Überblick
- "Könnten" - "bis zu" 15 Prozent des Stroms
- Suchen und sprechen
- Verträge für Land
- Stromlieferverträge
- Maximale Sicherheiten
- Belene als warnendes Beispiel
- 400 Milliarden Euro sind kein Pappenstil
- Schon 2,5 Milliarden Euro sind nicht leicht finanzierbar
- Wer soll das bezahlen?
- Kosten laufen aus dem Ruder
- Der Wüstenstrom lässt seit 30 Jahren auf sich warten
- RWE gegen Photovoltaik-Anlagen in Deutschland
- Die Photovoltaik wird publizistisch bekämpft
- Weist RWE wieder einmal den falschen Weg?
"Könnten" - "bis zu" 15 Prozent des Stroms
Darüber hinaus ist es völlig ungewiss, ob im Jahr 2050 zumindest die versprochenen 15 Prozent des Stroms aus der Sahara und von anderen Standorten nach Europa fließen. RWE selbst schreibt in der Anzeige wörtlich: "Im Jahr 2050 könnten es bis zu 15 Prozent sein." Wenn es nur "bis zu" 15 Prozent sein "könnten", dann zeigt das, wie ungewiss alles ist.
Suchen und sprechen
RWE-Manager Frank Dinter verrät zudem, dass man noch gar nicht weiß, wo die Wüstenkraftwerke errichtet werden könnten. Schließlich müssen die Standorte geeignet sein und obendrein müssen die afrikanischen Staaten einverstanden sein: "Wir sind zur Zeit dabei, Standorte in Nordafrika zu suchen und mit den afrikanischen Regierungen zu sprechen", so Dinter.
Verträge für Land
Damit ist das Ende der vielen offenen Fragestellungen und Probleme noch längst nicht erreicht. Dinter weiter: "Wir sprechen mit den Regierungen, wie man für das Land und für Europa langfristige, verlässliche Lieferverträge abschließen kann."
Die Probleme liegen auf der Hand: Für die solarthermischen Großkraftwerke wird unglaublich viel Land benötigt. Und die Eigentümer der Ländereien beziehungsweise die Regierungen der afrikanischen Staaten werden sich das natürlich gut bezahlen lassen wollen. Das wiederum schmälert den potenziellen Profit für RWE und für die anderen potenziell beteiligten Unternehmen. Es besteht also langwieriger Verhandlungsbedarf. Trotz des Medienrummels in der vergangenen Monaten ist noch nicht viel Konkretes passiert.
Stromlieferverträge
Ganz besonders pikant ist die von Dinter angesprochene Frage der Stromlieferverträge. Wenn in der Wüste tatsächlich einmal im großen Stil Strom produziert werden sollte, dann würde das gigantische Investitionen in solarthermische Großkraftwerke erfordern - mit allem drum und dran. Wenn der Strom dann über HGÜ-Gleichstromtrassen nach Europa transportiert werden sollte, dann bedeutete das ebenfalls gigantische Investitionen.
Maximale Sicherheiten
Jeder, der schon einmal ein Haus gebaut oder gekauft hat, weiß, dass die Banken für die Finanzierung maximale Sicherheiten verlangen. Und beim Thema Desertec geht es nicht um ein paar Häuser. Es geht auch nicht "nur" um ein Atomkraftwerk. Es geht vielmehr um eine gigantomanische Mega-Infrastruktur in der Sahara und rund um das Mittelmeer, an der sich auch ein sehr großes Bankenkonsortium leicht verheben kann.
Die Finanzierung müsste also, wie RWE-Mann Dinter schreibt, durch "langfristige, verlässliche Lieferverträge" abgesichert sein: Nur wenn der in der Sahara erzeugte Strom viele Jahrzehnte lang verlässlich zu hohen Preisen in Europa verkauft werden könnte, ist eine Teilfinanzierung über private Banken grundsätzlich vorstellbar. Grundsätzlich.
