In der Originalversion der Bertelsmann-Pressemitteilung hieß es: "Der zusätzliche Druck auf das Rentensystem ergibt sich nach den Berechnungen aus dem anhaltenden demographischen Wandel in der deutschen Bevölkerung. Während heute der Anteil der über 65-Jährigen bei 30 Prozent liegt, sieht die Prognose für 2030 einen Anteil von 49 Prozent und für 2060 von 63 Prozent."
Nicht 30, sondern nur 20,6 Prozent sind 65 und älter
Nachdem dpa und Weser-Kurier diese Behauptung verbreitet hatten, schaltete sich das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) ein und stellte die gravierenden Fehler der Bertelsmann-Stiftung richtig: Ende 2011 waren nicht 30, sondern nur 20,6 % der Bevölkerung 65 Jahre und älter. Sichere Bevölkerungsprognosen für das Jahr 2060 gibt es nicht, da wir nun einmal nicht wissen, wann die heute lebenden Menschen sterben werden, wie viele Kinder in sechs Jahren geboren werden oder wie viele Menschen in elf Jahren zu- oder abwandern werden. Sogar die heutige Zahl der Menschen in Deutschland ist unsicher. Deshalb hat das Statistische Bundesamt 2011 ja den Zensus durchgeführt.
Bertelsmann bezieht sich auf die "12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung der statistischen Ämter der Länder und des Bundes" von 2009. Und in einer ihrer Varianten "Obergrenze der ‚mittleren Bevölkerung’" ist für 2060 tatsächlich die Zahl 63 zu finden. Doch nicht als Bevölkerungsanteil, sondern als Altenquotient! Der Bevölkerungsanteil wurde dort mit 32,6 % ausgewiesen. Also eine ganz andere Nummer als die 63 % der Panikmacher von Bertelsmann.
Eine ganz ähnliche Episode haben wir in unserem Buch "Lügen mit Zahlen" aufgedeckt. Im Juli 2009 beschworen FAZ und andere die Seniorenrepublik Brandenburg: 90 Prozent der Bevölkerung dieses Bundeslandes, so hieß es allen Ernstes, würden 2050 im Rentenalter sein. Auch damals hatten die Demographie-"Experten" mehrerer seriöser Redaktionen Altenquotient und Bevölkerungsanteil verwechselt, weil es ihnen gerade so schön in den Kram passte.
Auf der Zahlenebene korrigiert, auf der Kopfebene nicht
Die Bertelsmänner haben ihren Fehler auf der Zahlenebene inzwischen korrigiert. Sie schreiben: "In einer früheren Version dieser Pressemitteilung ist uns ein Fehler unterlaufen. Unsere Formulierung ließ den Schluss zu, dass derzeit ein Drittel und im Jahr 2060 63 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre sind. Unsere Studie … weist auf Seite 16 ff jedoch aus, dass es sich hierbei um den Altenquotienten handelt, also das Verhältnis der über 65-Jährigen zum Erwerbspersonenpotenzial." Doch auf der Kopfebene halten sie an ihrer alten Sichtweise fest: "An unserer Einschätzung zur Zukunft des Rentensystems in Deutschland ergeben sich dadurch keine Änderungen."
Dazu fällt uns ein frivoler rheinischer Karnevalsschlager ein: "Scheiß-ejal! Scheiß-ejal! / Ob du Huhn bist oder Hahn…" 34 Prozent, 63 Prozent, ein Drittel oder zwei Drittel, so what? Die gesetzliche Rentenversicherung muss gefährdet sein, das ist alles, worauf es den "Experten" anzukommen scheint.
Gerd Bosbach, Jens Jürgen Korff