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Mobbing versus Bonding (Teil II)

Mobbing – Auslöser und Symptome zu Beginn des Leidensweges

Am

Mobbing bei Volkswagen. Volkswagen als Arbeitgeber, im Fall des Mobbing-Opfers Detlev Lengsfeld, ein völliges Versagen in der Führungskultur „Als Nährboden für Mobbing muss erfahrungsgemäß ein Mobbing-freundliches Betriebsklima vorhanden sein“ (Statement aus „Mobbing versus Bonding“, Teil I). Nun besteht die Gesamtheit eines Betriebsklimas aus der Summe der seelischen Beschaffenheiten aller Beteiligten einerseits, und aus einer Reihe bewusster und unbewusster, ausgesprochener und unausgesprochener Abmachungen bzw. Regeln andererseits. Die Liste dieser Vereinbarungen könnte als eine Art innerbetriebliches „Grundgesetz“ bezeichnet werden. Und genau der Umgang mit den ungeschriebenen Gesetzen entscheidet letztlich alles.


Im Vordergrund dieser Artikelserie steht der Leidensweg unseres Interviewpartners Detlev Lengsfeld, ehemaliger Angestellter der Volkswagen Tochter Autostadt GmbH und Deutschlands bekanntestes Mobbing-Opfer, wie Lengsfeld sich selbst auf seiner Homepage www.mobbing-gegner.de bezeichnet. Den Hintergrund bilden die unausgesprochenen Abmachungen bzw. Regeln, die für die Auslöser und den Verlauf eines Mobbing Prozesses entscheidend sind. So wie die unbewussten Untertöne den Ausgang eines Gespräches bestimmen, so bestimmt der Umgang mit den unbewussten „Betriebsgesetzen“, ob ein Mobbing Fall entstehen kann und ob er eskaliert. Wir fragten Detlev Lengsfeld, wie er selbst die Anfänge seines eigenen Leidensweges wahrnahm.

Die Auslöser eines Mobbing Prozesses

Günter Voelk: Mit den Kollegen am Arbeitsplatz ging es Ihnen sehr lange gut. Sie berichteten auch, dass in Ihrem Mobbing Fall nicht nur die Kollegen, sondern auch die Vorgesetzten eine entscheidende Rolle spielten. Wann und wodurch hatten Sie das erste Mal den Verdacht, beim Volkswagen Konzern gemobt zu werden?

DL: Es begann im Frühjahr 2001 in einer Besprechungsrunde meiner Abteilung, zuallererst aber durch einen Kollegen. Er warf mir auf einmal ganz aus heiterem Himmel Arbeitsverfehlungen vor, in Anwesenheit des Abteilungsleiters Dr. B. Die Vorwürfe waren aber überhaupt nicht berechtigt. Herr Dr. B. bestätigte mir dies gleich nach der Besprechung. Die Anschuldigungen blieben aber ganz einfach stehen, sie wurden anschließend nicht in einer weiteren Abteilungsrunde ausgeräumt.

Günter Voelk: Was waren Ihre ersten Reaktionen auf diesen Vorgesetzten, in Worten, Gedanken und Gefühlen?

DL: Na ja, wie Sie sich vorstellen können fühlte ich mich natürlich im Stich gelassen und enttäuscht. Das war so ein Gefühl … von ohnmächtiger Wut. In Gedanken wäre ich ihm am liebsten an die Gurgel gegangen. Aber noch viel wütender war ich auf den Kollegen, wie Sie sich vorstellen können.

Günter Voelk: Oft steht ein solcher Auslöser am Anfang einer ganzen Kette von Ursachen und Wirkungen. Veränderte sich das Verhalten Ihrer Kollegen bereits in dieser frühen Phase? Wenn ja, auf welche Art?

DL: Die Beschuldigungen des Kollegen blieben leider die ganze Zeit im Raum stehen, und gingen weiter mit Anzweifeln meiner fachlichen Kompetenz, mit einzelnen Unverschämtheiten und Gemeinheiten. Das und auch sein ganzer Spott konzentrierte sich voll auf meine Person. Dadurch kam es in der Folge auch zu Problemen mit anderen Kollegen, die durch die ständige Wiederholung der Gemeinheiten beeinflusst wurden, egal wie sehr ich mich anstrengte. Die lachten einfach mit, wenn es auf meine Kosten ging, und tuschelten über mich, statt auch mal auf meiner Seite zu sein. Ich fühlte mich ziemlich schnell ausgeschlossen.

Günter Voelk: Ich weiß zwar, dass es immer noch schwer für Sie sein kann, aber würden Sie den seelischen Prozess bitte noch einmal kurz beschreiben, der in Ihnen während dieser ersten Wochen und Monate ablief?

