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Mit Argwohn wird die Aufrüstung Chinas betrachtet, das erhebliche rüstungstechnologische Fortschritte in den letzten Jahren verzeichnen konnte. So zum Beispiel den erfolgreichen Abschuss eines Satelliten, die baldige Inbetriebnahme des ersten chinesischen Flugzeugträgers und die, zum Erstaunen der USA und vieler Beobachter, frühzeitige Fertigstellung eines Tarnkappenflugzeuges Anfang diesen Jahres (1). Viele empfinden es als beängstigend, dass China so rasant aufsteigt und schon jetzt hinter den USA zweitgrößte Wirtschaftsmacht ist. Dabei ist Chinas Aufstieg noch lange nicht zu Ende. Prognosen gehen davon aus, dass Chinas Wirtschaft in den nächsten Jahren stetig wachsen und dass es im Jahr 2050 die USA als wirtschaftliche und politische Macht ablösen wird (2).
Doch muss es deswegen zwangsläufig zu einer Konfrontation kommen? Seit Deng Xiaopings Reform- und Öffnungspolitik Ende der 1970er Jahre ist China in allen Belangen rasant gewachsen und wurde zu einer Wirtschaftsmacht. Einhergehend mit Chinas Wirtschaftswachstum investiert es auch immer größere Summen in sein Militär. Dies ist allerdings kein zwingender Grund, beunruhigt zu sein. Auch der Aufstieg der USA zu einer Handelsmacht im 19. und 20. Jahrhundert ging einher mit einer Aufrüstung, die darauf ausgerichtet war, vitale Seehandelsrouten zu schützen. Dies ist auch einer der Gründe, warum China insbesondere seine Marine stetig aufrüstet. Denn rund zwei Drittel des weltweiten Erdölhandels wird über Seehandelswege abgewickelt, die es zu sichern gilt, damit China das so dringend benötigte Öl für sein Wachstum auch weiterhin problemlos erhält (3).
Einzig logische Konsequenz Krieg?
Stellt man China und die USA gegenüber, so ist ein Interessenkonflikt mehr als offensichtlich. Es handelt sich um den zukünftigen neuen Hegemon China und den an Macht verlierenden alten Hegemon USA. Die USA als größte und China nunmehr als zweitgrößte Volkswirtschaft haben einen unstillbaren Ressourcenhunger, der zwangsläufig zu Interessenkonflikten führen muss. Chinas Energieverbrauch, mit seinen 1.3 Milliarden Einwohnern und einem jährlichen Wirtschaftwachstum von rund 10%, wird in den nächsten Jahren weiter stark ansteigen. Im Anbetracht eines wohlmöglich schon bald überschrittenen Oil-Peaks bedeutet dies zwangsläufig einen verstärkten Wettbewerb um die Sicherung der Energieversorgung. Hinzu kommt auch, dass andere Rohstoffe wie seltene Erden und Metalle immer gefragter und wichtiger werden für die Hightech-Industrien des 21. Jahrhunderts. Schon alleine aus diesen Überlegungen heraus scheint eine kriegerische Konfrontation für viele wahrscheinlich.
Untermauert wird dies auch durch Gilpins Theorie der Hegemonialkriege. Dieser Theorie nach wird der aufstrebende Hegemon die internationale Führungsrolle des alten Hegemonen anfechten, genauso wie dieser versuchen wird, seine Position zu verteidigen. In der Theorie führt dies zum Krieg, wofür es jedoch nur wenig empirische Belege gibt. So gab es Gilpin zufolge in der moderneren Geschichte nur zwei Hegemonien. Zum einen die britische von 1815 bis 1939, welche mit dem Zweiten Weltkrieg endete, sowie die Hegemonie der USA nach 1945 bis dato (4). China könnte also die Nation werden, welche die amerikanische Hegemonie anfechten und beenden könnte.
