Hartz IV
Bei der "Hartz IV"-Reform wurde die Zuständigkeit für Leistungen, die Arbeitssuchenden zustehen, zwischen kommunalen Trägern und der Bundesagentur für Arbeit aufgeteilt. Die Kreise oder kreisfreien Städte sind demnach unter anderem für Unterkunft und Heizung, Bekleidung sowie für Betreuungsleistungen für Hilfsbedürftige zuständig. Für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes wie etwa Arbeitslosengeld II und für Hilfestellungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt ist die Bundesagentur für Arbeit zuständig.
"Unzulässig auf die kommunale Ebene durchgegriffen"
Die klagenden Kreise machen nach Gerichtsangaben geltend, dass nach dem Grundgesetz die Aufgabenzuweisung an die Kommunen den Ländern vorbehalten sei und diese für die damit verbundenen Belastungen einen Kostenersatz leisten müssten. Indem der Bundesgesetzgeber den Kreisen einzelne Leistungen zugewiesen habe, habe er unzulässig auf die kommunale Ebene durchgegriffen.
Zumindest hätte der Bund einen vollständigen Ausgleich für die Mehrbelastungen vorsehen müssen. Stattdessen könne er nicht einmal sicherstellen, dass der gewährte, aber unzureichende Ausgleich von den Ländern an die Kommunen weitergeleitet werde.
Die Kreise wehren sich außerdem gegen die Verpflichtung, mit der Bundesagentur Arbeitsgemeinschaften zu bilden, damit die Arbeitssuchende die Leistungen aus einer Hand empfangen. Auch darin sehen sie einen verfassungswidrigen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung.
Wissenschaftlicher Dienst zweifelt an Verfassungsmäßigkeit von "Hartz IV"
Bundestag
Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hegt in einem vorläufigen Gutachten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze, sagte ein Sprecher am Wochenende. Die "Bild am Sonntag" zitierte aus dem Gutachten des Bundestages, das "Hartz IV"-Gesetz enthalte Klauseln, "die im Grundgesetz ausdrücklich weder bestimmt noch zugelassen sind". Falls dies zutreffe, wären alle 2,66 Millionen Bescheide über ALG II rechtswidrig. "Das heißt, die Bürger, die durch sie möglicherweise in ihren Rechten verletzt sind, können sie anfechten", betone das Gutachten. Vor allem die Arbeitsgemeinschaften von Kommunen und Arbeitsagenturen seien verfassungsrechtlich "überprüfungsbedürftig".
Der Sprecher des Bundestages sagte, es handle sich in dem Gutachten um eine vorläufige Prüfung, jedoch noch nicht um ein abschließendes Ergebnis. Das "kurze Papier" habe ein Mitarbeiter nach Anfrage des FDP-Abgeordneten Dirk Niebel verfasst.
Niebel selbst stellte eine "hohe Rechtsunsicherheit" fest. Die PDS-Abgeordnete Petra Pau empfahl allen ALG-II-Empfängern, sie sollten gegen ihren Bescheid "unbedingt Widerspruch einlegen".
Bundesregierung: Justizministerium hat Gesetz überprüft Die Bundesregierung hat Zweifel des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags an der Verfassungsmäßigkeit der "Hartz IV"-Reform zurückgewiesen. "Das Gesetz ist verfassungskonform. Das haben die Experten des Justizministeriums überprüft," sagte eine Sprecherin von Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) nach einem Vorabbericht dem "Handelsblatt".
SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner räumte laut Zeitung ein, dass Arbeitsgemeinschaften von Kommunen und Einrichtungen des Bundes nicht im Grundgesetz vorgesehen seien. "Entscheidend ist aber, dass die Rechtshoheit der Kommunen nicht ausgehebelt wird und das ist sicher gestellt", sagte Brandner dem Blatt. So könnten die Kommunen frei entscheiden, ob sie Arbeitsgemeinschaften bilden. Außerdem blieben die kommunalen Mitarbeiter in den Arbeitsgemeinschaften unter der Weisungshoheit der Kommunen. "Sie tun nur das, was sie bisher schon für die Sozialhilfeempfänger getan haben - nun in Abstimmung mit den bisher nur für Arbeitslosenhilfebezieher zuständigen Arbeitsagenturen, um eine effizientere Betreuung aller Langzeitarbeitslosen zu ermöglichen", sagte Brandner.
"Agenturschluss": Aktionen gegen Hartz IV in mindestens 81 Städten Elf Landkreistage haben inzwischen Verfassungsklagen gegen Hartz IV angekündigt. Auch sie monieren, dass mit Hartz IV unzulässigerweise in die vom Grundgesetz garantierte Selbstverwaltung der Kommunen eingegriffen werde.
