DIE Internet-Zeitung
Weitergeleitete Mitteilung der Save Tigris and the Iraqi Marshes Campaign und ECA Watch Österreich

Weltwassertag: Offener Brief aus dem Irak an Andritz AG

Am

Anlässlich des morgigen Weltwassertages und der morgen stattfindenden Aktionärsversammlung der Andritz AG übermittelten irakische Zivilgesellschaftsorganisationen heute einen Brief mit über 4.400 Unterschriften aus dem Irak an Andritz-Chef Wolfgang Leitner. Sie bringen damit ihrer Sorge um die verheerenden sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Folgen des türkischen Ilisu-Staudammprojektes für den Irak (flussabwärts des Staudammes) zum Ausdruck und fordern das Unternehmen auf, sich aus dem Projekt zurückzuziehen.


Die Andritz AG unterzeichnete bereits im Jahr 2007 Verträge für die Lieferung von Turbinen für das kontroversielle Staudammprojekt, damals mit österreichischen Bundesgarantien durch die Kontrollbank. Andritz verblieb im Projekt selbst nachdem sich 2009 die Kontrollbank, gemeinsam mit den involvierten europäischen Exportkreditagenturen und Banken aus menschenrechtlichen und ökologischen Bedenken aus dem Projekt zurückzogen und übernahm sogar zusätzlich die Verträge der deutschen und schweizerischen Konsortialpartner für die Technologielieferungen für den Staudamm.

„Die Teilnahme an solch desaströsen Projekten widerspricht nicht nur den eigenen Nachhaltigkeitsaussagen der Andritz AG, sie bricht auch mit internationalem Recht. Der Ilisu-Staudamm wird unter anderem das Menschenrecht auf Wasser im Irak, wie im UN-Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte festgelegt, verletzen“, erklärt Thomas Wenidoppler von ECA Watch Österreich. „Sowohl die Türkei als auch Österreich haben diese Verträge unterschrieben. Somit müsste eigentlich auch die österreichische Regierung ihre Schutzpflicht wahrnehmen und sicherstellen, dass heimische Unternehmen nicht an der Verletzung dieser Rechte teilhaben,“ so Wenidoppler.

Der offene Brief wurde von 4447 Irakern gezeichnet und erhielt Unterstützungserklärungen von staudammbetroffenen Gemeinschaften in anderen Ländern wie Chile, Indonesien, Spanien, Türkei und Iran. Neben Ilisu ist Andritz aktuell auch an den umstrittenen Staudammprojekten Belo Monte und Rio Madeira in Brasilien, sowie dem Xajaburi-Staudamm in Laos beteiligt. All diese Projekte gehen mit dokumentierten Menschenrechtsverletzungen und massiver Umweltzerstörung einher.

Anbei der offene Brief an Andritz-Chef Leitner (inklusive deutscher Übersetzung), sowie die Presseaussendung der irakischen NGOs.

DEUTSCHE ÜBERSETZUNG – Open letter to Andritz – 21.3.2012

Sehr geehrter Herr Dr. Wolfgang Leitner,

Betrifft: Auswirkungen des Baus des Ilisu-Staudamms in der Türkei auf den Irak

Wir sind ein Zusammenschluss verschiedener irakischer Zivilgesellschaftsorganisationen, welche tief über die Zukunft der Wasserressourcen unserer Nation, und die Auswirkungen die der Ilisu-Staudamm auf sie haben würde, besorgt sind. Wir schreiben Ihnen um Sie auf die verehrenden sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Folgen dieses Projektes aufmerksam zu machen, in der Hoffnung dass sich ihr Unternehmen davon distanziert.

Irak musste bereits herbe Wasservolumenseinbussen und zudem auch Reduzierungen der Wasserqualität durch GAP Staudamm Projekte in der Türkei hinnehmen. Gelöste Stoffe (TDS) im Euphrat haben sich vervierfacht, sodass das Wasser für den menschlichen Verzehr ungeeignet, und durch erhöhten Salzgehalt im Boden für die Landwirtschaftsnutzung weniger geeignet wurde. i Ilisu würde die irakische Wasserversorgung deutlich verschlechtern und verehrende Effekte auch für Agrikultur bedeuten.

Der Bau des Ilisu-Staudamms verstößt gegen irakisches Recht auf Wasser, so wie es im Internationalen Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte, welcher sowohl von Österreich als auch der Türkei ratifiziert wurde, verankert ist. ii Das UNO Übereinkommen über die Nutzung internationaler Fließgewässer zu anderen Zwecken als zur Navigation von 1997,iii welches allgemein als eine Kodifizierung von Internationalem Völkergewohnheitsrecht angesehen wird, beinhaltet die Verpflichtung zur ausgewogenen und angemessenen Nutzung der Wasserressourcen, die Verhütung von erheblichen Schaeden, und die vorherige Mitteilung von geplanten Maßnahmen - allesamt Kriterien, welche die Türkei bis heute nicht eingehalten hat.