DL: Am Anfang fühlte ich mich noch sicher. Der Chef hatte mir ja bestätigt, dass der Kollege unrecht hatte. Als die anderen aber mehr und mehr mit diesem Kollegen gemeinsame Sache machten, wurde ich immer unsicherer, bis ich gar nicht mehr wusste, ob ich nicht doch vielleicht selber schuld war. Ich begann mir das eine Mal Selbstvorwürfe zu machen, dass ich mich eher hätte wehren müssen, und das andere Mal, dass ich besser hätte arbeiten müssen – es war furchtbar. Und ich selber konnte bald nicht mehr richtig schlafen, und ich hatte oft Tage lang Kopfschmerzen, fühlte mich schlapp und igelte mich zu Hause ein.

Hier kann beobachtet werden, dass die beginnenden Mobbing-Folgen ganz fatal den ersten Anzeichen eines Burnout ähneln können: Die innere Spannung zwischen drohender Überforderung und der Angst davor, nicht gut genug zu sein, zieht in diesem Fall mehrere Warnsymptome der Anfangsphase eines Burnout-Syndroms nach sich. Das konnte ich schon seit den Anfängen meiner Praxis für Bonding-Therapie beobachten. Detlev Lengsfeld berichtet hier von Einschlafstörungen, Gehetztsein, Unausgeschlafenheit, Hyperaktivität, beginnender Erschöpfung und Beschränkung seiner sozialen Kontakte.

Selbstanklage und Selbstverteidigung

Als Verfechter des psychosomatischen Erklärungsansatzes suche ich die Ursache von Mobbing eher in einem Beziehungskonflikt, wie übrigens auch beim Burnout-Syndrom. Häufig auftretende innerpsychische Symptome des Mobbing-Opfers sind ein Wechselbad der Gefühle: ein Hin- und Hergerissensein zwischen Selbstanklage und Selbstverteidigung, ein Hochkochen von Einschärfungen und uralten Glaubenssätzen aus der Kindheit, um es mit Begriffen aus der Transaktionsanalyse zu umschreiben. Diese mit negativen Gefühlen beladenen Gedanken müssen dem Opfer nicht unbedingt wörtlich genau so durch den Kopf schießen. So wie sie meistens nonverbal von den Eltern und anderen signifikanten Personen übermittelt wurden, so bleiben sie oft als undefinierte Identitätsgefühle, als unbewusste Glaubenssätze in der Persönlichkeit „hängen“.

Beides – Einschärfung und Glaubenssatz – tritt immer paarweise auf. Die Einschärfung ist das, was ein Kind mehr oder weniger bewusst wahrnimmt. Sie muss nicht ausgesprochen werden, sie ist das, was aus den Aktionen und Reaktionen der Erziehungspersonen während des Erlebens abgeleitet wird – die Art und Weise, wie ein Kind aus der Beeinflussung durch seine Umgebung „Sinn“ macht. Der Glaubenssatz wird unbewusst aus dem Erlebten abgeleitet. Zu „du wirst es nie zu was bringen“ gehört „ich bin nicht gut genug“, zu „du schaffst es ja doch nicht“ passt „ich bin ein Versager“, und zu „du bist der Nagel zu meinem Sarg“ gehört „ich bin nicht willkommen auf dieser Welt. Dieser Weg der unbewussten Schlussfolgerungen wird auch als „das magische Denken des Kindes“ bezeichnet. Beides kann übrigens durch die Bonding-Therapie korrigiert werden, sowohl die negativen Glaubenssätze über sich selbst, als auch die negativen Identitätsgefühle.

Falsche Anschuldigungen und ungünstige Reaktionen

Im Mobbingprozess können diese manchmal Jahrzehnte lang inaktiven, weil unbewussten Persönlichkeitsanteile durch eine Art Flashbacks aus der Kindheit wie Sprengsätze „scharf“ gemacht werden. Die falschen Anschuldigungen eines Kollegen und das im Stich gelassen werden durch den Vorgesetzten werden zum Beispiel oft als solche Rückblenden wahrgenommen: „Du störst hier“, „du bist es nicht wert“, „du bist nicht wichtig“ können dann alte Glaubenssätze wie „ich bin nicht berechtigt“, „ich bin nicht gut genug“, „ich bin nicht liebenswert“ und ähnliches aus dem Unterbewusstsein hoch holen.

Das Fatale ist nun, dass ein unbewusster Flashback eine ganze Kettenreaktion nach sich zieht: Eine Affirmation wie „ich bin nicht gut genug“ aktiviert das alte, negative Identitätsgefühl, das mit dem magischen Denken verwoben ist. Die Verbindung von negativem Glaubenssatz und historischer Emotion kann dazu führen, dass erwachsene Wahrnehmungsfähigkeiten und Reaktionsweisen im Hier und Jetzt eingeschränkt werden. Die Einschränkung von Wahlmöglichkeiten im Verhalten zieht oft ungünstige Reaktionen des Betroffenen auf seine Umgebung nach sich. Und diese ungünstigen Reaktionen ebnen den Weg für neue Auslöser wie Vorwürfe, Hänseleien und Ausgrenzung. Was es an arbeitsrechtlichen Aspekten gibt, und wie dieser Teufelskreis erkannt und gebannt werden kann, das lesen Sie in den nächsten Folgen von „Mobbing versus Bonding“ – bleiben Sie dran!

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