Zudem wollen "Hartz IV"-Gegner in mindestens 81 Städten unter dem Motto "Agenturschluss" in den Agenturen gegen die Reform protestieren, teilte das Aktionsbündnis "Soziale Gerechtigkeit - Stoppt den Sozialabbau" am Sonntag in Leipzig mit. Die Veranstalter kündigten Belagerungsaktionen, Frühstückspausen oder Gesprächsrunden in den Agenturen an. So wolle man vor Ort mit den Betroffenen ins Gespräch kommen. Außerdem fänden am Montag in mindestens elf Orten wieder Montagsdemonstrationen statt.
Regierung bestreitet internen Verfassungsstreit bei "Hartz IV"-Gesetz
Unterkunftskosten
Die Bundesregierung weist verfassungsrechtliche Zweifel an der Neuregelung der Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose zurück. Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg sagte am Mittwoch in Berlin, das vom Bundestag am Freitag beschlossene Gesetz zur Kostenbeteiligung des Bundes sei aus Sicht der Bundesregierung "verfassungsrechtlich vertretbar". Man gehe davon aus, dass auch der Bundesrat mit großer Mehrheit dem Gesetz zustimmen werde.
Das Gesetz sieht vor, dass sich der Bund 2007 mit 4,3 Milliarden Euro an den Wohn- und Heizkosten von Langzeitarbeitslosen von insgesamt schätzungsweise 13,5 Milliarden Euro beteiligt. Auf Wunsch der Bundesländer sollen die Kommunen in Baden-Württemberg 35,2 Prozent und in Rheinland-Pfalz 41,2 Prozent der Kosten erhalten, die Quote für die anderen Bundesländer beträgt 31,2 Prozent.
Nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Mittwoch sehen Verfassungsfachleute bis ins Kanzleramt und ins Justizministerium hinein die unterschiedlichen Quoten im Widerspruch zum Grundgesetz.
Nach Angaben von Steg trafen sich Kanzleramtsminister Thomas de Maiziere (CDU) und die betreffenden Minister am Mittwoch nach der regulären Kabinettssitzung, um den Sachverhalt zu besprechen. Dort sei festgehalten worden, dass es keinen Anlass zu Zweifeln gebe, dass das Gesetz nicht verfassungskonform sei.
Sollte Bundespräsident Horst Köhler das Gesetz nicht unterzeichnen, gäbe es 2007 zunächst keine gesetzliche Grundlage für Zahlungen des Bundes an die Kommunen für die Unterkunftskosten.
Am 06. Dez. 2006
AWO-Chef Schmidt steht wegen "Hartz IV" am Pranger
Austrittswelle
Der Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Wilhelm Schmidt, gerät wegen seiner Forderung nach Leistungskürzungen für Empfänger nach der Arbeitsmarktreform "Hartz IV" in heftige Kritik aus den eigenen Reihen. Schmidt habe klar gegen die Prinzipien der Arbeiterwohlfahrt verstoßen, sagte der Vorsitzende des Bezirksverbandes Niederrhein, Paul Saatkamp, der Chemnitzer "Freien Presse". Er sei entsetzt über die Haltung des AWO-Vorsitzenden. Alle vier nordrhein-westfälischen Bezirksverbände distanzierten sich von den Kürzungsforderungen ihres Vorsitzenden.
Saatkamp forderte Schmidt auf, die in der Erklärung enthaltenen Korrekturvorschläge für die "Hartz IV"-Reform auf der Mitte Juni stattfindenden Bundesausschusssitzung öffentlich zurückzunehmen. Die Forderungen Schmidts hätten bereits zu einer Austrittswelle in der AWO geführt, sagte Saatkamp.
Bei einer Fortsetzung der unsozialen Politik befürchte er einen ähnlichen Aderlass, wie ihn die SPD hat hinnehmen müssen. Er gehe davon aus, dass Schmidt wegen seiner unabgestimmten Initiative vom Bundesausschuss gerügt werde. "So ein Verhalten kann nicht hingenommen werden." Mit Rücktrittsforderungen rechnet Saatkamp jedoch nicht.
Am 31. Mai. 2006
Bundesregierung und Kommunen wollen mehr Druck auf "Hartz IV"-Empfänger ausüben
"Fördern und Fordern"
Die Kommunen haben Forderungen aus der Regierungskoalition nach mehr Druck auf Hartz IV-Empfänger unterstützt. Bei dem bevorstehenden Optimierungsgesetz müsse der Grundsatz "Fördern und Fordern" konsequent umgesetzt werden, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, der Chemnitzer "Freien Presse". Hilfen dürften dann nur noch "die wirklich Bedürftigen" erhalten. Ein "Missbrauch" und das "Ausnutzen" der Leistungsangebote könnten nicht länger als Kavaliersdelikt angesehen werden.
