„Der Yamuna ist meistens trocken aber die Abwasser fließen das ganze Jahr über,“ sagt Purshottam Yadav, der ein Teehaus am Flussufer besitzt. Wo immer dieser Fluss entlangfließt ist dies das Schicksal von einem von Indiens ältesten und heiligsten Flüssen.
Im Yamunotri-Gletscher im Himalaya entsprungen fließt der Yamuna 1376 km bis er dann in Allahabad, Uttar Pradesh in den Ganges mündet, um dort den Sangam zu bilden – eine der heiligsten Stätten des Hinduismus. Unsere 600 km lange Reise den Fluss entlang auf der Suche nach dem Ort, an dem die Gesänge noch stimmen könnten beginnt in Daktpathar.
45 km von Uttarakhands Hauptstadt Dehradun ist dies die Stadt, wo der Yamuna den sicheren Himalaya verlässt auf seinem Weg in die weiten Ebenen. In diesem Sinne ist der Yamuna glücklicher als der Ganges; er ist in den Bergen länger sicher vor Verschmutzung als dieser. Aber – die jungfräulichen Gewässer ändern bald darauf die Farbe.
Beim Mäandern durch die Shivalik Berge wird der Yamuna hinter Daktpathar ein überlaufendes Gefäß. Dies kommt dadurch, dass der Tons, der größte und längste Nebenfluss des Yamuna, der mehr Wasser führt als der Hauptfluss dort mit ihm fließt.
Aber der Yamuna erfährt dort in Daktpathar auch den ersten Menschen gemachten Eingriff. Ein Kanal mündet etwa 20 km weiter stromabwärts bei Paonta Sahib in den Fluss. Nicht ein einziger Tropfen des Tons jedoch mündet in den Hauptstrom des Yamuna dort nach Daktpathar – das gesamte Wasser wird in den Kanal geleitet. Drei Wasserkraftwerke unmittelbar hintereinander liegen dicht gestaffelt auf diesem Abschnitt zwischen Daktpathar und Paonta Sahib - Thakrani, Dhalipur und Kulhal.
Diese drei Wasserkraftwerke haben das Ökosystem des Flusses hier schon ordentlich aufgemischt. Verschiedene Fische – etwa der Katla, der Rohu und die Forelle sind spurlos verschwunden. Die großen Schildkröten, die da der Hindu-Mythologie gemäß Haupttransportmittel auf dem Yamuna waren werden nicht mehr gesehen, weil sie nicht hinauf über diese Dämme schwimmen können. Auch gibt es keinerlei offizielle Aufzeichnungen über die 500 alten Fischerdörfer hier an den Ufern des Yamuna, für die der Fluss in den 1970ern noch den Lebensunterhalt gewährte. Sogar Wasservögel, die sich dort von Wasserorganismen am und im Flusslauf ernährten sind nicht mehr da. Der 27 Jahre alte Jitender, der da hinter Daktpathar am Ufer des Yamuna mit einer Angelschnur sitzt bringt es auf den Punkt: „Hier gibt’s keine Fische zu fangen. Wenn Du ein paar essbare findest hast Du großes Glück gehabt.“
Der Kanal trifft also bei Paonta Sahib, einem heiligen Ort der Sikhs in Himachal Pradesh auf den Yamuna, um ihm neues Leben zu verleihen. Von Dakpathar nach Paonta Sahib bildet der Yamuna die Staatsgrenze zwischen Himachal Pradesh auf der einen und Uttarakhand auf der anderen Seite.
Und – dort wird denn auch menschliche Hybris und Gier erneut sichtbar. Mit Steinen und Sand beladene LKW’s sind am Flussufer aufgereiht. Dies geschieht trotz eines offenes Urteils des Obersten Gerichtshofes, das den Abbau im Fluss verbietet. Permanenter Abbau kann weitreichende Folgen haben – bis hin zu einem veränderten Flusslauf.
Paonta Sahib ist eine Industriestadt mit vielen Fabriken – darin auch die Vereinigten Zementwerke Indiens. Die gesamte Industrie ist in irgendeiner Weise vom Yamuna abhängig – und ist auch verantwortlich für seine Verschmutzung. Aber – der Fluss kann hier durchaus noch mit dieser umgehen.
Etwa 25 km weiter dann passiert der Yamuna das Nationale Vogel-Heiligtum Kalesar und trifft auf den Hatnikund Damm im Yamuna Nagar Distrikt in Haryana. Dort beginnt der Fluss dann seinen langsamen Tod zu sterben. Von diesem Punkt an nährt nicht ein einziger zusätzlicher Tropfen den Fluss – abgesehen vom Regen in den drei Monsun-Monaten.
