So setzte er zu Beginn seiner Karriere als Ministerpräsident von Niedersachsen sogleich eine rigide Sparpolitik durch. Ausgaben im Hochschulbereich wurden drastisch gekürzt, und an den Schulen wurde die Lernmittelfreiheit abgeschafft. Während diese Maßnahmen noch als bildungspolitische Kurzsichtigkeit interpretiert werden können, muss die im Jahr 2005 erfolgte Streichung des pauschalen Blindengeldes als handfester Skandal bezeichnet werden.
Das Blindengeld in Deutschland ist eine monatliche finanzielle Unterstützung für erblindete Menschen, um Mehrausgaben, die ihnen wegen ihrer Behinderung entstehen, zu begleichen. Dazu gehören unter anderem Kosten für Haushaltshilfen, Vorlesen, oder auch Mehrausgaben für Hilfsmittel wie Notizblöcke in Blindenschrift. Gesetzlich ist der Anspruch auf Blindengeld nach Landesrecht in den jeweiligen Blindengesetzen der Bundesländer geregelt. Nach der Streichung der Zuwendungen durch Christian Wulff war Niedersachsen ab 2005 das einzige deutsche Bundesland, das seine blinden Mitbürger im Regen stehen ließ. Rund 12.000 Personen waren davon betroffen.
Nachdem es vom Blindenverband massive Proteste hagelte und ein breites Bündnis aus Sozialverbänden mehr als 600.000 Unterschriften sammelte, führte Wulff 2006 die Pauschalzahlung in reduzierter Höhe wieder ein, um einem geplanten Volksbegehren zuvor zu kommen. Es drängt sich die Frage auf, warum ausgerechnet ein Politiker, der dieses unbegreifliche, ja geradezu widerwärtige Ausmaß an sozialer Kälte an den Tag legte, Staatsoberhaupt werden konnte?
In den letzten Tagen wurde heftige Kritik laut, weil das Bundespräsidialamt Christian Wulff einen lebenslangen „Ehrensold“ in Höhe von jährlich 199.000 Euro zugestanden hat. Am Wochenende wurde obendrein bekannt, dass das Präsidialamt auch den Anspruch auf ein Büro mit Mitarbeitern inklusive Dienstwagen für den Ex-Präsidenten beantragen werde. Wulff wolle genau so behandelt werden, wie die anderen ehemaligen Bundespräsidenten, hieß es. Die hierfür erforderlichen Kosten würden den Haushalt mit zusätzlichen 280.000 Euro pro Jahr belasten. Sollte dies auch noch genehmigt werden, wäre für mich endgültig der Jordan überschritten. Das Amt des Bundespräsidenten wäre dauerhaft beschädigt, und der Glaube der Bürger an die Rechtsstaatlichkeit im Lande würde ad absurdum geführt. Die einzigen Profiteure wären radikale Protestparteien, denen Wulff die Trumpfkarten zugespielt hätte.
Ich wurde im Juni 1949 geboren. Die Bundesrepublik Deutschland war zu diesem Zeitpunkt gerade einen Monat alt. Ich bin dem Schicksal dafür sehr dankbar, dass ich in einer geordneten Demokratie aufgewachsen bin und möchte ehrlich gesagt auch unter geordneten demokratischen Verhältnissen meinen Lebensabend verbringen. Ich fordere Christian Wulff daher nochmals auf, das Ruder jetzt herumzureißen. Jedes andere Verhalten würde das Vertrauen in unsere knapp 63jährige Demokratie nachhaltig schwächen und einen politischen Erosionsprozess mit unvorhersehbaren Folgen einleiten.
Jetzt ist Christian Wulff am Zug. Er sollte soviel Anstand besitzen und die Hälfte seines Ehrensolds für wohltätige Zwecke stiften. Eine Blindenhilfsorganisation wäre unter anderen eine gute Adresse! Mein persönlicher Appell: „Herr Wulff, erinnern Sie sich an Ihre alten Tugenden! Noch ist es nicht zu spät!“
Rolf Froböse
Der Autor ist promovierter Chemiker, Wissenschaftsjournalist und Buchautor von Bestsellern wie „Lust und Liebe – alles nur Chemie?“ oder „Die geheime Physik des Zufalls“.