündigung der Energiekonzerne für bare Münze nehmen. Das Desertec-Konzept wird in der vorgeschlagenen Form niemals Realität werden. Realität ist vielmehr die atemberaubende Aufholjagd beim dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland.

Die Parteien, die sich derzeit im "Desertec-Rausch" befinden, müssen sich fragen lassen, ob sie den erprobten Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland unterstützen oder ob sie - wieder einmal - zugunsten weniger Großkonzerne Steuermilliarden für eine Fata Morgana in den Wüstensand setzen wollen.

Deutsche Bank gibt Schneckentempo vor

Während die vielen enthusiastischen Fürsprecher der Desertec-Idee eine schnelle Realisierung erwarten, gibt die im Industriekonsortium federführend beteiligte Deutsche Bank ein Schneckentempo vor: Wir haben viel Zeit, keine unnötige Hektik - das war der Tenor eines bei der Deutschen Bank für Desertec zuständigen Managers bei einer der zahllosen Propaganda-Veranstaltungen zum Thema.

Die Deutsche Bank ist sich zudem alles andere als sicher, ob das Konzept tatsächlich umsetzbar ist. Mit Hilfe eines Pilotprojekts soll zunächst die Frage beantwortet werden, ob das Vorhaben in Nordafrika tatsächlich realitätstauglich ist.

Die heimliche Atom-Agenda der Wüstenstrom-Propaganda

Italienische und französische Unternehmen wollen in Tunesien ein Kohlekraftwerk und in Ägypten und Albanien Atomkraftwerke bauen. Ein Großteil des Kohle- und Atomstroms soll nach Europa geliefert werden und dafür würden neue Stromverbindungen zwischen Nordafrika und Europa (Seekabel) benötigt.

Ein Abgeordneter des Europaparlaments geht davon aus, dass die angeblich für den solaren Wüstenstrom erforderlichen Stromtrassen zwischen Nordafrika und Europa faktisch für den Transport von Kohle- und Atomstrom gebaut werden sollen.

Dient das Desertec-Konzept womöglich nur der Legitimierung von Subventionen für neue Stromtrassen? Sind die Planungen für angebliche Solarstromtrassen zwischen Nordafrika und Europa in Wirklichkeit Planungen für Atomstrom-Autobahnen (Stichwort „Green Washing“)?

Diese potenzielle Lüge bei der Legitimierung des Netzaus¬baus erinnert an die Situation in Deutschland: Auch bei den geplanten Stromtrassen in Norddeutschland, die mit den geplanten Off-Shore-Windparks legitimiert werden, geht es interessierten Kreisen vermutlich allein darum, Strom aus neuen Kohlekraftwerken nach Süddeutschland zu transportieren.

"Desertec" ist die Fortschreibung eines falschen „Geschäftsmodells“

Großbanken, Versicherungsriesen und Energiekonzerne haben allein deswegen ein Interesse am Desertec-Konzept, weil es eine Fortschreibung des gesellschaftsschädlichen "Geschäftsmodells" der heutigen Stromwirtschaft zu erlauben scheint. Es geht um ein "System der Abzocke", bei dem relativ günstig erzeugter Großkraftwerksstrom (niedrige Kosten) mit staatlicher Billigung zu weit überhöhten Strompreisen (hohe Preise) an die Bevölkerung verkauft wird. Dadurch werden gigantische Gewinne realisiert. Von der technischen Seite ist es hierbei völlig egal, ob es sich um ein Atomkraftwerk, ein Kohlekraftwerk, ein Off-Shore-Windpark oder um ein Wüstenkraftwerk handelt. Entscheidend ist nur, dass die Großkraftwerke den einschlägigen Energieriesen gehören.