Doch abgesehen von einem theoretischen Hegemonialkrieg und dem Wettbewerb um Rohstoffe, bestehen auch andere Reibungspunkte, die zu einem Konflikt führen könnten. Neben der Rolle Chinas im Koreakonflikt und den traditionellen Spannungen mit Japan ist insbesondere das angespannte Verhältnis zu Taiwan ein ständiger Unruheherd. Als Beispiel sei hier der Waffenhandel zwischen den USA und Taiwan im Jahr 2010 genannt. Die chinesische Regierung empfand den Waffendeal mit einem Umfang von 4,6 Milliarden Dollar als äußerst provokant und setzte daraufhin ihren militärischen Austausch mit den USA aus (5). In einer Vorlesung an der University of Sydney behauptete der renommierte Politologe John J. Mearsheimer sogar, dass er einen "aufkommenden Sturm" sieht zwischen China und den USA, der ein beträchtliches Kriegsrisiko berge (6). Doch wie realistisch wäre ein Krieg zwischen den zwei größten Wirtschaftsnationen, die zudem auch noch im Besitz von Nuklearwaffen sind?
Die Unwahrscheinlichkeit eines Krieges
Das Gleichgewicht des Schreckens alleine scheint demnach einen Krieg als kaum möglich erscheinen zu lassen. Auch wenn China gegenüber den USA, die rund 9.400 Atomsprengköpfe besitzen, "nur" 240 besitzt (7), würde ein nuklearer Krieg das Ende unserer Zivilisation bedeuten, wie wir sie kennen. Schon ein eingeschränkter konventioneller Krieg würde desaströse Folgen für den gesamten Globus haben. Im Gegensatz zum Kalten Krieg wäre dieses Szenario sehr unwahrscheinlich, da nur wirtschaftliche Interessen aufeinandertreffen würden und nicht ideologische.
Sollte es zu einem Krieg zwischen den beiden kommen, würde dieser, neben dem menschlichen Leid, die gesamte Weltwirtschaft in einem Abgrund reißen. Chinas rasantes Wachstum treibt die Konjunktur in nahezu jedem Industrieland an, und wenn Amerikas Wirtschaft kränkelt, siehe die Finanzkrise 2008, hat dies schwerwiegende Folgen für die Weltwirtschaft. Die Konsequenz eines Krieges wäre also eine noch nie da gewesene Finanzkrise.
Des weiteren scheint ein Krieg auch nicht vorstellbar, da beide Staaten mit erheblichen innenpolitischen Problemen zu kämpfen haben. Die USA haben sich gerade halbwegs von der Wirtschaftkrise 2008 erholt und steuern gleichzeitig auf die nächste, wohlmöglich noch größere Katastrophe zu. So konnte eine US-Staatspleite noch im letzten Moment abgewendet werden. Die gravierenden strukturellen Probleme der US-Wirtschaft bleiben aber. Kalifornien, der Motor der US-Wirtschaft, steht kurz vor dem Bankrott, und in einigen Staaten müssen sogar Schulferien verlängert und Gefängnisinsassen früher entlassen werden, weil das Geld fehlt (8). China ist wohl mit noch größeren Problemen konfrontiert. Obwohl es schon jetzt hinter den USA zweitgrößte Wirtschaftsmacht ist, hat der Aufschwung der letzten Jahrzehnte weite Teile der Bevölkerung nicht erreicht. Alle 1,3 Milliarden Menschen in China zufrieden zustellen, ist so gut wie unmöglich. Die Unruhen in der Provinz Xingjiang, in der die Minderheit der Uiguren lebt, haben gezeigt, wie fragil doch teilweise das Reich der Mitte ist. Hinzu kommt, dass der Aufschwung Chinas ohne Rücksicht auf Menschen und Umwelt stattfindet. Dies könnte sich eines Tages destabilisierend auf die politische Lage in Chinas auswirken.
Es gibt viele Zukünfte
Nach machtpolitischen Maßstäben des 20. Jahrhunderts scheint ein größerer Konflikt zwischen China und den USA nur eine Frage der Zeit zu sein. Demnach würden die zwei mächtigsten Staaten mit ihrer unstillbaren Gier nach Rohstoffen um die wirtschaftliche und politische Vorherrschaft im internationalen System kämpfen. Doch aufgrund der stetig voranschreitenden Globalisierung , definiert als die sozialen, politischen wie wirtschaftlichen Folgen der fallenden globalen Transaktionskosten, (9) müssen wir diese veralteten Maßstäbe über Bord werfen. Die Globalisierung hat unsere Welt extrem komplex gemacht. So gut wie alle Staaten dieser Welt sind miteinander verbunden und voneinander abhängig. Dies kann zu steigender friedlicher Zusammenarbeit und weniger militärischen Einsätzen führen, wie es beispielsweise auch beschrieben wird in Nyes und Keohanes Interdependenztheoretischem Ansatz (Complex Interdependence).
