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Seit Jahren wird das internationale Sortenschutzrecht (Geistiges Eigentum auf Pflanzensorten) stetig weiterentwickelt und verschärft. Das hat große Auswirkungen auf Landwirtschaft, Ernährungssicherheit und Artenvielfalt weltweit. Denn hier geht es darum, wie Pflanzensorten und Saatgut, die Landwirte von Züchtern erworben haben, weiterverwendet werden dürfen und welche Patent und Lizenzgebühren dabei anfallen. Dabei müssen die Interessen der Züchter mit den Belangen der Bauern und Konsumenten in Einklang gebracht werden. Im Internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) sind jedoch Repräsentanten von Kleinbauern und der Zivilgesellschaft nicht vertreten. Das muss sich unverzüglich ändern, fordern die deutsche Nichtregierungsorganisation „Forum Umwelt und Entwicklung“ und ihr Partner, die Schweizer Organisation „Erklärung von Bern“, im Vorfeld der nächsten Tagung des Beratenden Ausschusses von UPOV am 21. Oktober in Genf.
In einem dringenden Appell wird das deutsche Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) aufgefordert, das Anrecht der Kleinbauern und der Zivilgesellschaft auf Teilnahme bei den internationalen Verhandlungen um Sortenschutzrechte zu unterstützen.
Zur Ausgangslage
Bereits im vergangenen Herbst hatten die beiden Organisationen APREBES (Association of Plant Breeding for the Benefit of Society, ein Netzwerk internationaler Nichtregierungsorganisationen) und ECVC (European Coordination Via Campesina, eine internationale Kleinbauernorganisation) beantragt, bei UPOV Beobachterstatus zu erhalten – genauso, wie ihn Vertreter der Saatgutindustrie und Patentanwälte schon seit langem haben. Dieser Antrag wurde jedoch abgelehnt, offiziell mit der Begründung, dass diese beiden Organisationen nicht über hinreichende Fachkenntnisse verfügen. Tatsächlich aber steht die Kompetenz von APBREBES und Via Campesina außer Zweifel. So ist ECVC Mitglied von Via Campesina, der größten internationalen Bewegung von Bauern, kleinen und mittelgroßen Produzenten, Landlosen, Landfrauen, Indigenen, Landjugendlichen und Landarbeitern. ECVC verfügt damit gerade in Sachen Saatgut über ein enormes praktisches Wissen. Schließlich vertritt sie jene Leute, die Saatgut aussäen und Pflanzen kultivieren. Auch die bei APBREBES zusammengeschlossenen Organisationen sind mit Fragen der Pflanzenzucht und den UPOV-Bestimmungen bestens vertraut.
Vorsintflutliches Demokratieverständnis
Zitate, die vom UPOV-Sekretariat vorgelesen wurden, um die Ablehnung des Beobachterstatus noch zu untermauern, weisen denn auch darauf hin, dass es sich um eine politisch motivierte Entscheidung gehandelt hat. Den Organisationen wurde vorgeworfen, sich in der Vergangenheit kritisch zu UPOV und den dort ausgehandelten Sortenschutzrechten geäußert zu haben. „Das ist ein absolut vorsintflutliches Demokratieverständnis“, sagt dazu Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung mit Sitz in Berlin und Bonn. „Wir sind der Meinung, dass diese Entscheidung inakzeptabel und einer internationalen Organisation unwürdig ist.“ Zudem zementiert sie ein bestehendes Ungleichgewicht zu Gunsten der Züchter und großen Saatgutkonzerne, die bei UPOV als Akteure und Beobachter mit von der Partie sind. Beim deutschen Forum Umwelt und Entwicklung und der Schweizer Erklärung von Bern ist man sich daher einig: „An internationalen Verhandlungen müssen sich alle Akteure als Beobachter beteiligen können, nicht nur diejenigen, die auf Kritik verzichten.“
Zum Hintergrund
Das internationale Sortenschutzsystem soll – als eine Form des geistigen Eigentums – die Züchter und ihre Fortschritte bei der Pflanzenund Saatgutentwicklung unterstützen. Es ist als Anreiz für Pflanzenzüchtung und Entwicklung neuer, verbesserter Pflanzensorten gedacht, der allen – Landwirten, Züchtern und Verbrauchern – zugute kommen soll. Dazu wurde 1961 in Paris das Internationale Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) beschlossen. Die zwischenstaatliche Organisation hat ihren Sitz in Genf. Allerdings ist in den vergangenen 30 Jahren Pflanzenzüchtung immer mehr zu einer Sache von einigen wenigen Wirtschaftsunternehmen geworden. Der Saatgut-Markt wurde – zumal mit dem aufkommenden Patentschutz – für große Konzerne wie zum Beispiel das USUnternehmen Monsanto immer attraktiver, die Züchtung neuer Sorten durch High-Tech-Methoden ständig teurer. Mehrfach, 1972, 1978 und 1991, wurde das UPOV-Übereinkommen überarbeitet und verschärft.
