Anlässlich der Verabschiedung des Rüstungsexportberichts 2010 durch die Bundesregierung erklären die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in einer ersten Stellungnahme:
Das angesehene internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm (SIPRI) hatte bereits im Juni Deutschland wieder auf Platz drei in der Weltrangliste der Rüstungsexporteure platziert. Seit 2005 hält Deutschland laut SIPRI den zweifelhaften (west-)europäischen Spitzenplatz beim Rüstungsexport. Im Jahrfünft von 2006 bis 2010 verdoppelte Deutschland seinen Kriegswaffenausfuhrwert gegenüber dem Jahrfünft davor. Es führte in den letzten fünf Jahren beinahe so viele Rüstungsgüter aus wie Frankreich und Großbritannien zusammen.
In diesem Jahr ist die Kanzlerin als Handelsreisende in Sachen Rüstungsexport besonders engagiert gewesen. Indien wurden Eurofighter und Angola schlagkräftige Patrouillenboote angeboten. Algerien soll Fregatten, Israel U- Boote erhalten. Indonesien meldete den Kauf von 100 Kampfpanzern des Typs Leopard 2 A6. Der deutschen Rüstungsindustrie reicht das nicht. Sie wünscht sich eine noch stärkere Unterstützung der Bundesregierung bei der Vermarktung ihrer tödlichen Produkte.
Auch für 2011 ist mit einem hohen Wert an Exportgenehmigungen zu rechnen. Noch im Dezember droht durch den geheim tagenden Bundessicherheitsrat die endgültige Entscheidung für den Export von bis zu 270 Kampfpanzern Leopard 2 A7+ nach Saudi-Arabien im Wert von etwa 3 Mrd. Euro. Diese speziell für den Kampf in Städten und Ortschaften entwickelten Panzer eignen sich sowohl für den Einsatz im Inneren gegen Aufständische im repressiven Saudi-Arabien als auch in undemokratischen Nachbarländern. Saudi-Arabien hat seine Truppen zur Niederschlagung der Demonstrationen im benachbarten Bahrein noch immer nicht abgezogen. Wir fordern die Regierung auf, diesem Deal mit dem reaktionären saudischen Königshaus die Zustimmung zu verweigern!
Wir verurteilen den weiterhin hohen Genehmigungswert für den Export von „Kleinwaffen“ und ihrer Munition in „Drittländer“ (außerhalb von NATO und EU). Der Wert von 16,3 Millionen Euro im Jahr 2010 ist der dritthöchste überhaupt und liegt um 2 Millionen Euro über dem des Vorjahrs. In den Jahren 2006 bis 2010 wurden um 128 Prozent mehr Genehmigungen dieser Art erteilt als im Jahrfünft davor (2001 bis 2005). Fast 30 Prozent des Werts der Ausfuhrgenehmigungen gingen 2010 wiederum an das repressive Saudi-Arabien (3.008 Gewehre, 56.330 Bestandteile dafür sowie 30.002 Bestandteile für Maschinenpistolen). Zudem wurden dem Land am Golf 20 Millionen Bestandteile für Gewehrmunition genehmigt. Unter den Empfängern deutscher „Kleinwaffen“ befinden sich außerdem weitere Länder, die diese Waffen zur Repression nach Innen einsetzen könnten: Bahrain, das Sultanat Brunei (seit 1962 Ausnahmezustand), Indien, Indonesien und Mexiko. Die Klausel in den eigenen „Rüstungsexport-Richtlinien“ aus dem Jahr 2000, wonach erst ein „hinreichender Verdacht“ dafür vorliegen müsse, dass diese Waffen für die interne Repression eingesetzt werden sollen, um die Ausfuhr zu verweigern, ist zu lasch – und verdient nicht das von der Regierung selbst vergebene Prädikat „restriktive Handhabe“. Die Erfahrung zeigt, dass gelieferte Waffen auch erst nach Jahren zum repressiven Einsatz kommen. Das muss nicht einmal im belieferten Land selbst sein, sondern kann in anderen Ländern passieren; denn der Endverbleib dieser Waffen liegt außerhalb der Kontrolle deutscher Organe. Doch selbst wenn sich die Bundesregierung an den Geist der eigenen Rüstungsexportrichtlinien und an den „Code of Conduct“ der Europäischen Union halten würde, dürfte sie Lieferungen nach Saudi-Arabien, in die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch z.B. in das NATO-Land Türkei (gewaltsame Unterdrückung der Kurden) niemals zustimmen.
Wir wissen uns mit der Ablehnung des Rüstungsexports einig mit der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes und fordern einen generellen Stopp der Waffenexporte.
Wir wollen darüber hinaus, dass die Produktion dieser tödlichen Fracht eingestellt wird. Dies muss nicht auf Kosten der Arbeitsplätze in den Rüstungsunternehmen führen. Die betroffenen Unternehmen müssen nur dafür sorgen, dass sie ihre Kriegsproduktion auf Friedensproduktion umstellen. Zur Unterstützung dieser Umstellung („Konversion“) fordern wir Konversionsfonds auf Bundes- und gegebenenfalls Länderebene, aus denen betriebliche Projekte gefördert werden, die zivile Produktinnovationen zu Lasten von Rüstungsgütern und die dafür notwendigen Investitionen fördern.
Die Bundesregierung handelt immer ungenierter nach dem Prinzip: „Kriege schaffen - mit mehr Waffen“. Friedenspolitik sieht anders aus: Sie beschränkt den Waffenexport bis zu dessen vollständigem Stopp und fährt die Rüstungsproduktion herunter.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag: Peter Strutynski (Kassel) Lühr Henken (Berlin)