Tote und Verletzte im November 2012
Die israelische Regierung bezeichnet ihre Großoffensive auf den Gazastreifen im November 2012 als „Operation Wolkensäule“ sowie als „Operation Säule der Verteidigung“. Die Bezeichnung ist nicht einheitlich. Dabei wurden 191 Palästinenser im Gazastreifen durch die IDF (israelische Armee) getötet, darunter 48 Kinder, 12 Frauen und 20 ältere Leute. Die große Mehrheit waren Zivilisten . Auf israelischer Seite wurden sechs Armeeangehörige von Palästinensern getötet, 1.492 Palästinenser wurden verletzt, darunter 533 Kinder und 254 Frauen und 103 Ältere, - ca. 3.000 obdachlos.
Mädchen in Bethlehem, November 2012, Ryan Rodrick Beiler
Israels "Recht auf Selbstverteidigung" - ein überragender Propagandasieg
Einer der überragenden Propagandasiege der israelischen Regierung besteht darin, dass große Teile der israelischen Öffentlichkeit wie auch die Mehrheit der westlichen Regierungen und Medien Israel als Opfer der Palästinenser akzeptiert haben. „Die Propaganda ist so wirksam, dass man nur die palästinensischen Raketen im Süden Israels und nun auch in Tel Aviv zu den Kampfhandlungen zählt. Die Raketen oder der Schaden, der dem Allerheiligsten – einem Militärjeep – zugefügt wird, wird jeweils als Auslöser angesehen,“ schreibt Amira Hass, eine israelische Journalistin. Auch auf den deutschsprachigen Wikipedia-Seiten dominiert die offizielle israelische Darstellung beim Eintrag „Operation Wolkensäule“.
Wer hat angefangen?
Selten erwähnt wurde in den westlichen Medien, dass die IDF vor dem palästinensischen Angriff auf den Militärjeep am 5. November den 23 Jahre alten Ahmad Nabhani im Gaza-Streifen tötete und am 6. November den 13 Jahre alten Ahmad Abu Dagga, während er Fußball spielte. Und nach dem Angriff auf den Jeep am 10. November tötete die IDF weitere vier Zivilpersonen im Alter von 16–19 Jahren.
314 Tote Palästinenser in „Friedenszeiten“
Wichtig ist auch, dass nach den massiven Bombenangriffen auf Gaza zum Jahreswechsel 2008/2009, bei denen 1.397 Palästinenser ihr Leben verloren , insgesamt weitere 314 Palästinenser von der IDF oder einzelnen Israelis getötet wurden. Davon wurden 270 im Gazastreifen getötet. Dies fand in den Medien kaum Beachtung. Im gleichen Zeitraum wurden 17 Israelis von Palästinensern getötet.
Warum hat die israelische Regierung Gaza bombardiert?
- Israels Ministerpräsident Netanjahu führte mit der Militäraktion Wahl¬kampf! Diesen Verdacht hegen internationale, palästinensische und israelische Friedensaktivisten wie Gershon Baskin, Uri Avnery sowie die israelische liberale Zeitung „Haaretz“. Da müssen die Feindbilder passen und da kann es nicht sein, dass Verhandlungen mit dem Erzfeind Hamas in greifbare Nähe rücken. Auch die Bombardierung Gazas vor vier Jahren sollte dem Wahlkampf dienen. „In Wahlzeiten ist es in Israel populär, Palästinenser zu töten,“ sagt Chas Freeman, hochrangiger ehemaliger US-Diplomat. Über 90 Prozent der jüdischen Israelis sehen die Bombenangriffe auf Gaza als gerechtfertigt an. Ein wesentlicher Grund dafür ist die rassistische und militarisierte Erziehung in Schule und Universität. Dagegen haben israelische Friedensgruppen gegen die israelischen Bombenangriffe demonstriert.
- Die gezielte Tötung von Ahmed al-Dschabari, dem Militärchef der Hamas, am 14. November kann nur als geplante Eskalation der israelischen Regierung interpretiert werden. Denn dieser hatte mit dem israelischen Friedensaktivisten Gershon Baskin ein Abkommen vorgeschlagen, wodurch sowohl Gewalt gegen Gaza wie auch der Abschuss von Kassamraketen auf Israel langfristig beendet würde. Gershon Baskin hatte sich bereits als Vermittler der Freilassung des israelischen Soldaten Gilat Shalit im Austausch für die Freilassung von palästinensischen Gefangenen einen Namen gemacht.