Der Staat soll auch wie üblich alles vorfinanzieren und das Risiko weitgehend übernehmen. Staatssubventionen sollen den Bau der HGÜ-Stromtrassen bzw. von Kraftwerken ermöglichen, das vermeintliche unternehmerische Risiko wird u. a. durch Hermes-Bürgschaften aufgefangen, öffentliche Banken sollen zinsgünstige Dumping-Kredite vergeben (vgl. Billig-Kredit für den EPR in Finnland), während private Großbanken den vollen Zins kassieren.

Es handelt sich im Kern um ein Konzept der Vermögenskonzentration bei den einschlägigen Großkonzernen und zur Verarmung breiter Bevölkerungskreise. Mit einem Europäischen Verbundnetz im Zuge einer potenziellen Teilrealisierung des Desertec-Konzepts entstünde ein europäisches Super-Monopol, das die Umverteilung von unten nach oben möglicherweise noch sehr viel aggressiver durchsetzen könnte als heute.

In diesem Kontext ist zu sehen, dass schon heute ärmere Bevölkerungsschichten Probleme haben, ihre Energierechnungen zu bezahlen. Desertec könnte insofern zur weiteren Verarmung in Europa beitragen.

Kein Konzept der Entwicklungshilfe

Auch in Entwicklungsländern profitieren lediglich die reichen Eliten von Großkraftwerken. Die reichen und einflussreichen Clans würden es selbstverständlich verstehen, Liefer- und Service-Verträge für eigene Firmen durchzusetzen, von Landverkäufen bzw. Verpachtungen zur profitieren, Miteigentümer der Großkraftwerke zu werden etc. etc.

Die breite Bevölkerung hingegen würde - sofern und soweit sie sich einen Strombezug überhaupt leisten könnte - wie bei uns üblich die Zeche durch überhöhte Strompreise bezahlen.

Desertec wäre nichts als eine Kopie der europäischen "Stromdiktatur" auf Entwicklungsländer. Obendrein würden europäische Stromkonzerne wie RWE, E.On und EdF ihre Marktmacht nicht nur in Europa vertiefen, sondern auf Nordafrika und den Nahen Osten ausdehnen. Immer mehr Menschen in Nordafrika und im Nahen Osten würden Kunden von RWE & Co.

Auch für Entwicklungsländer dürfte daher grundsätzlich die Empfehlung richtig sein, dass breite Bevölkerungskreise nur von "Kraftwerken in Bürgerhand" profitieren können. Die Entscheidung über die Energieversorgungsstruktur obliegt aber natürlich den Betroffenen selbst.

Wüstenstrom blockiert den dezentralen Weg

Das deutsche Stromnetz ist schon heute "übervoll", trotz der Stillstände von Atomkraftwerken exportierte Deutschland in den vergangenen Jahren jede Menge Strom. Geplante Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke, Weiterbetrieb und Neubau von Kohlekraftwerken sowie der dezentrale Zubau erneuerbarer Energien werden die Stromüberschüsse in Deutschland weiter erhöhen. Das wird erwartungsgemäß zu verschärften Auseinandersetzungen um die privilegierte Einspeisung von Strom führen.

Für "Desertec-Strom" ist im Netz eigentlich kein Platz, außer es gelingt den Konzernen, eine vorrangige bzw. privilegierte Einspeisung des Wüstenstroms politisch durchzusetzen.

Die Banken werden schlichtweg nicht dazu bereit sein, Wüstenkraftwerke zu finanzieren, wenn der Absatz des Stroms in das Netz nicht staatlich absolut wasserdicht garantiert ist und garantiert hohe Preise für den Strom bezahlt werden.

Schon heute sieht man beim EEG, wie das läuft: Off-Shore-Windstrom kann privilegiert und zu deutlich höheren Preisen eingespeist werden als Binnen-Windstrom. Die Finanzierung von Wüstenkraftwerken steht und fällt also mit wasserdichten langfristigen staatlichen Einspeisegarantien.

