Whistleblower-Netzwerk hält es dabei vor allem für den falschen Weg, die Einschaltung zuständiger Behörden an Voraussetzungen zu knüpfen, deren Vorliegen durch Mitarbeiter selbst mit anwaltlicher Beratung kaum sicher abgeschätzt werden könnten. Wie soll jemand denn belegen, dass – so eine der von den Grünen aufgestellten Bedingungen – sein Arbeitgeber Straftaten von Kollegen explizit billigt? Wie soll er wissen, ob er lange genug auf eine Antwort auf interne Hinweise gewartet hat, wenn der Gesetzesentwurf hierzu schweigt? All diese Fragen würden laut Whistleblower-Netzwerk auch nach den Vorstellungen von Bündnis90/Die Grünen weiterhin erst im Nachhinein und auf Einzelfallbasis von Gerichten entschieden werden. Potentielle Whistleblower würden weiterhin abgeschreckt statt zur Meldung ermutigt. Grundrechte wie Petitionsrechts und Meinungsfreiheit, deren Verletzung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zuletzt im Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch feststellte, blieben dabei genauso auf der Strecke wie die Interessen der Allgemeinheit.
„Wir hoffen, dass die Grünen ihr Diskussionsangebot, welches wir sehr begrüßen, auch ernst meinen und sich unsere Kritik zu Herzen nehmen“ sagt Guido Strack, der Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks. Er wird am 30.11.2011 in Berlin an einem Fachgespräch mit der Bundestagsfraktion teilnehmen. Positive Aspekte des Grünen Vorschlags sieht er in den vorgesehenen Beweiserleichterungen beim Diskriminierungsnachweis, in der Erstreckung auf Beamte und in der Einbeziehung drohender Rechtsverletzungen. Andererseits seien aber neben der Kernfrage der Vorhersehbarkeit auch Nachbesserungen in einigen Formulierungen, die Ausdehnung des Schutzes auf atypische Beschäftigungsverhältnisse, ein Schutz auch bei Insolvenz des Arbeitgebers und vor allem auch eine Lösung für Altfälle und eine positive Förderung und Unterstützung von Whistleblowing notwendig. “Wir empfehlen den Grünen dringend sich die internationale ‘best practice’, die Vorschläge zum effektiven Whistleblowerschutz von Transparency International und auch den Gesetzesentwurf unseres Netzwerks nochmal genau anzuschauen und die darin enthaltenen Anregungen aufzugreifen.”
Anfang November 2011 hat die Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen unter http://gruener-gesetzentwurf.de/ einen Entwurf für ein Gesetz zum Whistleblowerschutz zur öffentlichen Diskussion gestellt. Am 30. November wird dieser Entwurf auch Gegenstand eines öffentlichen Fachgesprächs sein. Whistleblower-Netzwerk e.V., ein gemeinnütziger Verein, der sich seit mehr als fünf Jahren für einen anderen Umgang mit Whistleblowing und für effektiven Whistleblowerschutz in Deutschland einsetzt, nimmt mit dieser Stellungnahme aktiv an diesem Diskussionsprozess, dessen Durchführung wir als neues Element demokratischer Kultur begrüßen, teil.
Angesichts einiger inhaltlicher Defizite des Entwurfs der Grünen hoffen wir, dass die Fraktion auch tatsächlich bereit sein wird, die notwendigen Änderungen ihres Entwurfs vorzunehmen, bevor dieser offiziell in den Bundestag eingebracht wird.
