DIE Internet-Zeitung
Gastbeitrag von Wolfgang Roth

Resilienz stärken und die Irrtümer

Am

 Wolfgang Roth zum Thema Resilienz stärken und welche Irrtümer im Umlauf sind!Ein Vierteljahrhundert befasse ich mich nun mit Resilienz. Seit meiner Diplomarbeit im Rahmen der Bielefelder Invulnerabilitäts-Studien hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Es ist einfach faszinierend zu sehen, was Menschen für ihre psychische Gesundheit tun könn(t)en. Leider sind den wenigsten die Ergebnisse der Resilienzforschung bekannt. Längst sollte es ein Schulfach „Resilienztraining“ geben, in denen Menschen lernen können, eigenständig ihre Psyche zu stärken. Von Kindesbeinen an, präventiv. Viel zu häufig warten wir noch bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Resilienztraining dürfte wesentlich früher ansetzen, und genauso bekannt und beliebt werden, wie der regelmäßige Gang ins Fitness-Studio zur Stärkung des Körpers.


Stattdessen kursieren allerlei Missverständnisse im Hinblick auf Resilienz, auf die ich gerne etwas näher eingehen möchte, da sich immer mehr Menschen für die Stärkung ihres „Immunsystems der Seele“ interessieren. Verwirren Sie die vielen Begriffe?

Einmal sprechen wir von Psyche, dann von Invulnerabilität, dann von Gesundheit und Immunsystem der Seele. Und das ist noch längst nicht alles, was an Begrifflichkeiten zu finden ist, wenn man Resilienz bei Google eingibt. 2,6 Millionen Einträge. Dann wird Resilienz plötzlich mit Stehaufmännchen, Teflon-Schichten, Bambus, Felsen in der Brandung, Navy Seals und einer Vielzahl anderer Vergleiche assoziiert.

Und hier kommen wir bereits zum ersten Irrtum bezüglich Resilienz.

Irrtum 1: Resilienz ist ein Begriff, der auf den Menschen übertragbar ist

Resilienz ist ein Begriff, der aus der Physik stammt, und einen Vorgang bezeichnet, bei dem ein Körper nach seiner Verformung in den Ursprungszustand zurückkehrt. Als Vergleich wird immer wieder der Schwamm angeführt, der in der Hand zusammengedrückt, nach Zurücknahme des (Hände-)Drucks wieder in seine Ausgangsform übergeht.

Dieses Zurückkehren in den Ausgangszustand sehen wir auch bei dem Vergleich mit den Stehaufmännchen, dem Spielzeug, das nach einem Impuls hin und her schaukelt und automatisch seine ursprüngliche Position wiederfindet.

Dies mögen anschauliche Bilder sein, doch werden sie dem Menschen nicht gerecht. Sie können auf einen unbelebten, unbeseelten Gegenstand angewendet werden, doch nicht auf ein Lebewesen mit Gedanken und Gefühlen. Ein Mensch kehrt niemals in seinen Ursprungszustand zurück, er lernt dazu, entwickelt sich. Das drückt sich wunderbar in dem Zitat von Heraklit aus, dass kein Mensch zweimal in den gleichen Fluss steigen kann. Denn alles ist im Fluss, panta rhei.

Menschen sind eben nicht invulnerabel, unverwundbar. Erfahrungen verändern uns.

Der Mechanismus eines Schwammes oder Spielzeugs kann nicht auf den Menschen angewendet werden. Ein Lebewesen aus Fleisch und Blut. Einen stimmigeren, auf den Menschen zutreffenden Begriff habe ich jedoch noch nirgends entdecken können. Der Begriff der Resonanz, wie ihn Hartmut Rosa verwendet, klingt und schwingt diesbezüglich aus meiner Sicht jedoch schon bedeutend menschlicher und würdevoller.

Vielleicht weist uns dieses Beispiel aus dem Bereich Resilienz aber auf ein Phänomen hin, das in unserer Kultur noch allzu verbreitet ist: eine materialistische Sichtweise.

