Topics
- Wie kann ich in den fortgeschrittenen mittleren Jahren wohl eine gute neue Position erlangen?
- Wer sich neu orientiert, braucht eine positive Sichtweise auf die eigene Geschichte
- Das persönliche Netzwerk sollte unbedingt aktiviert werden - gerade die privaten Kontakte
- Wichtig ist der eigene, innere Zustand bei diesem Veränderungsprozess
NGO: Herr Bienert, Sie sind Coach in München und begleiten Ihre Kunden dabei, ihre berufliche Karriere so zu planen, dass sie erfolgreich und zufriedenstellend verläuft. München gilt als eine der wirtschaftlich stärksten Metropolen in Deutschland. Berufliche Chancen gibt es da jede Menge. Wozu brauchen Führungskräfte dort einen Coach?
Meine Kunden sind in der Regel über 40. Eine typische Ausganglage sieht so aus: Nach rund zwei Jahrzehnten haben sie beruflich viel erlebt und erreicht. Sie kennen ihren Fachbereich und haben sich als Experte bewährt. Sie haben eine beachtliche Breite von Aufgaben und Problemen bearbeitet, davon viele erfolgreich. Sie kennen das politische Spiel im Management und haben gelernt, in Organisationen zu navigieren. Dann kommt ein Punkt, an dem ihre Karriere Schwung verloren hat und stockt. Vielleicht, weil ein kritisches Projekt kaum lösbar ist oder neue Stakeholder auf die Bühne treten, die eine andere Agenda haben und einen anderen Stil mitbringen.
NGO: Die Probleme, die dann auftauchen: Warum lassen sie sich nicht innerhalb des Unternehmens lösen?
Subtile und offene Zeichen von Unstimmigkeit und Disharmonie werden in der Betriebsamkeit des Unternehmens-Alltags leicht übersehen – manchmal auch gern. Hin und wieder gibt es auch harte Cuts, wenn beispielsweise ein Bereich verkleinert, fusioniert oder mal eben verlegt wird. In jedem Fall stellt man fest, dass die eigene Position unter Druck gerät
Wie kann ich in den fortgeschrittenen mittleren Jahren wohl eine gute neue Position erlangen?
NGO: Das kann auch dazu führen, dass sich Unternehmen von leitenden Angestellten trennen – was dann?
Als Coach habe ich oft die Erfahrung gemacht: Führungskräfte sehen sich plötzlich mit einer Aufhebungsvereinbarung konfrontiert. Sie finden das daneben und unverschämt, sind der Überzeugung, das nun wirklich nicht verdient zu haben. Der Bruch nagt an ihrem Selbstwertgefühl. Sie fragen sich: Wie kann ich in den fortgeschrittenen mittleren Jahren wohl eine gute neue Position erlangen? Der letzte Lebenslauf liegt einige Zeit zurück, Headhunter haben sich schon länger nicht mehr gemeldet. Die Ahnung wächst, dass sich der Markt, die ungeschriebenen Spielregeln, die Zugangswege verändert haben.
NGO: Und dann kommt der Coach ins Spiel?
Natürlich wird jede Situation und Geschichte eine individuelle sein und etwas anders aussehen: Aber der Start- oder Wendepunkt ist im Kern für jeden gleich. Die betreffenden Personen brauchen und wollen eine neue berufliche Aufgabe. Die ist aber noch nicht so ohne weiteres erreichbar. Genau an dem Punkt setzt die Karriereberatung des Coaches an.
NGO: Dann lassen Sie uns darüber sprechen, wie sich diese Probleme lösen lassen. Dabei stellt sich die Frage: Wo anfangen?
Am Anfang stehen immer eine Standort-Bestimmung und eine Zielfestlegung…
NGO: Klingt gut: Was heißt das genau?
Als Coach in München begleite ich meine Mandanten zunächst dabei, ihren persönlichen Karrierekorridor zu analysieren und zu vermessen. Sie erarbeiten ihre berufliche Landkarte und legen ihr Traumjobpotenzial fest. Im Kern ist das die Schnittmenge zwischen drei Bereichen: Dem Erfahrungsprofil mit den jeweiligen Kompetenzen auf der einen Seite sowie die Wünsche, Ziele und Träume auf der anderen. Und dann natürlich die Realität des Marktes. Wenn diese Schnittmenge gefunden ist, hilft eine klare Beschreibung der neuen Aufgabe und am besten eine Liste an Zielfirmen, die konkret in Frage kommen. Genau das ist die notwendige Zielverortung!