Landsberg "verlangte" von den Arbeitsagenturen, den Erwerbslosen möglichst "sofort" eine zumutbare Arbeit, eine Weiterbildung oder einen Ein-Euro-Job anzubieten. Wer das Angebot nicht akzeptiere oder eine Eingliederungsvereinbarung ablehne, müsse wissen, dass er damit eine sofortige Kürzung des Arbeitslosengeldes riskiere.
Zugleich forderte der Hauptgeschäftsführer eine Lockerung der Datenschutzbestimmungen, damit die Arbeitsagenturen bei Verdachtsfällen Erkundigungen einziehen könnten. So müsse künftig eine Anfrage bei der Bundeszentrale für Steuern erlaubt sein, um verschwiegenes Vermögen aufdecken zu können. Auch die Beweislast bei den Bedarfsgemeinschaften dürfe nicht länger beim Staat liegen.
Am 27. Apr. 2006
Erstattung von Tilgungsraten für Eigenheim von "Hartz-IV"-Empfängern
"Ausnahmefälle"
"Hartz-IV"-Empfänger können die Tilgungsraten für ein Eigenheim unter Umständen vom Amt erstattet bekommen. Das entschied das Bundessozialgericht am Mittwoch (18. Juni) in Kassel. Allerdings gelte das nur, wenn Haus oder Eigentumswohnung von den Arbeitslosen selbst genutzt und bereits "zum großen Teil" abbezahlt seien. In solchen "Ausnahmefällen" müssten ihnen die monatlichen Ratenzahlungen an die Bank als "Kosten der Unterkunft" bewilligt werden - wenn auch nur bis zur Höhe der ortsüblichen Miete einer angemessen großen Wohnung.
Geklagt hatte ein 60-jähriger Empfänger von Arbeitslosengeld II aus Bielefeld. Der alleinstehende Mann lebte in einer 45 Quadratmeter großen Eigentumswohnung, für die er noch Restschulden von knapp 15.000 Euro bei der Bank hatte. Die monatlichen Kreditzinsen von 74 Euro übernahm die örtliche Arbeitsgemeinschaft (ARGE) anstandslos, die Tilgungsraten von rund 290 Euro im Monat aber wollte sie nicht zahlen. "Hartz-IV"-Leistungen dürften nicht dem Aufbau von Vermögen dienen, so die Behörde.
Deutschlands oberste Sozialrichter stimmten dem zwar grundsätzlich zu, ließen aber Ausnahmen zu. Sonst würden ältere Arbeitslose, die ihr Wohneigentum schon weitgehend abbezahlt hätten, zu Unrecht benachteiligt. (Az.: B 14/11b AS 67/06 R)
Am 18. Jun. 2008
Verfassungswidrigkeit von Hartz IV–Regelsätzen bestätigt
Hessisches Landessozialgericht
"Endlich greift die Erkenntnis um sich, dass die Hartz IV-Regelsätze zu niedrig sind", begrüßte Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion, die Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. Oktober, nach der die Hartz IV-Regelleistungen nicht das soziokulturelle Existenzminimum abdecken und damit gegen das Grundgesetz verstoßen. "Wenn die Bundesregierung eine erneute Blamage in Karlsruhe verhindern will, muss sie umgehend reagieren", fordert Ernst.
Dabei reiche es nicht, den Regelsatz wie im aktuellen Existenzminimumsbericht vorgeschlagen entsprechend der Rentenerhöhungen in den Jahren 2009 und 2010 anzupassen. "Wer den Beziehern von Arbeitslosengeld II ein menschenwürdiges Leben ermöglichen will, muss den Regelsatz sofort auf 435 Euro anheben und dann regelmäßig entsprechend der Preisentwicklung anpassen", verlangt Ernst.
Der Hessische Beschluss kritisiert die mangelnde Begründung der Festlegung der Kinderregelsätze. Diese werden ohne Ermittlung des spezifischen Bedarfs von Kindern und Jugendlichen schlicht vom Eckregelsatz für Erwachsene abgeleitet. Ausschlaggebend muss aber der tatsächliche Bedarf sein. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat dazu eine gründliche Expertise vorgelegt, die eine deutliche Erhöhung der Leistungen für Kinder und Jugendliche begründet.
Am 30. Okt. 2008