- Gaza ist Test- und Trainingsgebiet für israelische Waffen und für die IDF. Generalmajor Yoav Galant bezeichnet Gaza als eine „ideale Trainingszone“. Dies hat den Aufstieg Israels zum viertgrößten Waffenexporteur der Welt mit begünstigt. Es stellt sich außerdem die Frage, ob auch die dreiwöchige amerikanisch-israelische Militärübung namens „Austere Challenge 2012“ in diesem Zusammenhang zu sehen ist. Bei diesem bisher größten gemeinsamen Manöver ging es um das Zusammenwirken der Streitkräfte beider Länder bei der Abwehr von Raketenangriffen auf Israel. Die „Operation Wolkensäule“ bildete praktisch den Abschluss dieser Militärübung. Und die in diesem Zusammenhang auf Israel abgeschossenen Kassamraketen bildeten den ersten Praxistest des neuen israelischen Luftabwehrsystems „Iron Dome“.
- Eli Yishai – bis Mai 2013 israelischer Innenminister – forderte, „Infrastruktur, öffentliche Gebäude und Regierungsgebäude“ müssten zerstört werden. Ziel der Operation sei, „Gaza ins Mittelalter zurückzuschicken“. Verkehrsminister Israel Katz rief auf, Gaza so schwer zu bombardieren, „dass die gesamte Bevölkerung nach Ägypten flieht“.
Vertreibung und Entrechtung der Palästinenser
Landverlust der Palästinenser 1946 - 2000
Häufig wird nicht zur Kenntnis genommen, dass israelische Regierungen seit 1948 eine systematische Politik der Vertreibung, Enteignung, Erschießung, Inhaftierung und sonstigen Entrechtung von Palästinensern betreiben. Hierzu gibt es einen extra Artikel, die außerdem über die palästinensischen Flüchtlinge informieren. Besonders hart trifft es die Bevölkerung des Gazastreifen, da das Gebiet seit 2006 vom Staat Israel blockiert wird (in gewissem Umfang bereits auch früher). In diesem Zusammenhang zitiere ich Jakob Augstein, der 2012 vom Wiesenthal-Zentrum auf die Liste der 10 gefährlichsten Antisemiten der Welt gesetzt wurde (von Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, jedoch ausdrücklich nicht so bezeichnet wird):
"Im Jahr 2008 erklärten israelische Offizielle den Amerikanern, dass Gaza ganz bewusst und absichtsvoll "am Rand des Kollaps" gehalten werde, ohne dass es aber zum völligen Zusammenbruch komme. Gaza solle "auf dem niedrigsten Level funktionieren, der gerade noch eine humanitäre Katastrophe" ausschließe. Selbst das ist gelogen. Die Katastrophe geschieht. Gaza ist ein Ort aus der Endzeit des Menschlichen. 1,7 Millionen Menschen hausen da, zusammengepfercht auf 360 Quadratkilometern. Gaza ist ein Gefängnis. Ein Lager. Israel brütet sich dort seine eigenen Gegner aus."
Karte des Gazastreifens, Wikimedia Commons, https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Kartenwerkstatt
Befand sich Israel im Kriegszustand mit Gaza?