Hinzu kommt das immer größer werdende Vernichtungspotential konventioneller Waffen, ganz zu schweigen von ABC-Waffen, die eine große Hemmschwelle darstellen und einen Krieg zwischen zwei auch nur ansatzweise militärisch symmetrischen Nationen undenkbar machen. Gewiss sind Konflikte zwischen den USA und China zu erwarten. Diese müssen aber nicht zwangsläufig in einen heißen Krieg münden. Denkbar wäre ein Konfliktszenario, in dem es zu Stellvertreterkriegen auf dem Rücken der armen, aber rohstoffreichen Staaten kommen könnte. In diesen Konflikten wäre das freundliche Regime zu installieren und an der Macht zu halten, um Handelsrouten, Absatzmärkte oder den Zugriff auf Rohstoffe zu sichern. Aber auch dieses Szenario scheint eher unwahrscheinlich, bedenkt man die Vorteile, die sich aus einer Kooperation der beiden mächtigsten Staaten ergeben würden, wirtschaftlich sowie politisch.
Ein Krieg würde niemandem nutzen. Das Herbei-Prophezeien eines Krieges nützt jedoch einigen Wenigen. Gerne greifen die Medien die Möglichkeit eines Krieges und die Aufrüstung Chinas auf, um Schlagzeilen zu machen, denn Kriege und Konflikte besitzen leider immer einen größeren Nachrichtenwert als Frieden. Des weiteren wird es von den Militärs sowie dem Militärisch-Industriellen Komplex genutzt. Diese bekommen durch die Kreation eines großen zukünftigen Konflikts eine Legitimation, weiterhin zu existieren und ihre Strukturen beizubehalten. Als gutes Beispiel dient das Ende des Kalten Krieges. Als im Jahr 2000 ein militärische Routineprüfung zu dem Schluss kam, Aufklärungsflüge vor der Ostküste der ehemaligen Sowjetunion seien überflüssig geworden, wurde automatisch China als neues Feindbild erkannt und die dortigen US-Aufklärungsflüge nun jeden Tag anstatt alle 14 Wochen durchgeführt (10). Plötzlich rückte China in den Fokus der Militärs, um so ihre eigene Existenz zu legitimieren.
Nichts deutet auf einen Krieg hin. Nichts auf eine Aggression Chinas. Im Gegensatz zu den NATO-Staaten hat China, abgesehen von UN-Einsätzen, keine Truppen im Ausland stationiert. Warum also diese Angst vor dem neuen Riesen China? Man muss nüchtern abwägen, wo die Realität aufhört und wo Panikmache aus Eigeninteressen anfängt.
Zum Autor: Philipp Ingenleuf ist Mitarbeiter des Netzwerks Friedenskooperative. Er hat seinen Bachelor of Arts am University College Maastricht, sowie seinen Master of Science an der London School of Economics in "Theory and History of International Relations" absolviert.
Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin "FriedensForum" Heft 3/2011. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
www.friedenskooperative.de/ff/ff11/3–51.htm
Bild: Peter Derrfuss
Quellenangaben
- www.n24.de/news/newsitem_6583146.html
- Christopher Coker, War in an age of risk, Polity Press, Cambridge (2009), S. 143
- Erich Follath/ Alexander Jung(Hg.), Kampf um die Rohstoffe, Wilhelm Goldmann Verlag, München (2008), S. 47
- Greg Cashman, What causes war? An introduction to Theories of International Conflict, Lexington Books, 1999
- www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,675052,00.html
- Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2010, John J. Mearsheimer, "China vs. USA: Der aufziehende Sturm", S. 87-100
- www.bbc.co.uk/news/world-asia-pacific–10995111
- Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/2011, Michael Krätke, "Vereinigte Pleitestaaten von Amerika", S. 99-110
- Rassmussen, Mikkel Vedby, The Risk society at War: Terror, Technology and Strategy in the Twenty-First Century (Cambridge University Press, 2006, S. 99
- Blätter für deutsche und internationale Politik, 1/2011, Seymour M. Hersh, "Cyberwar: Die neue Front", S. 45-56