DIE Internet-Zeitung
Junge Deutsche in Hartz IV abgeschoben - junge Europäer zur Ausbildung nach Deutschland gelockt

Hartz 4: Jugend-Gipfel im Kanzleramt

Am

Merkel und von der Leyen feiern sich als Retterinnen einer verlorenen Generation des europäischen Auslands und gleichzeitig schickt die Bundesagentur für Arbeit junge Menschen im eigenen Land in Hartz IV-Zukunftslosigkeit Wieder einmal gipfelt es in Angela Merkels Kanzleramt. Im Kreise von 20 europäischen Staats- und Regierungschefs lässt sich die Alternativlose als Retterin der arbeitslosen, verlorenen Generation zahlreicher europäischen Ländern feiern. Was in dieser Wahlkampf-Inszenierung mit freundlicher Unterstützung aus dem europäischen Ausland nicht zur Sprache kommen dürfte das sind die Sorgen junger deutscher Arbeitsloser. Die darf es hierzulande nämlich nicht geben. Das ermöglicht eine trickreiche Statistik-Bereinigung der bei dieser Veranstaltung assistierenden Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Dank McKinseys erfolgreichem Umbau der Bundesagentur für Arbeit haben in Deutschland junge Arbeitslose wenig Aussicht auf berufliche Zukunftschancen. Die werden nämlich mit sogenannten geringfügigen Beschäftigungen oder sinnlosen sogenannten Fortbildungs-Maßnahmen statistisch unsichtbar gemacht.


Zum Beispiel im Jobcenter Unna: Ausbildungsantrag seit 3 Jahren

Ein Beispiel, das für viele steht: Eine 33-Jährige kassiert vom Jobcenter Unna seit vielen Jahren wieder und wieder nichts als Ablehnungen für ihre Anträge auf Berufsausbildung, mit der sie sich durch eigenes Einkommen wieder aus der sogenannten Hilfebedürftigkeit von Hartz IV verabschieden möchte. Immerhin hat sie noch mehr als 30 Jahre im Erwerbsleben vor sich, in denen sie nicht mit dauerhafter Aufstockung von geringfügiger Beschäftigung dem Steuerzahler auf der Tasche liegen will.

Von der Leyen und Alt: Ausbildungsunterstützung versprochen - gebrochen

Anfang diesen Jahres schöpfte sie erneut Hoffnung, endlich aus der jahrelangen Sackgasse von wechselnden 1-€-Jobs und sinnlosen Maßnahmen heraus zu kommen. Am 7. Februar hatten nämlich Bundesarbeitsministerin Ursula von Leyen und der Chef der Bundesagentur für Arbeit Heinrich Alt ein neues Berufsförderprogramm verkündet. Mit der vielversprechenden Kampagne „AusBILDUNG wird was - Spätstarter gesucht“ versprachen sie: „Junge Erwachsene ohne berufliche Ausbildung sollen verstärkt in den Blickpunkt der Arbeit in den Jobcentern und Arbeitsagenturen rücken. Dazu werden Jobcenter und Arbeitsagenturen in den kommenden Monaten intensive Gespräche führen“ hieß es aus Berlin und Nürnberg. Nach inzwischen mehr als 4 Monaten fand die „Kundin“ des Jobcenters Unna nichts von alledem verwirklicht - im Gegenteil: die Ablehnungen ihres Berufsausbildungswunsches wurde abermals bekräftigt.

19. Senat des Landessozialgericht NRW: Förderung liegt „im Ermessen des Jobcenters“

Dieses rigorose Nein für Zukunftschancen junger Arbeitsloser in Deutschland unterstützte schließlich auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, da „gerade die Gewährung von Leistungen zur Berufsausbildung im Ermessen des Leistungsträgers“ stehe. Konkret heißt das: drei Jahrzehnte Chance auf eigenen Erwerb des Lebensunterhalts sind nach Meinung des 19. Senats beim Landessozialgericht NRW der Willkür von Sachbearbeitern und Teamleitern der Jobcenter ausgeliefert - ganz nach Lage der zu erreichenden Ziele und Boni aus Nürnberg.

Bundessozialgericht interessiert das Jobcenter Unna überhaupt nicht: neuer Verwaltungsakt einen Tag vor Übergabe der Eingliederungsvereinbarung

Offensichtlich ermunterte die Entscheidung des Landessozialgerichts das Jobcenter Unna noch obendrein, sich nicht um die höchstrichterliche Rechtsprechung vom Bundessozialgericht zu kümmern. Das hatte jüngst mit vielbeachtetem Urteil vom 14. Februar (Az. B 14 AS 195/11 R) den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt von der Verpflichtung der Jobcenter abhängig gemacht, ihren „Kunden“ zuvor in einem Gespräch Gelegenheit zu einer individuellen Eingliederungsvereinbarung zu geben und nicht von oben herab zwangsweise anzuordnen, was nach Meinung der Behörde für die „Kunden“ gut und richtig sei. Dem Jobcenter Unna war das offensichtlich egal. Es zwangsverpflichtete in einer neuerlichen Eingliederungsvereinbarung seine „Kundin“ für ein Jahr zu einer „Integrationsmaßnahme“ in „die Werkstatt eines Förderzentrums“, ohne überhaupt den von ihr geäußerten Berufswunschs zu beachten. Bei einem Behörden-Termin am 20. Juni händigte man ihr einen bereits vorab ausgedruckten und mit dem 19. Juni datierten Eingliederungsverwaltungsakt aus - ohne auch nur andeutungsweise den Anschein zu erwecken, als wolle man dem höchstrichterlichen Urteil des Bundessozialgericht folgen und ein Gespräch zur individuellen Abstimmung der Berufschancen führen.

