Der VKI führt gegen den AWD fünf Sammelklagen und eine Reihe von Musterprozessen. In diesen Verfahren liegen noch keine Urteile in der Sache vor. Ab 14.9.2010 wird am HG Wien wöchentlich weiter verhandelt (Prozessprogramm siehe www.verbraucherrecht.at).
Neben den VKI-Klagen sind über 600 weitere Einzelverfahren von AWD-Kunden – in der Mehrzahl mit Deckung von Rechtsschutzversicherungen – gerichtsanhängig. Der AWD bietet in diesen Verfahren – immer wenn eine negative Gerichtsentscheidung zu befürchten ist – einen Vergleich an. Dabei verpflichtet der AWD die Geschädigten zu absolutem Stillschweigen. So soll der Öffentlichkeit der Umfang der Fehlberatungen möglichst verschwiegen werden. Nun erging in einem derartigen Verfahren doch ein Urteil des Handelsgerichtes Wien.
Das Urteil zeigt exemplarisch, wie die Kunden seitens der AWD-Berater im Zusammenhang mit Immobilienaktien systematisch falsch beraten wurden: Die Aktien der Immofinanz und auch von Conwert wurden als „sicher“ dargestellt. Der Portfolio-Theorie von Markowitz zufolge solle man 50 bis 60 Prozent des Vermögens „sicher“ und 20 bis 30 Prozent mit „mittlerem Risiko“ veranlagen. Nur mit 10 bis 20 Prozent solle ein höheres Risiko mit höherem Ertrag eingegangen werden. Demgemäß empfahl der Berater den überwiegenden Teil des Vermögens in Immofinanz, Conwert und Immoeast anzulegen. Der Berater sprach stets von einer Anlage in „Immobilien“ und betonte den Substanzwert der Unternehmen, ohne darauf hinzuweisen, dass sich der Aktienkurs unabhängig davon bildet und den Substanzwert durchaus unterschreiten kann.
Obwohl in den Gesprächsnotizen des AWD die kleingedruckte Klausel zu lesen ist, wonach „nur maximal 10% des insgesamt verfügbaren Kapitals in Immobilienaktien, andere Immobilienprodukte oder Alternative Investments verschiedener Emittenten“ veranlagt werden sollte, empfahl der AWD-Berater hier (wie in vielen anderen Fällen), nahezu alles auf Immobilienaktien zu setzen.
„Das Urteil dokumentiert Schein und Sein beim AWD: In den Gesprächsnotizen wurde – versteckt im Kleingedruckten – ein richtiger Hinweis gegeben. In der Praxis wurde diametral gegenläufig beraten. Die Unterschrift unter das Gesprächsprotokoll wurde – nach Abschluss der Beratung und der Kauforder – als reine Formalität bezeichnet“, sagt Dr. Peter Kolba, Leiter des Bereiches Recht im VKI.
Das Gericht sah im Nicht-Lesen des Gesprächsprotokolls ein Mitverschulden des Anlegers im Ausmaß von einem Drittel. „Hier weicht das Urteil von der anlegerfreundlichen Judikatur des deutschen Bundesgerichtshofes ab, der vom Anleger nicht verlangt, die mündlichen Ratschläge seines Beraters durch Studium der Unterlagen noch zu überprüfen“, kommentiert Dr. Kolba.
„Es ist aber bezeichnend, wenn ein ,Finanzoptimierer‘ und damit Sachverständiger für sich in Anspruch nimmt, dass man jedes Wort seiner Berater durch genaues Lesen des Kleingedruckten überprüfen muss, bevor man einen Vertrag abschließt, und sich ebendieser ,Sachverständige‘ – wenn das nicht der Fall ist – durch Einwand eines Mitverschuldens aus seiner Haftung zu stehlen versucht. Wie soll da eine vertrauensvolle Kundenbeziehung zustande kommen?“ fragt Dr. Kolba.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Sowohl das Urteil als auch das Prozessprogramm des VKI gegen den AWD finden sich auf www.verbraucherrecht.at zum Download.
Rückfragehinweis: Verein für Konsumenteninformation, Dr. Peter Kolba, Tel.: 01/588 77 - 320