Die Haltbarkeit politischer Thesen liegt ohnehin selten über der von ungekühlter Frischmilch. Mir geht es allein um die Folgen der alltäglichen Diktatur des Geldes und um jene vielen, deren Finanzen trotz oder gar wegen des Konjunkturaufschwungs ständig schrumpfen, um auf den Konten der wenigen zu landen, deren Reichtümer ohnehin unaufhaltsam wachsen.
Die kleine Zahl Ultrareicher, derzeitig noch Milliardäre und in Zukunft vielleicht sogar Billionäre, schafften und schaffen offensichtlich ein System, mit dem sich Reiche in immer kürzeren Zeiträumen immer mehr bereichern konnten und können. Ungehindert wächst ihnen Machtfülle zu, da sich mit Geld alle Machtmittel kaufen lassen: Grund, Boden und Immobilien, Waffen, Bodyguards, Überwachungskameras, Angestellte, Politiker, Frauen, Männer, Verwaltungsangehörige, willige Spekulanten und nicht weniger willige Geschäftemacher aller Art sowie vor allem weitere Finanzen.
Superreiche sowie deren Anhänger und Helfer, die auch immer reicher zu werden hoffen, finden stets die einsichtigsten Antworten auf die entscheidende Frage, warum gerade sie wohlhabender werden müssen.
Neidische Arme
Moralisch entrüstet unterstellen sie Armen, eine unbotmäßige und deswegen verwerfliche Neiddebatte zu führen. Kurzerhand erklären sie die Umverteilung von oben nach unten zu einer in jeder Hinsicht unmodernen politischen Richtung. Wirtschafts- und Finanzpolitik, die ihnen und ihren Konten hingegen nützt, preisen sie und die ihnen nahestehenden wissenschaftlichen Experten als einzig notwendige an, da allein sie die Konjunktur steigere. Und Konjunktursteigerung kommt selbstverständlich wiederum allen zu gute, die ohnehin schon die größeren Guthaben besitzen und am meisten denen, die besonders rasant wachsende Vermögen ihr Eigen nennen.
Auch das ist natürlich Umverteilungspolitik – nur eben die zweifelsfrei höchst zeitgemäße von unten nach oben.
Geldadels Chancengerechtigkeit
Jene Geldadeligen wollen übrigens auch allen Mitgliedern der so genannten Gesellschaft weismachen, es herrsche Chancengerechtigkeit. Doch diese hat weder mit Gerechtigkeit noch Chancengleichheit zu tun. Vielmehr stellen Politiker und Wirtschaftsexperten mit diesem missverständlichen Begriff allen – also Armen und Reichen die gleichen Chancen gegenüber.
Nur die Armen verfügen nicht über die (Finanz-)Mittel, die Chancen wahrzunehmen. Für sie bleibt, mit dem Geld, über das sie nicht verfügen und auch nicht verfügen werden, in trügerischer Hoffnung auf Reichtum angestrengt für den Reichtum der Reichen zu arbeiten.
Konsequent wie sie sind, lassen Gutbegüterte zum Beispiel Bedingungen zu, die nur Wohlhabenden Bildungschancen ermöglichen. Sie loben die Sparsamkeit der Politiker, wenn sie Studiengelder einfordern und die Lernmittelfreiheit einschränken. Schließlich benötigen allein sie, die es sich selbstverständlich leisten können, umfangreiches Wissen und Können, um einfache Bereicherungsmodelle so zu verkomplizieren, dass einer ohne ihr Wissen und Können diese Modelle für zu kompliziert hält, um sie (als weniger Wohlhabender) durchschauen und beeinflussen zu können.
Ihr gesellschaftspolitisches Credo für jene, die sie nicht zu den Ihren zählen, lautet schlicht: Ihr habt keine Chance, aber nützt sie, wir nützen doch auch Chancen (die ihr nicht habt). Und das mit allergrößtem Erfolg.
Besitzvorrechte
Nun wissen selbstverständlich längst alle, die nicht zu jenen Wohlhabenden gehören, dass gerade Reiche sie daran hindern, zu deren Reichtum und dessen Zuwächsen zu kommen. Dafür steht das gewohnheitsrechtliche und von Juristen und Legislative formulierte Gesetz der Besitzstandswahrung, aber auch das Strafgesetzbuch. Es belegt gerade Eigentumsdelikte mit umso empfindlicheren Strafen, je mehr gestohlen oder geraubt wurde. Besitz ist damit gesetzlich umso mehr geschützt, je umfangreicher er ist. Darüber hinaus bemüht sich konservative Politik (Und welche Regierungspolitik ist nicht konservativ?) immer darum, mit nahezu allen ihren Mitteln Macht und damit Geld zu beschaffen und zu konservieren.
Doch es ist nicht allein ihr Bestreben, ihre großen Vermögen einfach nur zu erhalten. Damit wäre das Guthaben kaum mehr als eine wertvolle sorgfältig einbalsamierte Mumie - also totes Kapital ohne Geld- und Machtzuwachs.
Droge Geld
Nein, der vielbesitzende Mensch, suchtgefährdet wie er ist, will grundsätzlich immer mehr als er ohnehin schon hat. Die Droge Geld ist offenbar die legalste aller legalen Suchtmittel. Konsumenten anderer legaler Drogen – etwa Alkohol – werden im fortgeschrittenen Suchtstadium gesellschaftlich geächtet. Ungebremster Alkoholismus führt in der Regel nämlich zu Geld- und Besitzverlust. Der Geldsüchtige hingegen gewinnt mit der Steigerung seiner Sucht weiter an Ansehen.
Unerbittlich neigen Süchtige dazu, ihr Leben und das ihrer Angehörigen und aller ihnen Nahestehenden in die Sucht hineinzuziehen. Keiner soll der Sucht entgehen. Konsequenter Weise werden alle Einflussbereiche der Geldmachthaber der Abhängigkeit von Geld unterworfen: die Politik, die öffentliche Verwaltung, Kunst und Kultur, Freizeit, Familie, Kindererziehung, selbst Freund- und Liebschaften.
Überall wird zunächst gefragt, „Und was kostet mich das?“
Die Entscheidung für ein Kind fällt erst, wenn klar ist, ob das junge Paar sich auch ein Kind leisten kann. Geheiratet wird wegen zu erwartender Steuervergünstigungen. Im Krankenhaus haben Krankenschwestern keine Zeit dafür, sich ihren Patienten menschlich zuzuwenden. Dafür zahlen Krankenkasse und Krankenhausverwaltung nicht.
Wer als Privatpatient allerdings ausreichend Geld einsetzen kann, für den ist auch Zeit vorhanden. Und dann macht Reichtum auch noch sexy…. Mit zunehmender Maßlosigkeit vernichtet Sucht bekanntlich irgendwann Existenzen und zuletzt Leben. Jeder trockene Alkoholiker, der kurz vor dem endgültigen Absturz noch die Kurve gekriegt hat, weiß das.
Sucht ist erbarmungslos und kann selbst Unbeteiligte mit in den Abgrund reißen.
Karl Marx war sicherlich kein Suchtexperte, aber er hat aufgrund seiner scheinbar altmodischen machtpolitischen Erkenntnisse vor dem Selbstvernichtungspotential des Kapitalismus gewarnt. Wer Euro- und Dollarzeichen in den Augen hat, dessen Sehkraft bleibt eingeschränkt, selbst wenn er sich die teuersten Augenärzte leisten könnte.
Karl Feldkamp