DIE Internet-Zeitung
Polizeiaktion gegen Blockupy-Demo in Frankfurt

Blockupy: Demonstrationsrecht wurde in Frankfurt massiv verletzt

Am

Uns erreicht folgende Stellungnahme des Ermittlungsausschusses (EA) Frankfurt zur Demonstration vom 1. Juni 2013. Üblicherweise veröffentlicht der EA Frankfurt nach größeren Demonstrationen eine Bilanz, bei der dargestellt werden soll, was an Fakten während einer Demonstration an uns herangetragen wird. Dieses Mal haben dies jedoch andere schon getan. Dass es eine Vielzahl von Schwerverletzten gab, und Sanitäterinnen der Zugang zu ihnen verweigert wurde, dass Rechtsanwältinnen eingekesselt wurden, dass Journalistinnen ihre Arbeit mit Verletzungen bezahlt haben, dass wahllos Pfefferspray eingesetzt wurde, dass die Polizei zu keiner Zeit beabsichtigte, die Demonstration an der Europäischen Zentralbank (EZB) vorbeigehen zu lassen, dass es sich um ein planmäßiges Vorgehen gehandelt hat usw., ist alles der Tagespresse zu entnehmen.


Einige Beispiele:

“Zunächst wurden die parlamentarischen Beobachter um die Linken Hermann Schaus und Katja Kipping, die vor dem Start der Demo eine Rede hielt, abgeführt, danach wurde es rabiat: Die Polizei prügelte sich durch den Block der Antikapitalisten, mehrere Demonstranten bluteten, es gab etliche Schwerverletzte sowie laut Sanitätern hunderte Verletzte durch Pfefferspray. Ein Demonstrant lag regungslos am Boden, zwei Polizisten schleiften ihn mehrere Meter hinter sich her, bis Pressevertreter Sanitäter riefen. Der Kommentar eines Polizisten: „Der tut doch nur so.” “ (taz).

„Und egal, wen man fragt, man trifft überall auf dieselben zwei Gefühle: Unverständnis und eine kalte, ohnmächtige Wut.“ (FR)

“Tatsächlich befinden sich Anhänger radikaler Gruppen innerhalb des Blocks. Von Gewalttätigkeiten aber war ihr bisheriges Verhalten bei der Demonstration bis zu diesem Zeitpunkt weit entfernt … Wahllos greifen Beamte nach Teilnehmern, im Sekundentakt führen sie sie hinaus. Wer sich nicht fügt, wird härter angepackt. Demonstranten werden zu Boden geworfen. Einer bleibt liegen, wird von Sanitätern versorgt. Ein anderer wird an dem Verletzten vorbei geschleift. Er schreit, als ihn die Beamten fester anfassen. Sein Arm sieht aus, als sei er gebrochen.” (FAZ).

“Mehreren Journalisten wurde von der Polizei aus nächster Nähe Pfefferspray in die Augen gesprüht, einer von ihnen musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Es dauert knapp eine Stunde, bis ein Krankenwagen eintraf.” (taz).

“Der Aufzug endete kurze Zeit später im Desaster, einem politischen Skandal…..In der Neuen Mainzer Straße reißt Polizei ohne erkennbaren Grund zwei Männer zu Boden und verhaftet sie……Es spielen sich erstaunliche Szenen ab. Ein Journalist beschwert sich, weil die Polizei ihn zur Seite drängt. Eine Polizistin herrscht ihn an. “Einfach mal die Klappe halten!” “ (FR).

Es gibt eine Vielzahl weiterer Beispiele, ergänzend verweisen wir auf unsere Veröffentlichungen während der Protesttage.

Es gab an diesem Tag so viele erschütternde Situationen, dass deren Auflistung den Rahmen sprengen würde. Offenbar sah die Einsatzleitung dieses Tages keine Notwendigkeit, ihr Treiben in irgendeiner Weise zu verschleiern. In einigen Presseartikeln wird darüber spekuliert, dass es sich um eine vorbereitete, gar geplante Aktion der Polizei gehandelt haben könnte. Dafür sprechen die räumlichen Verhältnisse des Tatortes, der sich wie kaum eine andere Stelle der Route für den polizeilichen Angriff angeboten hat. Belegt wird diese Annahme durch den Umstand, dass die Demonstrationsroute ab der EZB in keiner Weise gesichert war, so dass dort überhaupt keine Demonstration hätte stattfinden können. Auch hier hat die Einsatzleitung ihr Konzept völlig offen durchgezogen.

Viele fragen sich natürlich jetzt, warum die Polizei ein Konzept verfolgt, bei dem so völlig offen gegen Grundrechte verstoßen wird. Warum die Polizei sich noch nicht einmal ein bißchen Mühe gibt, ihr Treiben zu rechtfertigen. Und warum unter den Augen von Presse und Parlamentarier*innen mit dieser Brutalität vorgegangen worden ist. Wo liegt das polizeiliche Interesse? Was könnte dies für zukünftige Demonstrationen bedeuten?

Aus unserer Sicht drängen sich hier zwei Ansätze auf, die sich nicht ausschließen.

Die politisch Verantwortlichen und die dahinter stehende Lobby haben vorgegeben, dass es Bilder von Protest an der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht geben soll und dass man bereit ist, hierfür einen hohen Preis zu bezahlen. Nachdem aus dem letzten Jahr die Erfahrung mitgenommen wurde, dass sich Protest eben nicht verbieten lässt, mussten die politische Verantwortlichen in diesem Jahr andere Maßnahmen zur Unterbindung des Protestes ergreifen. Hierfür spricht, dass die Polizei angeblich einem Teil der Demonstration eine Alternativroute angeboten hatte.