Irakische Stauseen, darunter Tharthaar, zwischen dem Euphrat und Tigris, und Habbaniyah, westlich des Euphrat, werden durch Ilisu wesentlich vermindert werden.

Darüberhinaus sind flussabwärts die Marschgebiete des Südirak dadurch in Gefahr. Sie sind die Heimat der Marsch-Araber und haben globale Bedeutung für ihre Artenvielfalt und mehr als 5.000 Jahre Geschichte. Die Sumpfgebiete sind Heimat zahlreicher Vogel-, Säugetier-, Amphibien- und Reptilienarten, von denen viele als bedroht gelten. Die Sumpfgebiete sind Lebensraum für Fischbestände, welche 60% des irakischen Fischfangs ausmachen.vi Aufgrund von Wasserumleitungsprojekten stromaufwärts hat es leider bereits einen 50%igen Rückgang irakischer Fischbestände gegeben. Umfangreiche ökologische Schäden, sowie die Umsiedlung der indigenen Bevölkerung in der Vergangenheit, wurden von den Vereinten Nationen als “eines der größten Umwelt- und humanitären Katastrophen des Landes” bezeichnet. viii Zur Restauration und Erhaltung irakischer Sumpflandschaften werden ausreichende Mengen von Wasser benötigt, was jedoch durch den Bau vom Ilisu-Staudamm gefährdet wird. Der Ilisu-Staudamm, so er fertiggestellt würde, würde zu Dürren, den Verlust von Lebensräumen, Tier-Rückgang und Aussterben, Migrationsströme, sowie Arbeitslosigkeit führen. Die Rechte von Tausenden indigenen Marsch-Araber, welche in der UNO-Deklaration der Rechte der indigenen Völker Artikel 8, 20 und 26 zum Ausdruck gebracht werden, werden dadurch verletzt.

Im Jahr 2007 wurde das Hawizeh Marschland (Haur Al-Hawizeh), das den überwiegenden Teil seines Wassers aus dem Tigris erhält, in die Ramsar-Liste der Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung aufgenommen. Die mittel-Sümpfe werden derzeit für UNESCO-Welterbe-Status und für die Nationalpark-Status in Erwaegung gezogen. Dieser wertvolle, einzigartige, und unersetzliche Teil der Welt wird wahrscheinlich für immer verloren sein, wenn der Ilisu-Staudamm ist abgeschlossen.

Wir appellieren an Andritz sich an seinen Code of Business Conduct and Ethics zu halten. Im Speziellen weisen wir auf die Sektionen, welche sich mit der Einhaltung von nationalen Gesetzen, Regelungen und Gepflogenheiten, Umweltschutz und Nachhaltigkeit beschäftigen hin. xii Des weiteren rufen wir Andritz dazu auf das Völkerrecht zu beachten und seine Arbeit an diesem Damm sofort einzustellen, bis eine unabhängige Studie über die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Konsequenzen durchgeführt werden kann. Als Teil dieser Studie, in Übereinstimmung mit internationalen Umweltverträglichkeitsprüfungen, muss analysiert werden, wie die negative Auswirkungen des Staudamms für den Irak minimiert werden können.

Wir bitten Sie den Dialog mit der türkischen Regierung erneut aufzunehmen und zur Gewährleistung der gerechten Aufteilung der Gewässer des Tigris zwischen Anrainerstaaten beizutragen. Wir sind entschlossen internationale Verträge und Protokolle, die Medien, und andere Ressourcen zu nutzen um Irak’s Recht auf Wasser zu schützen und um unser kulturelles und natürliches Erbe zu bewahren. Ein Verstoß gegen ihren Code of Conduct und internationales Recht, beschädigen Ihr Image und beeinträchtigen zudem auch Ihre Fähigkeit in Zukunft Geschäfte im Irak abzuschließen und nachzugehen.

Das Hauptziel der Ramsar-Konvention ist "die Entwicklung und Pflege eines internationalen Netzwerks von Feuchtgebieten, die wichtig sind für die Erhaltung der globalen biologischen Vielfalt und für die Erhaltung menschlichen Lebens durch die Aufrechterhaltung ihres Ökosystems-Leistungen."

Die Türkei ist eine Mitglied der Ramsar-Konvention seit 1994 und verfügt über 13 Ramsar-Gebiete. Als Vertragspartei, ist es verpflichtet zur weisen und nachhaltige Nutzung der Ressource Wasser, sowie mit anderen Vertragsparteien über die Umsetzung der Konvention zu konsultieren, insbesondere im Hinblick auf grenzüberschreitende Feuchtgebiete, geteilte Wasser-Systeme, und gemeinsam genutzte Arten.

Mehr über die Aktion unter Save Tigris and Iraqi Marshes Campaign: http://www.iraqicivilsociety.org/archives/category/save-the-tigris-and-marshes

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