Betrachten wir den Menschen im Arbeitskontext nicht allzu sehr als Produktionsfaktor? Möglicherweise sogar minderwertiger? Wie sonst ließe sich erklären, dass wir unsere Produktionsmaschinen turnusmäßig warten und ihnen Ruhezeiten gönnen, den Menschen – anonymisiert Mitarbeiter genannt – jedoch ohne Unterlass beanspruchen? Eine tiefergehende Betrachtung würde jedoch den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Kommen wir zum zweiten Irrtum bezüglich Resilienz.

Irrtum 2: Resilienz ist psychische Widerstandsfähigkeit

Je tiefer ich in die Resilienzforschung eingetaucht bin, umso mehr fiel mir auf, dass sich Resilienz nicht auf den Bereich der Psyche reduzieren lässt, beziehungsweise keineswegs nur Widerstandsfähigkeit bedeutet. Betrachten wir beide Aspekte getrennt. Zum besseren Verständnis brauchen wir einen kurzen Exkurs, was den Menschen und seine Gesundheit kennzeichnet.

Exkurs: Der Mensch und seine ganzheitliche Gesundheit

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat über die Jahrzehnte hinweg immer wieder versucht zu definieren, was ein gesundes Leben ausmacht. Stand heute kann festgestellt werden, dass Gesundheit als ein individuelles Wohlbefinden bezeichnet wird, das durch bio-psycho-soziale und auch spirituelle Faktoren beeinflusst wird, und durch Umwelteinflüsse.

In anderen Worten:

  • Der Mensch ist ein Körper, eine Psyche, ein soziales Wesen und ein „Sinnsuchender“ (Spiritueller), der Umwelteinfüssen ausgesetzt ist, woraus sein individuelles Wohlbefinden resultiert.
  • Der Mensch gleicht sozusagen einem Wagen mit vier Rädern, von denen eines die Psyche ist.
  • Vergleichen wir nach diesem Exkurs nun die wesentlichen Resilienzfaktoren mit dem Modell der 4 Räder, so lässt sich feststellen, dass Resilienz keinesfalls nur den Psycho-Reifen anbelangt, Warum?
  • Resilienz kennzeichnet sich durch Selbstvertrauen, Sinn, soziale Unterstützung und Selbstmitgefühl.
  • Das bedeutet, dass Resilienz auch den Sozio-Reifen (Soziale Unterstützung) und den Spirituellen Reifen (Sinn) umfasst.
  • Resilienz hat somit mehr mit einer integralen, ganzheitlichen Gesundheit zu tun als ausschließlich mit psychischer Gesundheit oder dem Immunsystem der Psyche.

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass im letzten Abschnitt nicht von psychischer Widerstandsfähigkeit gesprochen wurde, sondern von psychischer Gesundheit. Und hier kommen wir zum zweiten Aspekt. Resilienz ist nicht ausschließlich die Fähigkeit zu widerstehen. Es ist zu gleichen Teilen die Fähigkeit zu akzeptieren, anzunehmen, eben nicht zu widerstehen. Es ist Stabilität und Flexibilität gleichermaßen, Weichheit und Härte. Ein ganz wichtiger Aspekt.

Resilienz, beziehungsweise der Begriff, der erst noch gefunden werden darf, ist das Eine UND das Andere, es ist Yin und Yang. Ein himmelweiter Unterschied, weil aus dem entweder-oder ein sowohl-als auch wird. Nur so ergänzt es sich, wird rund.

Irrtum 3: Resilienz stärken ist eine Methode oder Technik

Als Berater, Coach und Therapeut erhalte ich sehr oft Anfragen mit der Bitte:

„Zeigen Sie mir bitte Methoden oder Techniken wie ich resilienter werden kann“.

Resilienztraining hat sehr wenig damit zu tun. Die eigene Resilienz zu stärken, braucht die Innenschau und die Selbstreflexion. Wir haben gesehen, dass Resilienz mit SELBSTvertrauen korreliert. Das bedeutet für jeden, der sich auf diesen Weg begeben will, dass er sich selbst, sein SELBST erkunden darf. Ganz im Sinne des Spruches über dem Apollo-Tempel:

Erkenne Dich selbst

Der Weg geht nach Innen, ist nicht im Außen über Methoden oder Techniken zu finden. Selbstverständlich kommen an mancher Stelle auch Methoden zum Einsatz, als begleitende und unterstützende Maßnahmen, jedoch nicht vorrangig. Es gibt keine Abkürzungen zum Selbst, es will erforscht werden, der innere Schatz geborgen werden.