Wir teilen die Analyse der Grünen: Informationen über Risiken und Missstände von öffentlicher Relevanz dürfen nicht ungenutzt in Dunkelräumen in Behörden oder Unternehmen versickern. Menschen die Missstände im Unternehmen, gegenüber zuständigen Behörden oder wenn sie dort kein Gehör finden, auch gegenüber der Öffentlichkeit ansprechen, dürfen dafür nicht länger Kündigungen oder anderen Repressalien ausgesetzt werden. Whistleblower-Schicksale wie jene, die die Grünen in ihrer Gesetzesbegründung ansprechen und wie wir sie in unserer Ausstellung „Whistleblowing – Licht ins Dunkel bringen!“ aus unterschiedlichsten Branchen dokumentiert haben, dürfen sich so nicht wiederholen. Das Heinisch-Urteil des EGMR aus dem Sommer 2011 hat erneut gezeigt: Die Rechtslage in Deutschland schützt Whistleblower, bzw. Hinweisgeber, derzeit völlig unzureichend. Deutschland liegt im internationalen Vergleich zurück und sollte auch im Sinne der Forderungen von internationalen NGOs, UN, Europarat, EU und G20 endlich einen effektiven gesetzlichen Whistleblowerschutz schaffen.
Menschen, die Missstände bemerken sind in Deutschland derzeit nicht schutzlos. Sie schützen sich meist selbst, in dem sie wegschauen und schweigen, indem sie erst gar nicht zu Whistleblower werden. Wer deren Informationen für das Gemeinwohl nutzen will, muss sie zum Reden bringen: Whistleblowing muss die bessere Alternative zum Schweigen werden.
Aus dieser Analyse leitet Whistleblower-Netzwerk e.V. die Forderung ab, dass eine gesetzliche Regelung des Whistleblowing den Weg dafür bereiten muss, dass für Menschen, die Hinweise auf Missstände bemerken in Deutschland zukünftig ein unabhängiger Ansprechpartner zur Verfügung steht, dem sie ihre Beobachtungen mitteilen können, dass diesen in angemessenem Umfang nachgegangen wird und dass, wo nötig, rechtzeitig Maßnahmen zur Missstandsbeseitigung eingeleitet und Täter sanktioniert werden. Die potentiellen Hinweisgeber müssen ihre Möglichkeiten und Rechte kennen, sie müssen die Gewissheit haben, dass gutgläubige Hinweise erwünscht sind und sie dadurch keinerlei Nachteile erleiden. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird es gelingen den großen Nutzen des Frühwarnsystems Whistleblowing für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zu realisieren.
Den soeben dargestellten Notwendigkeiten trägt der Entwurf der Grünen leider nicht hinreichend Rechnung. Die Grünen beschränken sich auf Regelungen, die dem Schutz von Whistleblowern dienen sollen, ohne jedoch notwenige Begleitregelungen zum Umgang mit Hinweisen, zur ihrer unabhängigen Untersuchung und zur Steigerung der kulturellen Akzeptanz von Whistleblowing zu treffen. Schon hier offenbart sich eine deutliche Schwäche ihres Ansatzes, sich auf wenige Änderungen bestehender Gesetze im Arbeits- und Beamtenrecht beschränken zu wollen, statt mit einem eigenständigen „Gesetzentwurf zum Schutz öffentlicher Interessen durch Whistleblowing“, wie Whistleblower-Netzwerk e.V. diesen vorgelegt hat , eine umfassende Regelung anzustreben. Der Ansatz der Grünen übersieht auch, dass Whistleblowing eben nicht nur bei klassischen Arbeitnehmern und Beamten vorkommt, sondern auch in Dreiecks- und Leiharbeitsverhältnissen, im ehrenamtlichen Bereich, bei freien Mitarbeitern und in anderen untypischen Beschäftigungsbeziehungen. All jene Bereiche werden vom Entwurf der Grünen erst gar nicht erfasst.
Außerdem führt der arbeitsrechtliche Ansatz maximal dazu, dem geschädigten Whistleblower einen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber zuzuerkennen. Dies hilft Beschäftigten in kleineren Betrieben die erhebliche Missstände, z.B. in der Lebensmittelbranche, aufdecken aber gar nicht, denn sobald der Missstand bekannt wird, werden kleinere Unternehmen regelmäßig insolvent. Hier zeigt sich: Whistleblower die im öffentlichen Interesse tätig werden, brauchen auch eine öffentlich-rechtliche Absicherung wie Whistleblower-Netzwerk diese in seinem Gesetzesentwurf durch die Einrichtung eines Whistleblowing-Beauftragten, eines Hilfsfonds – der dann auch Altfälle berücksichtigen könnte – und durch entsprechende Anwendung sozialgesetzlicher Entschädigungsnormen vorgeschlagen hat. Nur dann werden alle Whistleblower reden können ohne ihre wirtschaftliche Existenz aufs Spiel setzen zu müssen.
