Mit einem Änderungsantrag, der zumindest diese gesetzlich vorgeschriebenen oder ausdrücklich erlaubten Formen der Zusammenarbeit davon ausnimmt, hatten die Koalitionsfraktionen von Union und FDP noch kurz vor der zweiten und dritten Lesung versucht, die offenkundige Absurdität dieses Gesetzes abzumildern.
Das Kartellrecht ist dafür gedacht, illegale Preisabsprachen zu Lasten der Kundinnen und Kunden zu verhindern und dafür zu sorgen, dass nicht einzelne Unternehmen so groß werden, dass sie alle Konkurrenten aus dem Markt drängen, um danach als Monopole oder Oligopole die Preise ihrer Leistungen nach Belieben hoch zu treiben. Bei den Gesetzlichen Krankenkassen besteht diese Gefahr allerdings kaum. Schließlich sind deren Beiträge gesetzlich festgelegt und einkommensabhängig. Auch die Leistungen sind zu einem sehr großen Teil gesetzlich geregelt. Und die Frage, ob tatsächlich eine Vielzahl verschiedener Kassen für die Versicherten einen Vorteil gegenüber einigen wenigen oder gar einer einzigen bietet, ist offen. Es wäre doch absolut vorstellbar, dass es kein Verlust für die Versicherten wäre, wenn sich im Zentrum einer Stadt nicht mehr die Geschäftsstellen der AOK, der Barmer, der Techniker drängten, sondern stattdessen im jedem Stadtteil eine Geschäftsstelle der regionalen Krankenkasse ist, bei der alle BewohnerInnen versichert sind.
Ob es sinnvoll ist, dass Kasse A für sich wirbt, indem sie besonders gute Rückenkurse anbietet, während Kasse B mit einem dichten Geschäftsstellennetz punktet und Kasse C besonders pfiffige Werbung schaltet, möge jede/r für sich bewerten und dabei berücksichtigen, dass sowohl die Rückenkurse als auch die Werbeanzeigen aus den Pflichtbeiträgen Versicherter bezahlt werden und dann eben nicht mehr für deren medizinische Versorgung bereitstehen. Ebenfalls aus den Beiträgen der Versicherten werden die vielen Kassenvorstände bezahlt sowie die freiwilligen oder gesetzlich vorgeschriebenen Gremien, die die Kassen für ihre politische Vertretung eingerichtet haben. So gibt es einen Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen, einen der Innungs- und einen der Ersatzkassen. Der GKV-Spitzenverband wiederum vertritt die Gesamtheit aller Kassen gegenüber der Politik und im Gemeinsamen Bundesausschuss, der auf gesetzlicher Grundlage die generelle Entscheidung über Pflichtleistungen der GKV trifft.
Damit Kassen mit besonders vielen alten oder kranken Mitgliedern angesichts gleicher Beiträge nicht zu schnell pleite gehen, hat sich die Gesundheitspolitik ein besonders bürokratisches Monster ausgedacht: den Gesundheitsfonds mit morbiditätsorientiertem Risikostrukturausgleich, kurz Morbi-RSA. In diesen Fonds fließen sämtliche Beiträge und werden von dort dann nach einem bestimmten Schlüssel an die Kassen weiterverteilt. Noch mehr als gesunde Versicherte lohnen sich seither für die einzelne Kasse Menschen, bei denen zwar chronische Krankheiten diagnostiziert wurden, die aber möglichst wenig Therapien benötigen - sei es, dass sie eine leichte Verlaufsform der Krankheit haben, sei es, dass sie "austherapiert" sind. Kein Wunder, dass die Zahl der einbezogenen Krankheiten und ihre Bewertung in Euro und Cent regelmäßig heftig umstritten sind.
Dieses ganze Ausgleichssystem wäre überflüssig, gäbe es nicht einerseits den politisch gewollten Wettbewerb vieler Kassen und andererseits einen ebenfalls politisch festgelegten Einheitsbeitrag von derzeit 15,5% des Arbeitseinkommens unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze.
Kassen, die mit den Ausschüttungen aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen, müssen Zusatzbeiträge erheben, die allein von den Versicherten getragen werden, an denen also die ArbeitgeberInnen und Rentenkassen nicht beteiligt werden. Da Kassen, die solche Zusatzbeiträge erheben, vor allem den Verlust junger und gesunder Mitglieder und damit eine Abwärtsspirale bis in die Insolvenz fürchten müssen, verstärkt diese Regelung den Druck zur Kostensenkung bei den Kassen. Der Effekt ist, dass in Zeiten knapper Mittel die Bewilligung von Leistungen an die Versicherten verzögert oder ganz verweigert wird, auch wenn es einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen gibt. Besonders auffällig ist die unterschiedliche Bewilligungsquote bei Eltern-Kind-Kuren, mit der sich der Gesundheitsausschuss des Bundestags in dieser Legislaturperiode schon häufiger beschäftigt hat.