Das Wasser ist in zwei Kanäle verteilt – den westlichen und den östlichen Yamuna-Kanal. Der westliche Kanal versorgt halb Haryana mit Trinkwasser und Wasser zur Bewässerung – der andere versorgt den Westen des Staates Uttar Pradesh. Diese Teilung ist denn auch der Grund für das Austrocknen des Flusses. „Der Yamuna stirbt in Hatnikund,“ sagt DD Basu, ein erfahrener Mitarbeiter beim Central Pollution Control Board (CPCB) – der „Zentralen Behörde zur Kontrolle der Verschmutzung“. „Auch mit dem Bau tausender von Kläranlagen kann der Fluss nicht alleine mit Abwässern überleben.“
Überraschenderweise jedoch führt der Fluss immer noch etwas Wasser, wenn er die Stadt Yamuna Narga erreicht. Wie ist das möglich, wenn da gar kein Wasser an Hatnikund vorbeifließt? Die Antwort befindet sich dort, wo der Yamuna die Stadt erreicht. Direkt neben einer Kläranlage mit einem Volumen von 10 Mio. Liter täglich entleeren zwei große Auslässe ihre Abwässer ungeklärt in den Fluss. Wenn man am Fluss entlanggeht gibt es nicht einen Ort, an dem man wirklich atmen kann ohne den fürchterlichen Gestank. Dies ist das Wasser, das durch jene Stadt fließt, die auch noch ironischerweise seinen Namen trägt.
Weiter stromabwärts dann transportiert der Yamuna die Abwässer zweier weiterer Städte — Sonipat und Panipat — und nähert sich dann Delhi. Nach einer Reise von etwa 200 km durch Berge und Ebenen erreicht der Yamuna Palla Village im Norden der Hauptstadt Auf den 22 km, die der Fluss durch Delhi fließt stirbt er 22 Tode.
Die Verwüstung beginnt an der Wazirabad-Kläranlage, die dem Fluss das verbleibende Wasser entnimmt um den Durst der Stadt zu stillen. Um die entnommene Wassermenge zu ersetzen öffnet Delhi den Najafgarh-Auslass in den Yamuna. Dieses Kanalrohr tötet gemeinsam mit 10 anderen alles Leben, was da noch in dem Fluss verbleiben konnte komplett ab, da es auf seinem Weg schier endlos viel Müll und Abwässer ansammelt. Wenn der Fluss dann die Stadt verlässt entlädt der Shahdara Auslass sich in den Yamuna.
Das Ausmaß der Verschmutzung des Yamuna durch Delhi kann am klarsten durch die Menge an Kolibakterien im Fluss ermessen werden. Diese Bakterien reichern sich mit der Menge menschlicher Fäkalien im Wasser an. Solchermaßen verschmutztes Wasser kann Typhus, Cholera und Nierenversagen verursachen. Einem CPCB-Bericht gemäß beträgt der Anteil der Kolibakterien in Palla, wo der Fluss die Stadt erreicht 30 bis 1000 Mal die akzeptable Menge. Nahe beim Okhla Damm dann nach Verlassen der Stadt sind die Werte gar etwa 10.000 mal höher!
Mehrere Modelle zur Reinigung der Abwässer durch Kläranlagen in der Stadt haben keine wirklichen Ergebnisse gebracht. Der erste Yamuna Aktionsplan wurde 1993 ins Leben gerufen und 705,5 Crore (etwa 141 Mio. USD wurden zur Reinigung des Flusses aufgebracht. Zwanzig Jahre und 2200 Crore (etwa 440 Mio. USD) später stellt sich dieser Plan als komplett gescheitert dar. Die dritte Ausbauphase ist nun auf dem Wege und sie wird auch dieses Male nicht bessere Ergebnisse zeigen. „Die Zeit- und Kostenrahmen solcher Modelle sind Schätzungen,“ sagt ein anonym bleibender Offizieller. „Da liegt es in der Natur der Sache dass diese ihr Ziel verfehlen.“
Und Nitya Jacob, Programmdirektor für Wasser am Zentrum für Wissenschaft und Umwelt (CSE): „Delhi produziert mehr als 4,45 Mio Liter Abwasser pro Tag, von denen nur 1,478 Mio Liter behandelt werden.“
71 % beträgt der Anteil Delhis an der Verschmutzung des Yamuna. 40 % aller Klärsysteme Indiens sind in Delhi im Einsatz – die Stadt indes beheimatet nur 2,5 % der gesamten Bevölkerung Indiens. Und – 211 Liter Wasser sind pro Kopf in Delhi täglich verfügbar – mehr als in jeder anderen Metropole der Welt.