Ein weiteres fundamentales Problem des Gesetzesentwurfs der Grünen ist, dass dieser sich zu eng an den Vorschlag der großen Koalition aus dem Jahre 2008 und die bisherige arbeitsgerichtliche Rechtsprechung anlehnt und es versäumt, die Konsequenzen aus dem Heinisch-Urteil des EGMR wirklich zu ziehen. Whistleblower-Netzwerk sieht sich daher gezwungen, die Grünen auf seine damalige Stellungnahme zum Vorschlag der großen Koalition und insbesondere den umfangreichen Beitrag unseres Vorsitzenden in der Bundestagsanhörung 2008 hinzuweisen. Die dort geübte Kritik trifft leider in weiten Teilen auch den aktuellen Vorschlag. Ein entscheidender Punkt ist dabei die Formulierung „ist ein Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung“. Diese genügt nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts, wonach ein Hinweis stets zulässig sein soll, es sei denn er erfolgt bösgläubig oder leichtfertig. Wie existierende LAG-Rechtsprechung zur gleichlautenden Formulierung in § 17 Abs. 2 ArbSchG zeigt, stünde es den Gerichten auch mit einer solchen Formulierung nach wie vor frei, vom Hinweisgeber die Vorlage konkreter Tatsachenbeweise zur Stützung seiner Behauptungen zu fordern und diese selbst wenn sie vorgelegt werden können, im Nachhinein als unzureichend abzuqualifizieren. Damit ist für den Whistleblower nicht vorhersehbar wie das Gericht entscheiden wird. Schweigen ist sicherer. Die notwendige Änderung kann hier nur erreicht werden, wenn die Gutgläubigkeit des Whistleblowers vermutet wird und es demnach dem Arbeitgeber obliegt im Prozess nachzuweisen, dass ein Hinweis leichtfertig oder bösgläubig erfolgte. Gleiches, also der Nachweis des Nichtvorliegens der Voraussetzungen sollte auch für alle weiteren in § 612b Abs. 2 Nr. 1 bis 5 des Entwurfs geregelten Anforderungen gelten.
Die einfachere und bessere Lösung insoweit wäre es allerdings, dem Whistleblower von Anfang an ein Wahlrecht hinsichtlich der Einschaltung zuständiger außerbetrieblicher Stellen einzuräumen. Dies auch um so Homogenität mit der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Petitionsrechts aus Art. 17 GG zu erreichen.
Was die Vorschläge zu § 612b Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB angeht, so erstaunt, dass die Grünen sogar noch hinter den Vorschlag der großen Koalition aus dem Jahre 2008 zurückfallen. Dieser sah vor, dass bei Verdacht auf Straftaten immer eine Einschaltung der zuständigen Behörden möglich sein soll. Die nunmehrige Einschränkung auf Vorsatztaten des Arbeitgebers oder dessen explizite Billigung ist demgegenüber unsinnig, da der Whistleblower hierzu in der Regel keinen gerichtsfesten Nachweis wird führen können. Wenn im Alltag davon auszugehen ist, dass Anweisungen von Vorgesetzten mit Billigung des Arbeitgebers erfolgen, müsste dies dann nicht auch hier gelten und entsprechend formuliert werden?