Wer sich neu orientiert, braucht eine positive Sichtweise auf die eigene Geschichte
NGO: Und die Loslösung vom bisherigen Job: Sie ist für viele Führungskräfte sicher keine leichte Aufgabe, oder?
Das stimmt. Leider laufen die meisten Trennungen, Aufhebungen und Kündigungen alles andere als rund - und haben häufig einen bitteren Beigeschmack. Die betreffenden Führungskräfte fühlen sich vermutlich angeknackst und tun sich schwer damit, ihren Kontakten selbstbewusst und optimistisch die Geschichte ihrer Neuorientierung zu erzählen. Genau das brauchen sie aber, weil es bei allen geschäftlichen Kontakten und bei jeder Bewerbung ein zentraler Punkt sein wird.
Wer sich neu orientiert, braucht eine positive Sichtweise auf die eigene Geschichte: Wichtig sind die Erfolge, die Aufgaben, die spannenden Sachen, die man gemacht und erreicht hat. Auch wenn es anfangs noch schwer fällt. Es geht darum, wertschätzend und überwiegend positiv zurück zu blicken und sich von der Kränkung immer weiter zu distanzieren. Im nächsten Schritt sollte man nachvollziehbare, glaubhafte Gründe definieren, warum es zu der Trennung kam. Dies können wirtschaftliche Probleme im Unternehmen sein, eine Neuausrichtung oder unterschiedliche Ansichten zu strategischen Themen. Nur so kann man Gesprächspartnern von Mensch zu Mensch gegenüber treten. Und von Experte zu Experte reden.
NGO: Lassen Sie uns über das Thema Bewerbungen sprechen: Sie hatten es erwähnt: Bei vielen Führungskräften liegt die letzte Bewerbung lange zurück. Wozu raten Sie?
Jetzt wird es spannend. Die meisten Manager – mal abgesehen vom Top-Management - suchen ihren Job auf den Stellenbörsen ihres Segments. Das ist hier in München auch so. Manchmal kommt noch der Headhunter hinzu, wenn gepflegte Kontakte vorhanden sind. Das ist auch nicht verkehrt, wird aber nur in rund 30 bis 50 Prozent der Fälle den gewünschten Erfolg bringen. Viele Faktoren spielen hier eine Rolle: Das Alter, der regionale Markt, der individuelle Marktwert, die Vita und einiges mehr. Viele gute Leute kommen damit nicht mehr zum Ziel und sei es nur, weil ihre Altersangabe sie auf den falschen Bewerberstapel befördert.
Das persönliche Netzwerk sollte unbedingt aktiviert werden - gerade die privaten Kontakte
NGO: Was empfehlen Sie dann?
Jetzt kommt das persönliche Netzwerk ins Spiel. Es sollte unbedingt aktiviert werden - auch und gerade die informellen, privaten Kontakte! Wichtig dafür sind die richtige Haltung und eine weiche Gesprächsanbahnung. Und das in möglichst vielen kompakten Sondierungs- und Hintergrundgesprächen. Einfach nur, damit diese Kontakte mal wieder etwas gehört haben. Und dann heißt es, den Dingen ihren Lauf zu lassen...
Wer kommunikationsfreudig ist, nutzt die Technik der Initiativbewerbung und adressiert damit den verdeckten Stellenmarkt. Dies erfordert einiges an Vorbereitung, Recherche und auch Klarheit in der Auswahl der Firmen. Im Vordergrund steht dann der persönliche „Hot Spot“ und eine knackige ein- bis zweiminütige Selbstpräsentation - idealerweise in einer telefonischen Kontaktaufnahme. Hier ist die Haltung zu der Angelegenheit besonders wichtig. Der Job-Suchende ist dann Anbieter einer speziellen, einmaligen Leistung und prüft gemeinsam, ob das Zielunternehmen in absehbarer Zukunft hieran Bedarf hat.
Die sozialen Netzwerke sind an diesem Punkt möglicherweise eine große Hilfe. Man kann so indirekte Empfehlungen bekommen und Entscheider im Zielunternehmen identifizieren.
NGO: Können Sie aus Ihrer Erfahrung als Coach auch Tipps für die Bewerbungsunterlagen geben? Welche Stolperfallen gibt es hier?