Auf dem Weg nach Innen erkunden wir unsere Prägungen, unsere Kränkungen und Verwundungen, unsere Traumata und unsere „Blinden Flecken“ und unversorgten „Inneren Kinder“, die in Kontakt mit uns kommen wollen. Unsere „Schatten“, wie C.G. Jung es formuliert hat.

Wir erforschen unsere Gedanken, Glaubenssätze und Gefühle, unsere Werte, Bedürfnisse, unsere Motivation und unseren „Sinn“ im Leben. Dabei gehen wir durch alle sozialen Umfelder, unsere Ursprungsfamilie, unsere heutige Partnerschaft oder Familie, unsere privaten und beruflichen Sozialkontakte. Und wir werden uns bewusst und spüren, inwieweit diese uns eher Kraft rauben oder Kraft spenden.

Unsere Ziele: Selbstvertrauen, Selbstmitgefühl (Selbstliebe), Sinn, Soziale Unterstützung

Irrtum 4: Resilienz als Allheilmittel

Wir haben gesehen, dass die Gefahr besteht, Resilienz ausschließlich als Widerstandskraft zu betrachten, im Sinne von: „Ich muss nur resilient genug sein, dann halte ich alles aus. Vielleicht werde ich dann sogar unverwundbar, invulnerabel, entwickle eine Teflonschicht auf der Seele oder werde zum Navy-Seal“.

Das kann und darf nicht die Zielsetzung sein. Menschen sind Gefühlswesen, verletzbare Wesen, und das hat die Natur nicht ohne Grund so „eingerichtet“.

Wir sollen empfindsam bleiben für das was wir wahrnehmen und erleben. Und wir sollen den Schmerz, die Traurigkeit, die Angst, die Ohnmacht als Signale nutzen, die uns darauf hinweisen, dass uns bestimmte Umfelder, Kontakte, Strukturen, Systeme nicht gut tun oder vielleicht sogar Schaden zufügen.

Es macht Sinn, dass unsere Hand Schmerz verspürt, wenn wir uns der heißen Herdplatte nähern. Das schützt uns. Und es macht Sinn, wenn wir Schmerz empfinden, wenn wir an unserem Arbeitsplatz – oder von unserem Partner - nicht wertgeschätzt und würdevoll behandelt werden. Es fordert eine Reaktion heraus:

Love it – Change it – Leave it

Allem Schmerz zu widerstehen oder ihn überhaupt nicht mehr spüren zu wollen, das ist nicht im Sinne der Natur.

Resilienz darf kein Allheilmittel gegen „kranke Verhältnisse“ sein, und in nahezu allen Systemen krankt etwas. Da reicht ein Blick in unser Bildungs-, Gesundheits-, Finanz- oder Wirtschaftssystem. Hier wären Veränderungen gefragt, nicht Anpassung und Funktionieren des Menschen um jeden Preis.

Ich freue mich, wenn ich Ihnen mit meinem Blick auf das, was ich persönlich unter Resilienz verstehe, Geschmack auf mehr machen konnte. Resilienz ist ein faszinierendes, ein notwendiges und sinnvolles Thema, ein Zukunftsthema. Denn angesichts der rapide steigenden Anzahl psychischer und psychosomatischer Erkrankungen dürfen wir uns wesentlich intensiver mit Burnout-Prävention, Stressmanagement und Resilienz befassen. Die Einführung der Psychischen Gefährdungsbeurteilung in den Unternehmen ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Noch wichtiger wird jedoch sein, dass jeder Einzelne in die SelbstverANTWORTung für seine Gesundheit und Resilienz geht. Ganz im Sinne von:

Die eigenen Antworten finden auf die Fragen

Wer bin ich und Was will ich?

Viel Freude bei der Schatzsuche.

Ich freue mich über Ihre Rückmeldungen, über Fragen, Anregungen und (konstruktive) Kritik. Wir tauschen uns in der Gruppe aus Resilienz und Selbstvertrauen

Wolfgang Roth
Diplom-Psychologe
Heilpraktiker für Psychotherapie
https://www.wolfgang-roth.com
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