Und die übergeordnete Behörde, die Bundesagentur für Arbeit: die hat „volles Vertrauen in die Entscheidungen vor Ort“

Auf Nachfrage von Hartz4-Plattform-Sprecherin, Brigitte Vallenthin, bei der Bundesagentur für Arbeit, warum diese ihr - bereits im Gesetz geregeltes und zum Jahresbeginn nochmals bekräftigtes - Versprechen für Förderung der Berufsausbildung nicht einlöse, kam lediglich Ausweichendes. Pressesprecherin Ilona Mirtschin bekundete lediglich „volles Vertrauen in die Entscheidungen vor Ort, ob die Voraussetzungen für einen Bildungsgutschein erfüllt sind“. Nicht ganz nebenbei ließ sie durchblicken, dass es in Nürnberg wenig Interesse an „schulischer Ausbildung“ gäbe. Da sei die „Finanzierung schwierig“, weil „im Unterschied zur betrieblichen Ausbildung der Lohn vom Arbeitgeber“ fehle. Wieder einmal, so stellt die Hartz4-Plattform fest, geht es nicht um die vielzitierte Bildung und langfristige Lebensperspektiven für die Menschen in diesem Lande. Es gehe, so Brigitte Vallenthin „ausschließlich um kurzfristige Interessen der Wirtschaft und ausschließlich um beliebig austauschbare Arbeitgeber-Nützlinge“.

Am 03-07-2013

Sozialgericht Braunschweig: Hartz IV-Bildungspaket und Chancengleichheit

Hartz4-Plattform-Sprecherin Brigitte Vallenthin begrüßt Urteil des Sozialgerichts Braunschweig

„Nach bald drei Jahren „Bildungs- und Teilhabepaket“ für Kinder, deren Eltern unter Hartz IV leiden, könnte das jüngst vom Sozialgericht Braunschweig veröffentlichte Urteil vom 8. August endlich ein erster Durchbruch für Chancengleichheit aller Kinder sein“, stellt Hartz4-Plattform-Sprecherin Brigitte Vallenthin fest. „Zum Thema Nachhilfeunterricht hat das Gericht die pädagogische Inkompetenz der Jobcenter endlich in ihre Schranken gewiesen und den Weg geebnet, damit die Gelder des Bundes für Bildungsgerechtigkeit nicht weiterhin zum größten Teil von kommunalen Schlaglöchern verschluckt werden.“

Jobcenter nutzen dehnbaren Gesetzestext für Schlaglöcher statt für Kinder

Bundesweit haben sich bislang die Jobcenter den im Sozialgesetzbuch Zwei - nach allgemeinem Sprachgebrauch Hartz IV - gerne bemühten unbestimmten Rechtsbegriff „angemessen“ auch bei der Verweigerung von Leistungen für Nachhilfeunterricht aus dem Bildungs- und Teilhabe-Paket (BuT) ausgenutzt - und zwar überwiegend im eigenen und gegen das Interesse von Kindern. Hierfür hat ihnen der Gesetzgeber reichlich Spielraum eingeräumt, indem er im § 28 SGB II die „angemessene Lernförderung“ kaum erreichbar hoch gehängt und an die Voraussetzungen gebunden hat, „soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.“ Kurzerhand haben die Jobcenter - ohne auch nur andeutungsweise über pädagogisch erfahrenes, noch nicht einmal geschultes Personal zu verfügen - als wesentliches Lernziel definiert: Versetzung ja oder nein. Keine Versetzungsgefahr: kein Nachhilfeunterricht! Das funktioniert, weil der Gesetzestext wenig Chancengerechtigkeit für Bildung jedoch umso mehr Ablehnungsgründe vorhält, um am Ende den Geldsegen des Bundes in kommunale Haushalte fließen zu lassen. Und das geschah mutmaßlich nicht so ganz unbeabsichtigt, denn den Kommunen wurde gleichzeitig erlaubt, nicht verbrauchte BuT-Gelder nicht nur nicht zurückzahlen zu müssen, sondern sie obendrein noch nach eigenem Gutdünken verwenden zu können. „Dieser unklare Gesetzeswortlaut ist ein Skandal und bedarf dringender Änderung“, fordert Brigitte Vallenthin. „Denn in der aktuell von den Jobcentern überwiegend restriktiv umgesetzten Form ist er nichts anderes als eine Einladung, die Einnahmen der Kommunen unkontrolliert aufzustocken und zugleich Chancengerechtigkeit auf Bildung weiterhin auszubremsen.“