Nur ganz kurz, denn dazu findet man Literatur, Tipps und Vorlagen en masse. Ein großes Portal ist die Karrierebibel.de. Ausgesprochen wichtig ist, dass man auf den Punkt kommt, ein klares Profil erkennen lässt. Das ist anspruchsvoll und am besten nutzt man Gegenleser und Mitdenker. Der Umfang des Lebenslaufs sollte 3 Seiten nicht überschreiten. Das Foto ist vom Profi und passt zur angepeilten Position.
Anschreiben haben zwei zentrale Aufgaben: Erstens erklärt man, warum man sich jetzt hier bewirbt. Im Hauptteil geht der Bewerber konkret auf wenige zentrale Anforderungen der Position ein und erläutert beispielhaft an Hand der relevanten Projektbeispiele, warum er der Richtige ist.
Wichtig ist der eigene, innere Zustand bei diesem Veränderungsprozess
NGO: Worauf sollten Führungskräfte außerdem achten? Was empfehlen Sie als Coach?
Ganz wichtig ist der eigene, innere Zustand bei diesem Veränderungsprozess. Jeder sollte darauf achten, sich gut in Form zu bringen und zu halten. Auch die Resilienz ist dabei zu trainieren und auszubauen. Man muss sich die Zeit erlauben, die dieser Prozess nun mal braucht: Mindestens 3 Monate wenn ALLES super läuft, gute 6 Monate in der Regel und über 12 Monate, wenn die Veränderung größer ist. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht, aber man verausgabt sich dabei.
Man sollte lernen, sich selbst zu loben und anzuerkennen. Und zwar für jeden Schritt, jeden neuen Kontakt, jedes Telefonat, jedes Interview, jede Recherche. Auch ein professionelles Bewerbungscontrolling hilft, damit man alles gut im Blick behält.
Wer intensiv arbeitet, braucht auch Ausgleich. Zum Beispiel Unternehmungen mit der Familie oder mit Freunden. Erholung und Erlebnis sind wichtig. Auch ehrenamtliche Arbeit ist oft eine gute Sache. Auf jeden Fall gilt: am Leben teilhaben! Und wer bemerkt, dass er nicht auf gute Betriebstemperatur kommt, sollte sich helfen lassen. Und etwas ganz Wichtiges sollte man nie vergessen: Es gibt mit Sicherheit die passende Aufgabe, es gilt nur, sie zur rechten Zeit zu finden.
Über Volker Bienert: Volker Bienert ist Coach in München und begleitet Führungskräfte ab 40 bei ihrer beruflichen Neuorientierung. Er kennt Erfolge und Höhepunkte des internationalen Managements, aber auch Trennungen und Neuanfänge. Diese Erfahrungen gibt der Karriere-Experte an seine Mandanten weiter. Nach dem Studium startete Bienert seine Karriere mit einem Vertrieb/Marketing-Trainee- Programm in der IT Branche. Nach zwei Jahren erhielt er die Möglichkeit in der Europazentrale mitzuarbeiten, was ihn nach London und in die USA brachte. Er wechselte in eine Key-Account-Stelle, hatte zwar Erfolg, aber war nicht besonders glücklich mit den Rahmenbedingungen. Bienert wechselte zu Microsoft, ihm wurde die Leitung eines Teams übertragen und später dann die Leitung des Mittelstands-Marketings.
In der Reorganisation geriet er in einen Konflikt mit der Vorgesetzen, der dazu führte, dass er das Unternehmen verließ. Dies nahm er zum Anlass, sich zu verändern. Bienert absolvierte eine Trainerausbildung bei einem gruppendynamischen Institut und erlebte eine intensive Zeit der Veränderung. Mit Anfang 40 stieg er nochmal bei Microsoft international ein, verantwortete mit seinem Team das Europageschäft für umsatzstarke asiatische Key Accounts. Nach 7 Jahren stellte er fest, dass er aufgrund des Alters von knapp 50 Jahren, aber auch durch seine Wertorientierung nicht mehr ins Unternehmen passte.
In diesem Prozess ließ er sich coachen. Das gab ihm den Mut und den Schwung, den Neuanfang auch anzugehen. Eine gute Outplacement-Beratung half ihm, seinen endgültigen Weggang von Microsoft sauber und glatt zu bewältigen und alle Energie in das Neue hineinstecken zu können. 2013 wagte er den Start in die Selbstständigkeit, es folgte begleitend die Ausbildung zum hypnosystemischen Coach. Heute arbeitet er als Karriere-Coach und Outplacement-Berater in München - genau mit den Menschen, deren Weg er selbst so gut kennt. „Ein echtes Geschenk“, urteilt Bienert.