Die Gefahr liegt nicht bei der Wasserreinigung. Eine Untersuchung des Instituts für Energie und Rohstoffe (TERI) ergab, dass der Anteil von Schwermetallen wie Nickel, Blei, Quecksilber und Mangan in am Ufer des Flusses angebauten Gemüse weitaus höher als erlaubt ist. Diese Schwermetalle finden ihren Weg auf unsere Speisekarten und folglich in unsere Organismen mit Gemüse, das wir als „frisch“ verzehren.
Aber das ist noch nicht alles. Entgegen allen Regierungsvorschriften gibt es immer noch 200 Fabriken, die in Delhi Batterien herstellen. Tausende von Zwei- und Vierrädern, die die Straßen der Stadt verstopfen tragen gleichfalls zur Verschmutzung des Yamuna bei.. Etwa 30.000 kleine und mittlere Reparaturwerkstätten für Autorikschas sind in der Stadt. Aller Müll und Altöl dieser Werkstätten fließt direkt in den Yamuna. Obwohl die „Zentrale Behörde zur Kontrolle der Verschmutzung“ (CPCB) dies nun realisiert hat, hat sie noch keinerlei Vorschläge, wie mit diesem Problem umzugehen ist.
Der moderne „Lifestyle“ und die Zuwanderung haben zum Wehklagen des Flusses beigetragen. Delhi benötigt Strom für die Abertausenden von Kühlschränken und Air-Conditioning-Einheiten, die da in der Stadt laufen. Dafür verbrennen die drei Kraftwerke — Rajghat, Indraprastha und Badarpur - Kohle, um so den Strombedarf Delhis zu decken. Ein Bericht der geologischen Fakultät der Universität Delhi über Arsenverschmutzung im Yamuna sagt, dass alle drei Heizkraftwerke überschüssige Asche und Kohle in den Yamuna leiten. Diesem Bericht zufolge verschmutzt alleine das Rajghat-Kraftwerk den Yamuna mit 5,5 Tonnen Arsen pro Jahr. Arsen ist ein maßgebliches Umweltgift, das Krebs und Herzversagen entscheidend mit verursachen kann. Proben aus Gemüse, das am Ufer der Akshardham Mandir und Mayur Vihar Phase 1 Gebiete in Ost-Delhi angebaut wurde weisen Arsenanteile von 135 ppm bei einer Obergrenze für solche Lebensmittel von 10 ppm auf.
Die Studie warf auch andere interessante Fakten auf. Das Grundwasser der Stadt wird nur durch die Auen und Überflutungsbecken des Flusses aufgefrischt. Als dieses Grundwasser dann getestet wurde betrug der Arsengehalt gar 180 ppm.
Als wäre das alles nicht schon alarmierend genug so wird der Yamuna auch noch von Tag zu Tag seichter. Experten meinen, dass jahrelange Müllentsorgung in den Fluss diese Veränderung bewirkt. Einst war der Yamuna für seine Tiefe berühmt – nun ist er nur noch ein blasser und flacher Schatten seiner selbst. Das Wasser, das der Fluss während des Monsun erhält fließt heraus – die Grundwasserreserven werden nicht aufgefüllt.
Sich letztlich von Delhi weg bewegend trifft der Yamuna den Hindon, der da mit dem Müll der Vorstädte Ghaziabad, Noida und Greater Noida aufwartet.
In Mathura dann, dem nächsten Halt des Yamuna entlädt der Masani Nullah eben mehr Müll und die Überbleibsel des Friedhofes, von dem er seinen Namen hat in den Fluss. Industrieabfälle tragen hier auch zur Auffüllung des Gewässers bei. Mathura hat eine blühende Färbeindustrie und so werden Farben und chemische Rückstände den Fluss heruntergeschwemmt. Daneben wird in der Stadt künstlicher Modeschmuck aus Nickel hergestellt. Chemikalien aus Produktion, Reinigung und Politur des Schmucks finden so gleichfalls ihren Weg in den Yamuna.
Immer wieder ins Wasser führende Treppenstufen – „ghats“ grüßen dann den Reisenden in Vrindavan. Am Chir Ghat, 3km von den ersten Treppen durch einen Trampelpfad verbunden ergießt sich dann eine parallel über diese Strecke zum Fluss verlaufende Abwasserleitung in den Fluss, als sollten so alle Sünden weggewaschen werden – ganz so wie tausende von Gläubigen ihr Bad im heiligen Fluss nehmen. „Wer kann schon den Yamuna beschmutzen,“ sagt ein Glaubender – „Jeder wird rein nach einem Bad in ihm.“
Nichts Entscheidendes geschieht, wenn der Fluss seinen Lauf durch Mahaban macht, wo er sich der Gokul Staustufe gegenübersieht und von dort nach Agra, der zweitgrößten Stadt an seinem Ufer fließt. Ein großes Abwasserrohr gleich neben dem Büro des „Yamuna Aktionsplanes“ öffnet sich in den Fluss. An einem anderen Ort, 200 Meter hinter dem Taj Mahal mündet ein weiteres Rohr in den Yamuna. Mausetote Tierkadaver liegen zwischen dem Fluss und dem Taj verstreut.