Nachhilfe nur bei Versetzungsgefahr gekippt zugunsten von Chancengleichheit

Fast drei Jahre lang ist inzwischen das Bildungs- und Teilhabe-Paket skandalös gescheitert. Das war zu erwarten. Jetzt endlich holt das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig eine erste überfällige Konkretisierung nach - und zwar zugunsten der betroffenen Kinder. Mit seiner Entscheidung bezieht sich das Gericht ausdrücklich auf das Hartz IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) und den darin vorgegebenen „Anspruch auf Chancengleichheit“ als Bestandteil des „unverfügbaren menschenwürdigen Existenzminimums“. Die 17. Kammer des Braunschweiger Sozialgericht beruft sich gleichzeitig auf die Gesetzesbegründung zum § 28 SGB II. Danach solle „durch zielgerichtete Leistungen eine stärkere Integration bedürftiger Kinder und Jugendlicher in die Gemeinschaft erreicht“ werden (BT-Drs. 17/3404). Und weiter heißt es „Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben sind erforderlich, um die materielle Basis für Chancengerechtigkeit herzustellen. Insbesondere Bildung kommt bei (...) zukünftigen Lebenschancen eine Schlüsselfunktion zu.“ Die entsprechende „materielle Ausstattung“ sei zu erbringen, „um gesellschaftliche Exklusionsprozesse zu beenden.“

Integration aller Schüler - statt gesellschaftlicher Exklusion

Das Gegenteil aber war bislang im tatsächlichen Verwaltungshandeln der Fall. Denn gerade die praktizierte restriktive Verweigerung von Nachhilfeleistungen hat diesen Ausschluss von armen Kindern aus der Gesellschaft sogar noch befördert. Integration in die Gesellschaft durch Chancengerechtigkeit in Deutschland könne nach Auffassung des Braunschweiger Sozialgerichts nicht erreicht werden, wenn sich die Jobcenter alleine am Kriterium Versetzungsgefahr orientierten. Vielmehr, so die Richter, sei „wesentliches Lernziel nicht nur die Versetzung (...), sondern z.B. auch das Erreichen eines ausreichenden Lernniveaus.“ Und das könne selbst dann die Nachhilfe sinnvoll erscheinen lassen, wenn sich die Note nicht verbessert, sondern wenn sich „die Note nicht verschlechtert.“

Sozialgericht Braunschweig verurteilt Jobcenter zur Übernahme von Nachhilfe-Kosten

„Mit seiner Entscheidung zugunsten der Kinder hat nun endlich die 17. Kammer des Sozialgerichts Braunschweig diesem beschämenden Treiben einen Riegel vorgeschoben“, stellt die Hartz4-Plattform-Sprecherin fest. Mit Bezug auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil und die Forderung der Karlsruher Richter - ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ sicher zu stellen - haben die Braunschweiger Richter eine begrüßenswerte Konkretisierung des Begriffs „wesentliches Lernziel“ vorgenommen.

Sie stellen überzeugend fest, dass - entgegen der üblichen kostensparenden zeitlichen Begrenzung durch die Jobcenter - Nachhilfeunterricht auch dauerhaft von den Behörden finanziert werden müsse. Denn - so die Presseerklärung des Sozialgerichts vom 22.10.2013 - „ durch den Nachhilfeunterricht werde das Angebot der Schule sinnvoll ergänzt. Der zusätzliche Unterricht diene dem Ziel, dass der Kläger die Bildung erlangt, die er für seinen künftigen Berufsweg benötigt.“ Dass es aktuell kaum mehr möglich ist, ohne Nachhilfe-Begleitung durch die Schule zu kommen, macht der Umstand, dass solche dauerhafte Ergänzung des Schulunterrichts für Kinder, deren Eltern es sich leisten können, inzwischen normaler Alltag ist.

Bildungsgelder weiter in Schlaglöcher - oder Bestätigung vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen für Chancengerechtigkeit ?

„Diese gesellschaftliche Realität auch Kindern aus armen Familien nicht weiterhin zu verweigern, ist das dankenswerte Verdienst der richterlichen Entscheidung der 17. Kammer des Braunschweiger Sozialgerichts“, begrüßt Brigitte Vallenthin dieses Urteil. „Da aber selbst der Hoffnung begründende Urteilswortlaut ganz offensichtlich das von jeglicher pädagogischen Erfahrung und Einsicht meilenweit entfernte Jobcenter nicht überzeugen konnte, ist die Behörde in Berufung gegangen. Man kann nur hoffen, dass das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in Celle mehr pädagogisches Einfühlungsvermögen für die betroffenen Kinder beweist und mit dem nötigen Verantwortungsbewusstsein einer drohenden Entwicklung durch mangelhafter Ausbildung ihrer Jugend im Sinne gesellschaftlichen Friedens für die Zukunft laut hörbar einen Riegel vorschiebt.“

Am 26-10-2013

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