Nach Aussage von Richard Falk, dem UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte in Palästina, besitzt die Behauptung der israelischen Regierung, dass sie sich im Kriegszustand mit der Hamas befände, keinerlei rechtliche Grundlage, da es sich um eine Besatzungsmacht handelt. „Vom Standpunkt des internationalen Rechts beendete der vorgebliche Abzug aus Gaza nicht Israels Verantwortung als Besatzungsmacht unter der Genfer Konvention und sein Masterplan zur Unterwerfung der gesamten Bevölkerung Gazas unter strenge Formen kollektiver Bestrafung läuft somit auf ein fortgesetztes Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinaus und stellt darüber hinaus eine flagrante Verletzung von Artikel 33 des 4. Zusatzprotokolls der Genfer Konvention dar.“
Selbstverteidigungsrecht der Palästinenser
Wie bereits erläutert, war der palästinensische Angriff auf den israelischen Militärjeep nicht die erste Kampfhandlung. Unabhängig davon kann sich ein Staat, der fremdes Gebiet seit Jahrzehnten völkerrechtswidrig besetzt und die Menschen unterdrückt, nicht auf Selbstverteidigung berufen, wenn er deswegen Widerstand erfährt. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass selten vom Selbstverteidigungsrecht der Palästinenser gesprochen wird, obwohl gerade sie gegenüber dem Staat Israel gemäß Völkerrecht ein Selbstverteidigungsrecht haben – selbstverständlich kein Recht Zivilisten anzugreifen. Das Recht auf Widerstand gegen Fremdherrschaft findet sich in vielen Resolutionen der UN-Generalversammlung.
Trotz der völkerrechtlichen Legitimität des bewaffneten Kampfes gegen Unterdrückung war und ist der größte Teil des palästinensischen Widerstands gewaltfrei. Darüber wird in westlichen Medien jedoch selten berichtet.
Kampfhandlungen gegenüber Zivilisten
Kampfhandlungen gegenüber Zivilisten verstoßen gegen das Völkerrecht – dies gilt in gleicher Weise für Staaten wie für Befreiungsbewegungen und andere politische Gruppen. Es handelt sich um Terrorismus. So definiert z. B. der israelische Premier¬minister Netanjahu Terrorismus als „den absichtlichen und systematischen Angriff gegen Zivilisten, um für politische Zwecke Furcht einzuflößen“. Nach dieser Definition verüben die Hamas wie auch andere Gruppen in Gaza gelegentliche terroristische Handlungen. Israel betreibt Staatsterrorismus – sowohl in Gaza als auch in der Westbank.
Ein Kind inmitten der Trümmer des zerstörten Hauses der Familie Al Dalu in Gaza Stadt. Zwölf Personen wurden hier am 18. November durch eine israelische Bombe getötet, darunter vier Kinder und vier Frauen. Foto: Ryan Rodrick Beiler
Die IDF hat vor kurzem erneut bestätigt, dass die Soldaten scharfe Munition gegen Palästinenser verwenden dürfen, wenn sie dies als angemessen ansehen. Auch in der Vergangenheit ist es fast nie zu einer Anklageerhebung gegen einen Soldaten diesbezüglich gekommen; es herrscht praktisch Straflosigkeit. Das gleiche gilt auch für den Terrorismus von jüdischen Siedlern gegenüber Palästinensern, der weitgehend vom Staat geduldet wird. Was die Soldaten in der Westbank anbelangt, so fordern Eli Yishai und Shaul Mofaz, ein führender Politiker der Kadima-Partei, sogar noch schärfere Bestimmungen und maximale Gewalt gegenüber Palästinensern.
Das falsche Bild von der Gewaltspirale
Es ist völlig falsch, wenn – wie häufig in den Medien – von einer Gewaltspirale im Nahen Osten gesprochen wird. Die Ursache jeglicher Gewalt in der Region liegt in der völkerrechtswidrigen Besatzung Palästinas.
Dies sagt auch Michel Sabbah, der emeritierte römisch-katholische Patriarch von Jerusalem, und verurteilt die Heuchelei der Weltgemeinschaft im Gaza-Konflikt. „Solange die Grundfrage im israelisch-palästinensischen Konflikt nicht gelöst ist, sind all die Schreie, die immer dann ausgestoßen werden, wenn die Temperatur in Gaza oder andernorts steigt, reine Heuchelei", sagte Sabbah der katholischen Zeitung "Die Tagespost". "Eine Heuchelei, der wir überdrüssig sind.“ Grundfrage des Konflikts sei die Dauer der israelischen Besatzung. Es gebe genug UN-Resolutionen, um den Konflikt zu lösen, aber niemand wage es, sie umzusetzen.
Weiterführende Hinweise
Wer sich intensiver mit Palästina und Israel beschäftigen möchte, findet hier weitere Informationen.
Anmerkungen