Was unterscheidet gesetzliche Krankenkassen von den privaten Krankenversicherungen? In der Privaten Krankenversicherung (PKV) gibt es keine gesetzliche Regelung der Beiträge und Leistungen. Ihre Beiträge sind nicht vom Einkommen abhängig, sondern vom persönlichen Risiko. Ihr Geschäftsmodell basiert darauf, junge, gesunde Menschen mit niedrigen Beiträgen zu werben, während ältere Menschen oder Menschen mit Vorerkrankungen höhere Beiträge leisten müssen oder gar nicht versichert werden. Aus den Versicherungsprämien der PKV werden nicht nur die Leistungen für die Versicherten finanziert, sondern auch die Provisionen für die Versicherungsmakler und die Dividenden für die Aktionäre. Inzwischen gibt es verschiedene Studien die nachweisen, dass die Leistungen der PKV in den meisten Vertragsmodellen deutlich schlechter sind als die der GKV. Und im Alter oder bei Arbeitslosigkeit sind viele privat Versicherte mit der Zahlung der Versicherungsprämien plötzlich überfordert. Die GKV hingegen beruht auf dem Solidaritätsprinzip: alle Versicherten leisten einen Beitrag, der sich nach ihrem Einkommen richtet und wer krank wird, hat unabhängig von der Höhe seines Beitrags den Anspruch auf alle notwendigen Leistungen. Die Einnahmen der Kassen gehören weder dem Staat noch den Aktionären, sondern der Gemeinschaft aller Versicherten.
Die schrittweise Verwandlung der Kassen in konkurrierende und unternehmerisch handelnde Unternehmen birgt die Gefahr, dass auf dem Umweg über den europäischen Binnenmarkt nun der Charakter der GKV als soziales Umlagesystem im öffentlichen Auftrag vollständig liquidiert wird. Bislang hat der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung noch bestätigt, dass die GKV eine quasi-staatliche Instanz mit am Allgemeinwohl orientiertem Auftrag und daher nicht nach europäischen Wettbewerbsregeln zu bewerten ist (EUGH C 246-01 v. 2004).
Bisher waren die Kriterien, um Krankenkassen vor den Regeln des EU-Binnenmarktes zu schützen, dass sie weder über ihre Beitragshöhe noch über ihren Leistungsumfang frei entscheiden. Nun hat es aber sowohl was den Beitragssatz angeht, als auch was die Leistungen betrifft, seit 2004 eine Reihe Veränderungen gegeben.
Die Anwendung europäischen Rechts auf die Krankenkassen würde bedeuten, sie mit privaten Versicherungsunternehmen gleichzustellen und hätte weitgehende Auswirkungen bis hin zur Anwendung der Umsatzsteuerpflicht auf die Beiträge, was die GKV vor allem für gut Verdienende deutlich verteuern und damit unattraktiver für freiwillig Versicherte machen würde.
Wer profitiert eigentlich von der Anwendung des Kartellrechts auf die Gesetzlichen Krankenkassen? Die privaten Versicherungskonzerne, die genau dies erhoffen. Wenn die GKV-Beiträge genauso wie die Versicherungsprämien der Privaten umsatzsteuerpflichtig werden, können sie sich Hoffnung auf den Zulauf weiterer gut verdienender und gesunder Versicherter machen. Es profitieren die Leistungserbringer, also die Ärztinnen und Ärzte, die Medizintechnik- und Pharmaindustrie, weil ein Beschaffungskartell der Krankenkassen geeignet wäre, die Preise für Pillen, Prothesen und Praxisbesuch im Interesse der Versicherten wirksam zu drücken.
Wettbewerb an sich ist für das Gesundheitswesen kein geeignetes Steuerungsinstrument, denn Wettbewerb setzt voraus, dass die KonsumentInnen frei entscheiden können, welches von mehreren unterschiedlichen Produkten sie kaufen oder die auch Konsumverzicht üben können. Kranke aber sind keine KundInnen, denn sie sind nicht frei in ihrer Entscheidung, ob und wie sie sich behandeln lassen und Arztpraxen sind keine Warenhäuser.
>>Gesundheit ist keine Ware, sondern Menschenrech<<
Kathrin Vogler - DIE LINKE im Bundestag