Belene als warnendes Beispiel
Scheren im Laufe der Zeit einzelne Länder beziehungsweise beteiligte Unternehmen aus dem Desertec-Konsortium aus, dann sind möglicherweise erhebliche Teile des Projektes oder sogar die Desertec-Vision insgesamt zum Scheitern verurteilt.
Die jahrelange Hängepartei bei der geplanten Errichtung eines neuen Atomkraftwerks im bulgarischen Belene dürfte hier gerade auch RWE als warnendes Beispiel dienen. Der Atomkonzern war Ende 2009 selbst dem Projekt ausgestiegen, nachdem zuvor andere das Vorhaben abgesagt hatten. Nach dem Ausstieg von RWE hat Bulgarien die Einstellung der Bauarbeiten am Projekt für zunächst eineinhalb Jahre angekündigt, um Zeit für die Suche nach neuen "Investoren" zu bekommen.
400 Milliarden Euro sind kein Pappenstil
Die weit größere Desertec-Vision wäre vor ganz erheblich größere Schwierigkeiten gestellt. Schließlich soll das Gesamtprojekt 400 Milliarden Euro kosten, heißt es. Diese Zahl wird in vielen Medienberichten für bare Münze genommen, so also könne man ein solches auf Jahrzehnte angelegtes Vorhaben genau beziffern. RWE-Manager Dinter verrät, dass es sich dabei nur um eine erste grobe Schätzung handelt: "400 Milliarden Euro, das sagen erste Schätzungen."
Schon 2,5 Milliarden Euro sind nicht leicht finanzierbar
Selbst wenn man nicht annehmen würde, dass für diese grobe Schätzung tendenziell optimistisch gerechnet wurde, muss man sich vor Augen führen, was 400 Milliarden Euro bedeuten. Für das finnische Atomkraftwerk Olkiluoto wurde ursprünglich ein Kaufpreis von 2,5 Milliarden Euro angesetzt. Und schon für diese 2,5 Milliarden Euro war es nur mit Schwierigkeiten möglich, eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Erst als unter anderem die Bayerische Landesbank zugunsten von Siemens mit einem Billig-Kredit aushalf und Stromlieferverträge mit der finnischen Industrie mit Abnahmegarantieren für den Atomstrom ausgehandelt waren, ließen sich die 2,5 Milliarden Euro stemmen.
Wie also sollen die prognostizierten 400 Milliarden Euro aufgebracht werden, wenn schon 2,5 Milliarden Euro kaum finanziert werden können?
Wer soll das bezahlen?
400 Milliarden Euro sind eine Dimension, bei der jeder Bank- und Energiemanager sofort an Staatssubventionen denkt. Subventionen werden von Konzernen öffentlich zwar gerne kritisiert, allerdings nur dann, wenn sie nicht in die eigene Tasche fließen.
Für eigene Vorhaben hält man unverblümt die Hand auf und erwartet völlig selbstverständlich, das Geld der Steuerzahler für den eigenen Gewinn zu kassieren. RWE-Manager Dinter erzählt im "spiesser", wo die 400 Milliarden Euro nach Auffassung des Energiekonzerns herkommen sollen: "Das Geld kann aber nicht von den 13 beteiligten Firmen allein kommen. Es sollte ein gemeinsames Projekt der europäischen Staaten sein. Die meisten haben sich ja verpflichtet, Energie zu einem bestimmten Prozentsatz CO2-frei zu produzieren." - Der Klimaschutz soll also schamlos dazu genutzt werden, um Milliardensubventionen in wenige Konzernkassen zu spülen.
Ganz so einfach wird das allerdings nicht sein. Die EU-Kommission signalisiert schon mal auf Veranstaltungen zu Desertec, dass 400 Milliarden Euro sehr viel Geld sind. Die öffentliche Hand reagiert deutlich zurückhaltend, es geht vielleicht doch um gar zu viel Geld, das den öffentlichen Haushalten entnommen werden müsste.
Kosten laufen aus dem Ruder
Längst sind im übrigen in Finnland die Kosten aus dem Ruder gelaufen. Das Atomkraftwerk wird weitaus teurer werden als geplant. So erging es mit fast allen Atomkraftwerksprojekten und so wäre es sicherlich auch mit Desertec.