Welchen Strom aber wird der Wüstenstrom dann potenziell verdrängen? Die großen Energiekonzerne werden alles daran setzen, dass Strom aus ihren Kohle- und Atomkraftwerken nicht verdrängt wird. Es kann dann mit guter Wahrscheinlichkeit darauf hinauslaufen, dass der erneuerbare Strom aus Bürgerkraftwerken nicht mehr privilegiert ins Stromnetz eingespeist werden kann. Dadurch wird der weitere dezentrale Ausbau dann weniger wirtschaftlich und möglicherweise weitgehend zum Erliegen gebracht.

Doch auch wenn der Wüstenstrom nicht in größerem Stil realisiert wird, blockiert er schon heute den dezentralen Weg. Weil Konzerne, Bundesregierung, Medien, Grüne und Greenpeace die Illusion verbreiten, Desertec könne gleich morgen durch den ganz großen Wurf alle unsere Energiesorgen lösen, fehlen wesentliche Triebkräfte zur weiteren Beschleunigung des dezentralen Ausbaus der erneuerbaren Energien.

Potenziellen Investoren in dezentrale Anlagen wird vorgemacht, vermeintlicher "Low-Tech-Wüstenstrom" sei besser als die Photovoltaikanlage auf dem eigenen Dach. Und im Vertrauen auf die schnelle Realisierung "guter" Off-Shore-Windparks werden beispielsweise viele grüne Kommunalpolitiker davon abgehalten, vor Ort für die Durchsetzung von Binnen-Windenergieanlagen zu kämpfen.

Für "Kraftwerke in Bürgerhand"

Kritiker von Desertec plädieren daher weiterhin für dezentrale Kraftwerke in Bürgerhand. Wie die Realität der vergangenen Jahre zeigt, kommt der Ausbau dezentraler Energieanlagen mit großer Geschwindigkeit voran. Denn es gibt hier sehr viel mehr Investoren als beim zentralistischen Weg und die Investoren müssen keinerlei Rücksicht nehmen auf Monopolstrukturen und vorhandene Kohle- und Atomkraftwerke nehmen müssen.

Eine dezentrale Energiewirtschaft stärkt die wirtschaftliche Potenz von Bürgern und Kommunen, stärkt die Freiheit und das Selbstbewusstsein der Menschen, fördert die Demokratie, sorgt für mehr Verteilungsgerechtigkeit, reduziert die Gefahr der Energie-Armut, fördert regionale Wirtschaftskreisläufe, sorgt für Arbeitsplätze in der Region und fördert somit indirekt die Gesundheit der Menschen.

Für eine kriegs-präventive dezentrale Energiewirtschaft

Durch die Nutzung heimischer erneuerbarer Energien werden Energieimporte im großen Stil überflüssig. Länder, die auf Energieautonomie setzen, werden sich in Zukunft nicht mehr an Energie-Kriegen beteiligen müssen. Eine dezentrale Energiewirtschaft ist daher ein ganz entscheidender Schlüssel für die Verhütung von Kriegen.

Der pragmatische Weg

Kein politischer Akteur kann eine auf dem Reisbrett entworfene Energiezukunft vollständig durchsetzen.

Es wird in der Realität einige solarthermische Kraftwerke geben (möglicherweise auch in der Wüste) und es wird einen weiteren massiven dezentralen Ausbau geben. Auch wird es noch auf Zeit fossile und nukleare Großkraftwerke geben.

Alle politischen Akteure haben allerdings Einfluss darauf, den Energie-Mix mehr in die eine oder in die andere Richtung, möglicherweise auch ganz erheblich zu verschieben.

Vor diesem Hintergrund geht es nicht darum, das eine oder andere solarthermische Kraftwerk zu verteufeln. Es geht im Kern aber darum, dass sich der dezentrale Weg als der aus den dargelegten Gründen einzig sinnvolle möglichst weitgehend durchsetzt, nicht zuletzt auch aus friedenspolitischen Gründen.

Literatur / Quellen

  • Henrik Paulitz, Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW), diverse Papiere und Veröffentlichungen