Die größte Freitreppe in den Fluss der Stadt heißt Haatighat. Große Öfen wurden hier aufgestellt, um das Flußwasser zum Waschen der Kleider aufzuwärmen. Danach wird das Wasser zurück in den Fluss geleitet. „Wir waschen hier seit Generationen unsere Kleidung,“ sagt ein Wäscher da- „Finde einen anderen Ort für uns und wir werden auch dort hingehen.“
Kaum noch ein Fluss zu nennen fließt der Yamuna von Agra zum nächsten Stop 80 km weiter – Bateshwar. Berühmt für seine Tempelglocken befinden sich einige Tempel hier gar mitten im Fluss. Von Bateshwar dann findet der Yamuna seinen Weg durch Etawah um sich dort mit dem Chambal zu vereinigen bevor es nach Panchnada geht. Dieser Ort erhält seinen Namen durch den Zusammenfluss von fünf Flüssen – des Yamuna, Chambal, Kuwari, Sind and Pahuj. Und – das Wasser hier ist sauber, weil da vier Flüsse dem Yamuna eine neue Lebenschance geben. Der Chambal als größter der viere ist wohl einer der saubersten Flüsse Indiens. Wie auch immer jedoch – das ändert sich bald nach Vermischen mit dem schmutzigen Wasser des Yamuna.
Weltberühmt für seine Süßwasserdelphine und den indischen Ghariyal, eine der drei indischen Krokodilarten, die man beide nur im Chambal findet sind nun beide Arten mehr und mehr vom Aussterben bedroht. Alleine im Jahre 2008 wurden in zwei Monaten mehr als 100 tote Ghariyals gefunden. Der berühmte Zoologe Romulus Whitaker untersuchte danach den Fall zum besseren Verständnis der Katastrophe.
„Aller Anfangsverdacht fiel auf den Yamuna. Wir haben diesen Fluss in einen Giftstrom verwandelt. Offen gesagt – wenn die derzeitige Situation anhält dann sind die Tage der Ghariyals und der Flussdelphine hier gezählt,“ sagt Whitaker.
Tarun Nayar vom Bündnis zur Rettung der Ghariyals hat einen Bericht zum Sterben der Krokodile im Chambal verfasst. „Im Jahre 2008 haben viele Ghariyals ihre Nester in einem 20 km Radius des Ortes gebaut, wo der Chambal den Yamuna trifft,“ sagt Nayar. „Alle toten Krokodile wurden in diesem Abschnitt gefunden.“
Scheinbar alle Verwüstung vergessend, die er hinterlassen hat bewegt der Yamuna sich entlang Bundelkhand bis er Allahabad erreicht, wo er in den Ganges mündet um dort bei Prayag der Sangam zu werden. Unsere Reise ist hier zu Ende.
Wir haben die Verwandlung des Yamunas vom reinsten aller Gewässer zu einer hochgiftigen Brühe gesehen. Kann der Yamuna das werden, was er einst war? Können die Dinge geändert werden
„Heutzutage ist ein Mensch „zivilisiert“, wenn er fließendes Wasser aus der Leitung und eine Toilette mit Spülung im Badezimmer hat,“ sagt der erfahrene Journalist Sopan Joshi, der da vielerlei Nachforschungen über Böden, Wasser und menschliche Abfälle anstellt.
„Der Yamuna könnte eine Gottheit sein, aber heute ist er eine Toilette ohne Wasserspülung.“ - übersetzt aus TEHELKAHindi von Saif Ullah Khan - englisches Original „Mourning a River“ (http://tehelka.com/mourning-a-river) mit Fotostrecke hier - übersetzt hier aus dem Englischen mit freundlicher Genehmigung des Autors Atul Chaurasia von Stefan Frischauf - atul @ tehelka.com und stefan @ anyarchitectsandengineers.com (veröffentlicht im Netz unter o.a. Adresse – abgedruckt in der Print-Ausgabe von TEHELKA, Nr. 10, Ausg. 15 vom 13. April 2013) Tehelka — Free • Fair • Fearless tehelka.com Over the years, Tehelka has firmly established itself as a people’s media choice. With public interest journalism, serious opinion and analysis, Tehelka has earned unmatched credibility and brand recall.
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