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Türken im Gerichtssaal: Deutsche entdecken den Rechtsstaat

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Türken im GerichtssaalDas Oberlandesgericht München hat alle Presseplätze beim NSU-Prozess nur an deutsche Reporter vergeben, denn sie haben sich zuerst angemeldet. Die ausländische Presse reagierte verwundert bis verstört, denn meisten der Opfer dieser Mordserie stammen aus der Türkei. Nun macht die Bundesregierung Druck und fordert den Zugang für türkische Berichterstatter. Rechtssicherheit ist ein wichtiges Gut in der Demokratie: Gesetze, die für alle gelten. Vorschriften, die nicht nach Lust und Laune oder nach politischer Opportunität ausgelegt werden. Doch was machen wir, wenn ihre Anwendung allen Regeln der Menschlichkeit widerspricht?


Nun kenne ich natürlich die Fakten nicht: warum türkische Reporter sich "zu spät angemeldet" haben oder warum ein Reihenfolgeprinzip wie an einer deutschen Wursttheke gilt. Ich bin auch kein Experte der Deutschen Gerichtssaalbefüllungsverordnung und kenne nicht die internen Diskussionen, als (vielleicht) jemandem aufgefallen ist, dass weder türkische noch wichtige internationale Medien einen Platz bekommen haben. Was ist schon die "New York Times" oder die "International Herald Tribune" gegen "Radio Arabella" oder die "Mainpost"?! Ich kann auch keine Vergleiche zum Kachelmann-Prozess ziehen, bei dem es ja schließlich um wichtige Fragen aus dem Schlafzimmer eines Promis ging.

Deswegen verstehe ich auch die ganze Aufregung nicht, schließlich können die türkischen Journalisten ja in BILD nachlesen, warum ihre Landsleute ermordet wurden. Denn der Deutsche entdeckt - zumindest in Form der SPIEGEL-online-Kommentatoren - plötzlich sein Herz für die Unabhängigkeit der Justiz. "Wer zuerst kommt, malt zuerst", meint einer und denkt an die gerechte Reihenfolge bei Renovierungsarbeiten. Und das sieht auch das OLG München so, wie es am Dienstag mitgeteilt hat. Wenn es eine Verwaltungsvorschrift gibt, dann muss man kein "Gespür für die Brisanz der Thematik haben", wie es Pascal Thibaut, Vizechef des Vereins der ausländischen Presse in Deutschland, formulierte.

Der Deutsche entdeckt plötzlich sein Herz für die Unabhängigkeit der Justiz. Volkes Stimme übersieht, dass sich niemand in den Kern der richterlichen Unabhängigkeit, die Urteilsfindung, einmischt.

Da erhebt sich Volkes Stimme: Auf 23 Seiten (Stand 27.3.13 20:00) melden sich die Wahrer der Gewaltenteilung zu Wort. "Wir können nur hoffen das sich Richter nicht durch Gefühle leiten lassen sondern sich auf dem Boden der Rechtsordnung bewegen." "Wo ist das Problem? Sich rechtzeitig anzumelden? Darf ein deutsches Gericht noch den für es selbst geltenden Gesetzen und Verwaltungsvorschriften folgen, oder steht die Befindlichkeit der Türken wie im Islam über unseren Gesetzen?" "Wenn die Bundesregierung sich schon erdreistet, sich in eine andere Gewalt einzumischen und das Gewaltenteilungsprinzip meint aufgeben zu dürfen,…" "…die Justiz ist unabhängig von der gesetzgebenden Gewalt." Und so weiter…

Was Volkes Stimme übersieht: "Die Bundesregierung mischt sich ja kein bisschen in den Kern der richterlichen Unabhängigkeit, nämlich die Urteilsfindung, ein…", wie eine der wenigen Gegenstimmen in diesem Chor der (Selbst-)Gerechten korrekt feststellt. Was könnte also hinter der überraschenden Sorge um den Rechtsstaat stecken? Wie sähe es aus, wenn in Ankara in einem Prozess gegen türkische Islamisten, die Deutsche ermordet haben, die deutsche Presse keinen Beobachterplatz bekäme, weil "sie sich zu spät angemeldet" hätte? Man muss ja nicht gleich wie im Verfahren gegen die RAF ein neues Prozessgebäude (damals in Stammheim) bauen!

Jürgen Beetz

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