Immerhin gehen die Grünen in einigen Punkten auch über den Vorschlag der großen Koalition aus dem Jahre 2008 hinaus. Zu begrüßen ist die Ausweitung auf rechtliche Pflichten statt gesetzlicher Pflichten, auf drohende statt nur eingetretene Pflichtverletzungen und auch die Ergänzung des Rechtsgüterkatalogs in § 612b Abs. 2 Nr. 1. Dort und vor allem bei den §§ 67a BBG und 37a BStatusG sollte aber nach Meinung des Whistleblower-Netzwerks auch eine Gefährdung finanziellen Interessen der öffentlichen Hände explizit aufgenommen werden.
Besonders begrüßenswert am Vorschlag der Grünen ist die vorgeschlagene Beweiserleichterung für Whistleblower in § 612a Abs. 2 BGB . Es ist jedoch zu beachten, dass jene erst hinsichtlich der Geltendmachung von Diskriminierungsschäden greifen kann und unbedingt durch die oben angesprochene Beweiserleichterung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für rechtlich zulässiges Whistleblowing (Stichwort: vermutete Gutgläubigkeit) ergänzt werden sollte. Außerdem fragt es sich, ob jene Norm nicht in ihrer Formulierung stärker an § 22 AGG orientiert werden könnte. Überhaupt wäre eine explizite Einbeziehung von Whistleblowing in das AGG eine Regelung die auch in einem Artikelgesetz, durch eine entsprechende Ergänzung von § 1 AGG leicht vorgenommen werden könnte und eine erhebliche Verbesserung der Rechtslage in allen Whistleblowing-Konstellationen bewirken könnte. Zugleich könnten damit auch die Vorsorgeaspekte und die kollektivrechtliche Komponente anders als beim bisherigen Vorschlag der Grünen Berücksichtigung finden. Zu überlegen wäre in diesem Rahmen dann auch, ob der innovative Gedanke des vorgeschlagenen § 612b Abs. 4 BGB dann nicht ebenfalls als allgemeiner Grundsatz in das AGG aufgenommen werden könnte.
Was den Schutz des Whistleblowers vor der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses angeht, so versäumen es die Grünen außerdem das Schlupfloch des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu schließen, dessen Anwendung auf Whistleblower durch eine gesetzliche Regelung explizit ausgeschlossen werden sollte.
Begrüßenswert ist grundsätzlich auch die aus Art. 5 GG , Art. 10 EMRK und dem Heinisch-Urteil des EGMR folgende Klarstellung der Grünen in § 612b Abs. 3 BGB , dass Beschäftigte sich an die Öffentlichkeit wenden können, wenn das öffentliche Interesse am Bekanntwerden der Information das betriebliche Interesse an deren Geheimhaltung überwiegt. Warum die Grünen hier von „direkt an die Öffentlichkeit“ sprechen und ein „erhebliches“ Überwiegen fordern bleibt allerdings unklar. Außerdem fehlt in den beamtenrechtlichen Vorschlägen eine Entsprechung zu § 612b Abs. 3 Satz 1 BGB.
Was die weiteren Vorschläge der Grünen zum Beamtenrecht angeht, so bleibt unklar, warum sich dort keine Parallelnormen zu § 612b Abs. 2 Nr. 4 und 5 finden und warum Beamten die Beweiserleichterung aus § 612a Abs. 2 BGB nicht ebenfalls durch eine entsprechende Regelung zu gute kommen sollte. Jene Schutznorm sollte darüber hinaus dann auch auf beamtenrechtliche Remonstrationen ausgedehnt werden, denn auch diese bedeuten in der Praxis häufig das Ende der Karriere.
Abschließend sei noch auf eine weitere Unklarheit im Gesetzesentwurf der Grünen eingegangen. Die Frage, ob eine Berufung auf jene Normen ein offenes Auftreten des Whistleblowers voraussetzt oder ob er auch anonym oder unter Einschaltung einer Vertrauensperson vorgehen können soll. Gerade hier besteht Klärungsbedarf, da das Bundesarbeitsgericht die Berufung auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit auch in jenen Fällen ausgeschlossen hat, in denen der Whistleblower hinterher bekannt wird, während gleichzeitig viele Unternehmen und auch einige Behörden gerade jene Wege des nicht offenen Whistleblowings propagieren.