Die 400 Milliarden Euro, die Desertec verschlingen soll, könnte letztlich das Aus für das ehrgeizige Vorhaben bedeuten. Vielleicht ist in der RWE-Anzeige nicht umsonst nur von einer "Vision" die Rede.
Der Wüstenstrom lässt seit 30 Jahren auf sich warten
Die Medienberichterstattung der vergangenen Monate vermittelt vielfach den Eindruck, als sei der Vorschlag, Solarstrom aus der Sahara nach Europa zu importieren, eine neue Erfindung. Weit gefehlt. Das an der Erarbeitung der aktuellen Vision maßgeblich beteiligte Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) verbreitet diese Vision im Kern schon seit rund 30 Jahren.
Seit 30 Jahren bleibt es bei der Vision, ohne dass auch nur ein einziges Wüstenkraftwerk in der Sahara errichtet worden wäre. Gut möglich, dass Desertec dauerhaft eine Fata Morgana bleibt.
RWE gegen Photovoltaik-Anlagen in Deutschland
Es gibt sogar kritische Stimmen, die es für möglich halten, dass es Konzernen wie RWE mit "Desertec" nur darum geht, den Ausbau der Solarenergie in Deutschland weiterhin nach Kräften zu verhindern: Man propagiert den fiktiven Solarenergie-Ausbau in Nordafrika und blockiert mit dem falschen Versprechen, schon bald käme der Solarstrom aus der Wüste, den beschleunigten Ausbau der Solarenergie zu Hause in Deutschland.
Das Motiv liegt auf der Hand: Bürger und Kommunen, die Strom mit Photovoltaikanlagen auf deutschen Dächern erzeugen und ins Netz einspeisen, konkurrieren mit dem Kohle- und Atomstrom von RWE. Und schon immer war der Stromwirtschaft daran gelegen, lästige Konkurrenten zu verdrängen.
RWE-Manager Dinter liefert in der Anzeige im "spiesser" zumindest einen Hinweis, die diese Hypothese nicht gänzlich abwegig erscheinen lässt. Die Frage nach der zukünftigen Bedeutung der Photovoltaik-Anlagen in Deutschland beantwortet er mit der Aussage, man solle vielmehr "die Sonne im Mittelmeerraum nutzen".
Die Photovoltaik wird publizistisch bekämpft
Tatsache ist, dass der Wüstenstrom seit Jahrzehnten auf sich warten lässt und dass interessierte Kreise beständig Stimmung gegen den Ausbau der Solarenergie in Deutschland machen. Die Photovoltaik wird publizistisch regelrecht bekämpft, seit die erneuerbaren Energien "in Bürgerhand" von Jahr zu Jahr mehr Strom ins deutsche Netz einspeisen.
Größenordnungsmäßig 18 Prozent des deutschen Stroms liefern die erneuerbaren Energien schon heute. Für weitere 15 Prozent sind nur wenige Jahren erforderlich. Lange vor dem Jahr 2050 können in Deutschland 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen, wenn eine engagierte Politik Konzerne wie RWE in Schach hält. Die Konzerne und die Unions-geführten Bundesländer wie Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen müssten nur endlich ihren Widerstand gegen den Ausbau der Windenergie im Binnenland aufgeben.
Weist RWE wieder einmal den falschen Weg?
Jahrzehntelang trommelte RWE für Kohle- und Atomstrom. Die Mehrheit der Bevölkerung wie auch der Politiker halten dies heute für den falschen Weg. Jetzt verbreitet RWE unter Jugendlichen die "Vision" vom Wüstenstrom. Ein erneuter Irrweg?
Als "jugendgefährdend" muss man es vielleicht nicht werten, wenn RWE solche Anzeigen schaltet. Aber fast gewinnt man den Eindruck, als führe der Atomkonzern die Jugend in Deutschland mit dieser Anzeige geschickt an der Nase herum. Immerhin werden laut Impressum 800.000 Exemplare der Zeitschrift "spiesser" bundesweit an über 30.000 Stellen für Jugendliche ausgelegt.