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Wie alles angefangen hatte
Ich saß in unserem Rasen und vertrieb mir die Zeit damit, die roten Kleegewächse und den Sauerampfer herauszuziehen. In meiner Nähe versorgte eine Amselmutter eins ihrer hungrigen Kinder. Die Kleinen sind ja noch ohne Argwohn und so zeigte der Amselspross Neugier, wenn ich mit ihm sprach, im Rasen pusselte und ihm vielleicht auch mal einen kleinen Wurm zuführte. Aber ich glaube es war mehr noch das Vertrauen, das durch Worte und Gesten entstand, was sie so zutraulich machte.
Das kleine Pipilipiepchen, wie ich es ansprach, erschien immer wieder auf dem Rasen und hatte wenig Scheu. Irgendwelche Leckerbissen (Insekten, Würmchen oder mal ein Krümel rohes Hackfleisch) hatte ich gern bereit. Beim Aufhalten der Hand kam sie schnurstracks mit unverkennbarer Zielrichtung angesaust, treu, arglos wie „Frieda“.
Den Winter verbrachte sie rund um unser Vogelhäuschen, wo auch viele andere Vögel ein- und aus gingen, setzte sich auch gern auf der Terrasse auf den verbliebenen Sommerutensilien in die Sonne. Hinter der Fensterscheibe verzehrten wir unsere Sonntags-Steaks, wovon sie mitunter winzige rohe Abfälle zuvor schon bekommen hatte. Auf einen Rosinen-Nachtisch durfte sie noch hoffen. Dafür kam sie sogar in die Wohnung. Warf ich ein Rosinchen hinaus, war sie sofort wieder draußen. Bei stärkerem Hunger erschien sie an den verschiedensten Fenstern und Türen des Hauses. Ich musste sie echt zum Maßhalten auffordern. Die Ortskenntnis wurde mit der Zeit bewundernswert: Sie konnte beim Hereinkommen und Hinausgehen verschiedene Ausgänge benutzen.
Drei mal im Jahr gab's junge Amseln
Im Frühjahr wurde es aufregend. Sie flog – oder war's ein Männchen? - stürmisch in den hinteren Garten und zwitscherte mir zu: „Ich hab jetzt etwas viel Schöneres!“ Natürlich! Und schon transportierte sie Gräser und Stöckchen mit ihrem Schnabel zum Gebüsch. „Ja, nur zu!“ nickte ich, wenn sie zögerte und mir ihr Material zeigte. Dreimal im Jahr gab's Junge. Der Platz fürs Nest war nicht immer gleich der richtige. In Windeseile wurde noch einmal angefangen. Der schönste Platz war wohl auf unserem Hausbalken über unserer Terrasse, an dem die Markise befestigt ist. „Nein, Frieda, das geht nicht! Unsere schöne rote Markise soll nicht bekleckert werden.“ Ich stieß immer wieder mit dem Schrubber dagegen. Es half nichts. Frieda hat gewonnen. Nebenbei gesagt gab es gar keine Spuren auf dem Stoff.
Fridolin half beim Nestbau und der Aufzucht der Jungen tüchtig mit. Er war zierlich und hatte an der rechten Seite eine kleine weißliche Feder. Rosinen mochte er auch, war sehr bescheiden und kam längst nicht so nah heran wie Frieda. Rohe Leberabfälle ließ er liegen. Bei der mühevollen Aufzucht haben wir die Vögel sehr bewundert und mit ihnen gelitten, wenn nach dem Raubzug einer Katze der ganze Garten mit lauter Kehle schimpfte.
Ein Macho macht sich breit
Ende des nächsten Winters drängte sich ein starkes Amselmännchen auf Friedas Stammplätze, Wie Drängler so sind, wurde er der Vater ihrer Kinder im nächsten Jahr. So rücksichtsvoll wie Fridolin im ersten Jahr war kein Männchen mehr. Ich konnte die schwarzen Machos nicht mehr identifizieren. Ich hatte den Eindruck, dass sie mächtig das Sagen hatten und mit Friedas menschenbezogenem Dasein nicht einverstanden waren. Sie wollten halt für Ordnung sorgen.
Anfangs galt an der Terrassentür noch folgende Hierarchie: Erst darf Frieda picken, dann kommt das Männchen, und wenn das wieder weg ist, darf Moritz, das vergnügte Rotkehlchen, auch noch ran. Später wurde Frieda immer mehr gemaßregelt und verdrängt. Zur Brutzeit sah sie immer ganz zerrupft aus, vor allem im Nacken. Sie baute im hinteren Garten, besuchte mich dann drei Wochen lang nicht und war ängstlich. Ein Grund mehr, sie immer wieder ins Haus zu lassen und ihr ein paar Rosinchen zu geben.
So verwöhnte ich meinen kleinen Schatz nach der letzten längeren Pause wieder fast täglich. Frühmorgens an der hinteren Terrassentür stellte ich mich mal hinter sie, wenn sie pickte, um sie vor Futterneidern zu schützen, mal legte ich ein paar Haferflocken und Rosinen auf ein Scheuertuch in der Diele - - und am 1. Dezember morgens erschien sie wieder auf dem Abtreter. Nach ein paar Begrüßungsworten machte ich die Tür wieder leicht ran um Tuch und Rosinen zu holen, - was war das für ein plötzliches Gerangel in unserer Terrassenecke so nah vor meinen Augen – es war ein Habicht, der sich auf sie gestürzt hatte, die Federn flogen und ab ging's in die Lüfte mit letztem Gepiepse. Ein erschrockenes „Nein“ von mir – aus – und vorbei.
Das Leben geht weiter
Einen Tag später sprach ich mit Fridolin mit den auffallend starken weißen Ringen um die Augen, „Ja, Frieda kommt nun nicht mehr. Sie war sehr lieb, gar nicht rechthaberisch und zänkisch. Wir sind beide sehr traurig“. Er saß vor dem Badezimmerfenster in dem Cotoneaster mit den roten Beeren für den Winteranfang, schaute mir lange in die Augen und hatte mir viel zu sagen. Ich ihm auch. Dann pickte er wieder nach einer Beere. „Ja, das Leben geht weiter!“
Nach 16 Jahren
Über vier Jahre währte meine Freundschaft mit Frieda. Heute – nach 16 Jahren – sind die Amseln etwas weniger geworden. Ich sehe es nicht mehr, wenn die Jungen gefüttert werden, schon gar nicht mehr neben mir im Rasen. Mit einem Männchen habe ich noch Blickkontakt. Ist es ein Sohn, ein Enkel? Oder gar Fridolin? Wir alt werden eigentlich Amseln?
LK