Folgen für die Bauern
Der Schutz der Züchter wurde ausgeweitet – das so genannte Landwirteprivileg eingeschränkt. Dahinter verbirgt sich eine uralte bäuerliche Tradition – nämlich, einen Teil der Ernte vom Vorjahr aufzubewahren und im folgenden Jahr wieder auszusäen. Mit dem UPOV-Übereinkommen von 1991 und dem EU-Sortenschutzrecht von 1994 sollte es damit vorbei sein. Seither verlangen Pflanzenzüchter nicht nur die – berechtigten einmaligen – Lizenzgebühren, wenn sie neues Saatgut an die Bauern verkaufen. Gebühren fallen auch an, wenn der Bauer in den folgenden Jahren einen Teil seiner Ernte wieder als Saatgut einsetzt – die so genannten Nachbaugebühren. Der Nachbau von Obst, Beeren und Gemüse wurde faktisch ganz verboten. Ein Austausch von Saatgut und Vermehrungsmaterial unter Landwirten ist nicht mehr möglich. Bauern und Bäuerinnen, die eigenes Erntegut als Saatgut einsetzen und somit Nachbau betreiben, sollen überdies nicht nur eine Gebühr an die Saatgut-Züchter entrichten, sondern ihnen auch umfangreiche Einblicke in ihre Betriebsdaten gewähren. In Deutschland wehrt sich seit Jahren die „Interessengemeinschaft gegen die Nachbaugesetze und Nachbaugebühren“, IGN, gegen diese Bestimmungen und hat dazu auch vor dem Bundesgerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof geklagt.
Keine Garantie für saubere Pflanzen
Proteste gegen die Aufhebung des Landwirteprivilegs kommen auch aus anderen Ländern. Der Schweizer Obstbauernverband macht deutlich, dass damit die betriebseigene Anzucht von Obstbäumen erschwert oder ganz unmöglich gemacht wird. Stattdessen muss ein Bauer Pflanzen und Bäume von der Baumschule zukaufen – uniforme Produkte von der Stange, die nicht auf die Bedingungen seines Hofes zugeschnitten und häufig auch krankheitsanfällig sind. Speziell im Beerenanbau ist die Herkunft des Pflanzmaterials nicht immer ersichtlich, und es gibt keine Garantie für sauberes Pflanzmaterial. Insgesamt verstärken Geistige Eigentumsrechte auf Nutzpflanzen und Saatgut die Monopole der Hersteller und vernachlässigen nicht selten andere lebenswichtige Aspekte wie Ernährungssicherheit und die Entwicklung und Artenvielfalt.
Folgen für die Entwicklungsländer
Das wirkt sich auch auf die Entwicklungsländer aus. Gemäß dem Abkommen über Geistiges Eigentum (TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO) muss jedes Land einen Sortenschutz vorsehen – durch Patente, ein anderes System oder die Kombination von beiden. Jeder Staat darf sein eigenes System etablieren, allerdings verlangen viele Freihandelsverträge von den Entwicklungsländern, die UPOV-Akte von 1991 zu ratifizieren. Das Problem: Die dortigen Bestimmungen sind nicht immer an die jeweiligen nationalen Bedingungen angepasst und haben negative Folgen für viele Entwicklungsländer.
Das Recht auf Nahrung
Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, hat in seinen Berichten ebenfalls vermehrt darauf hingewiesen, dass Patente und Sortenschutzrechte die Ernährungssicherung und die Biodiversität gefährden können – wenn sie die Bedürfnisse der Bauern nicht berücksichtigen. Er erinnert die Staaten an ihre Pflicht, das Recht auf Nahrung auch im Rahmen ihrer Saatgutgesetzgebung zu respektieren, zu schützen und umzusetzen:
Fazit: Alle Akteure einbeziehen
Vor dem Hintergrund all dieser Probleme und Herausforderungen für den internationalen Sortenschutz ist es umso wichtiger, dass bei den zukünftigen UPOVVerhandlungen ökologische und soziale Belange berücksichtigt, alle Akteure einbezogen und Vertreter von internationalen Kleinbauernund Nichtregierungsorganisationen als Beobachter zugelassen werden. Die Arbeit von UPOV muss dringend demokratisiert und reformiert werden. Deutschland hat sich vor einem Jahr explizit gegen den Beobachterstatus von APBREBES und ECVC gewendet. Es ist zu hoffen, dass Deutschland für die kommende Sitzung des Beratenden Ausschusses von UPOV im Oktober seine Position revidiert.
Die Nichtregierungsorganisationen „Forum Umwelt und Entwicklung“ aus Deutschland und die Schweizer „Erklärung von Bern“ fordern die Politiker nachdrücklich auf, es den Norwegern gleichzutun. Der norwegische Minister für Landwirtschaft und Ernährung, Lars Peder Brekk unterstützt in einem Brief an UPOV den Antrag auf Beobachterstatus der beiden Organisationen. „Wir glauben, dass eine gut ausgewogene Gruppe von Beobachtern, die alle maßgeblichen Interessengruppen repräsentiert, die Arbeit von UPOV stark unterstützt“, heißt es zur Begründung. „Kleinbauern und ihre Organisationen haben ein großes Wissen und viel Erfahrung, wenn es um Artenvielfalt und Nahrung geht. Die Akkreditierung von APBREBES und ECVC wird UPOV helfen, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.“
Kontakt und Interviewanfragen: Rudolf Buntzel Tel. e-mail: rudolf.buntzel@eed.de Michael Frein, EED Tel. e-mail: michael.frein@eed.de Francois Meienberg (ab 27.09.2010), Erklärung von Bern Tel. oder e-mail: food@evb.ch