Die Vehemenz und die Unnachgiebigkeit mit der das Einsatzkonzept durchgezogen wurde, sowie das völlige Fehlen einer Rechtfertigung lässt aber auch auf ein originär polizeiliches Interesse an der Art und Weise des Einsatzes schließen. Sogar als die Demoleitung erklärt hatte, auf die Forderung nach Begrenzung der Seitenschutzes für den Block einzugehen und sämtliche beanstandeten Gegenstände zurückzulassen, bestand die Polizei darauf, sämtliche Daten der eingekesselten Personen zu erfassen. Es scheint also ein polizeiliches Interesse an der Erfassung von Personen zu geben, das schon am 1. Mai diesen Jahres offenkundig geworden ist. Dass die Verfolgung dieses Interesses keine gute Presse gibt, erscheint nachrangig.

Wenn beide Annahmen zusammen gedacht werden, wird der Einsatz logisch.

Die verantwortliche Stelle, die diese beiden Interessen zusammengeführt hat, ist das hessische Innenministerium. Dieses hatte schon die zu Beginn der Protesttage die Einrichtung rechtswidriger und schikanöser Buskontrollen angeordnet (siehe PM des EA Frankfurt vom 30.05.13). Die Kontrollstellen führten dazu, dass Versammlungsteilnehmerinnen letztlich nicht an den Demonstrationen teilnehmen konnten. Diese Anordnung erging in Kenntnis des polizeilichen Einsatzkonzeptes.

Wie aber konnte es geschehen, dass ein solcher Einsatz unter den laufenden Kameras unzähliger Journalisten nicht gestoppt werden konnte? Wie konnte es geschehen, dass Rechtsbruch so massenhaft und brutal vor sich gehen konnte?

Das erste Mittel ist regelmäßig die Lüge der Verantwortlichen. Gegenüber einem Rechtsanwalt des EA Frankfurt erklärte die Polizei, es gebe überhaupt keinen Kessel. Gegenüber den Demonstrantinnen im Kessel wurde über Lautsprecher zugesagt – ähnlich wie jetzt im Nachhinein gegenüber der Presse verlautbart – wer sich freiwillig aus dem “Kessel” begebe, könne diesen verlassen und bekomme kein Strafverfahren. Eine im Zuge ihrer Berufsausübung eingekesselte Rechtsanwältin des EA Frankfurt überprüfte diese Zusage. Ihr wurde barsch erklärt, Durchsagen könne es viele geben, sie komme hier nicht heraus.

Der zweite Faktor ist die fehlende Kontrolle. Zuständig hierfür wäre das Amtsgericht Frankfurt gewesen. Die Richterin, die im Rahmen ihres Bereitschaftsdienstes über die Rechtmäßigkeit polizeilicher Freiheitsentziehungen zu entscheiden gehabt hätte, verweigerte die Arbeit. Über den EA Frankfurt wurden der Richterin Anträge auf Beendigung der Freiheitsentziehung der drei eingekesselten Rechtsanwält*innen des EA Frankfurt vorgelegt. Die Richterin erklärte lange nach Einrichtung des Kessels, wenn die Polizei Freiheitsentziehungen plane, dann würde sie bei ihr die entsprechenden Anträge stellen. Solange dies nicht geschehen sei, sehe sie keine Veranlassung, tätig zu werden. Derzeit bestehe lediglich eine „Verhandlungssituation“, für die sie nicht zuständig sei. Auf ausdrückliche Nachfrage, ob dies bedeute, dass sie die gestellten Anträge der eingekesselten Rechtsanwält*innen, die ihr vorlagen, liegen lassen und nicht bearbeiten werde, erklärte sie lapidar: “Ja.” Auf die Frage, woher sie ihre Informationen beziehe, erklärte sie, dies werde sie nicht mitteilen. Offensichtlich hatte sie ihre „Informationen“ von der Polizei.

Wenn also die Verantwortlichen lügen und die sog. Kontrollinstanz „nicht zuständig“ ist, dann agiert die Polizei im rechtsfreien Raum. Es kann gemutmaßt werden, dass die Polizei – und das hinter ihr stehende Innenministerium – von Anfang an sicher gewesen sind, in einem solchen rechtsfreien Raum agieren zu können. Auf die vielzitierte „vierte Gewalt“ kommt es in dieser Konstellation offensichtlich nicht mehr an, die kann dann auch verprügelt werden.

And now?

Für zukünftige Demonstrationen bedeutet dies zunächst, dass Demonstrationsteilnehmerinnen sich offensichtlich nicht darauf verlassen können, dass ihnen der sog. Rechtsstaat zu ihrem Recht verhilft. Dabei ist daran zu erinnern, dass die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit, auf Freiheit der Bewegung oder das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern erkämpft werden mussten und – jetzt erst recht – immer wieder neu erkämpft werden müssen. Grundrechte sind historisch Abwehrrechte gegen die Gewalt des Staates. Dies sollten wir im Blick haben.

Es kann keine Alternative sein, beim Einfordern dieser Grundrechte zurückzuweichen, es gibt nur die Möglichkeit, sie immer wieder einzufordern und auszuüben, weil es eben Grundrechte sind.

Die Beschreibung der Situation der Demonstration vom 1. Juni 2013 soll nicht dazu führen, Versammlungsteilnehmer*innen zu entmutigen. Dennoch müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es nur wir selbst sein können, die die Grundrechte erkämpfen.

Anderenfalls liest sich das dann so:

Für die CDU-Landtagsfraktion sagte deren Parlamentarischer Geschäftsführer Holger Bellino: “In der Abwägung der Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Demonstrationsfreiheit wurde ein angemessener Ausgleich gefunden.“

Demonstrationsfreiheit verteidigen!

EA Frankfurt 03.06.2013 - www.ea-frankfurt.org

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politik
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