Bundesregierung, Parteien und Menschenrechtsorganisation in Deutschland haben sich weitgehend festgelegt: Sie prangern Menschenrechtsverletzungen nur bei der der sudanesischen Zentralregierung an, die deutsche Politik sieht aber über die Gewalttaten der Rebellen des Südens, mit denen man zusammenarbeitet, hinweg.
Für Kröpelin ist die deutsche Menschenrechtspolitik gegenüber dem Sudan daher "unglaubwürdig". Der einstige und tödlich verunglückte Rebellenführer John Garang und Partner Deutschlands sei aber alles andere als ein "Chorknabe" gewesen. Ihm wurde in einer BBC-Sendung unwidersprochen vorgehalten, dass die Südrebellen Kinder als Soldaten missbraucht und Dörfer abgebrannt hätten.
Auch das Auswärtige Amt stellte auf seiner Website fest, dass die Rebellen des Südsudan die Menschenrechte vielfach missachten: "In von Rebellen beherrschten Teilen Südsudans übt überwiegend die SPLM/A die Herrschaft aus. Sie stützt sich auf eine Militärverwaltung und lässt erst seit jüngster Zeit erste Schritte zum Aufbau einer Zivilverwaltung zu. Auch hier ist die Menschenrechtssituation zutiefst unbefriedigend."
Steinmeier: Deutschland bleibt im Sudan engagiert - Es geht um das "Nord-Süd Friedensabkommen"
Dennoch betreibt Deutschland eine knallharte Politik aussschließlich gegen die Zentralregierung des Sudan. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am 4. März zum Haftbefehl gegen Al Baschir: "Wir nehmen die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs mit Respekt zur Kenntnis. Klar ist: Die Bundesregierung unterstützt den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) als unabhängiges Organ der internationalen Strafjustiz. Denn der IStGH ist Garant dafür, dass schwere Verbrechen nicht straflos und die Opfer nicht ungesühnt bleiben."
Weiterhin kommentierte Steinmeier: "Ich habe meinem sudanesischen Amtskollegen Deng Alor bei unserem letzten Treffen am 12.02. zugesagt, dass die Bundesregierung für den Frieden im Sudan engagiert bleibt. Dazu gehört insbesondere die Umsetzung des Nord-Süd Friedensabkommens (Comprehensive Peace Agreement/CPA) und Durchführung der für dieses Jahr geplanten Wahlen. Staatsminister Gernot Erler hat dazu in meinem Auftrag im Februar im Sudan intensive Gespräche geführt."
"Friedensvertrag" stärkt die Süd-Rebellen und die deutsche Wirtschaft
Der "Friedensvertrag" zwischen dem Nord- und dem Südsudan vom Januar 2005, auf den Steinmeier Bezug nimmt, kam nicht zuletzt auch aufgrund intensiven Drucks seitens der deutschen Bundesregierung zustande. Der Vertrag überträgt den Süd-Rebellen die Macht im Südsudan und einen Anspruch auf die Hälfte der Einnahmen aus dem Ölgeschäft.
Zudem darf sich der Süden laut Vertrag im Jahr 2011 in einem Referendum von der Zentralregierung, also vom Nordsudan abspalten und einen eigenen Staat bilden. Nach einer Abspaltung des Südens aber bliebe der Nordsudan ohne Zugang zum Öl. Genau das scheint das Ziel der deutschen Außenpolitik zu sein.
Absicherung der deutschen Sudan-Politik durch die Bundeswehr
Soldaten der deutschen Bundeswehr sollen die Umsetzung des für Deutschlands Energieinteressen sehr günstigen "Friedensvertrag" überwachen. Es geht insbesondere um die Jahre bis zum geplanten Referendum mit dem offensichtlichen Ziel einer Teilung des Landes.
Am 17. September 2008 verlängerte der Deutsche Bundestag auf Antrag der Bundesregierung eine Verlängerung des Mandats der Bundeswehr im Sudan. Im Antrag der Bundesregierung wurde unmißverständlich auf die umkämpften Erdöl-Regionen Bezug genommen: "Vor allem die weiterhin ungeklärte Grenzziehung zwischen Nord- und Südsudan und der ebenfalls ungeklärte Status der ölreichen Region um Abyei sorgen weiter für Spannungen zwischen dem Nord- und Südsudan." Soldaten blieben "als stabilisierendes Element" bis auf weiteres unverzichtbar. Dies gelte vor allem auch im Hinblick auf die Wahlen im kommenden Jahr und "das Referendum im Jahre 2011, in dem die südsudanesischen Bevölkerung über eine mögliche Unabhängigkeit des Südsudan entscheiden wird".
Transportwege für das Erdöl
Seit Jahren versuchen deutsche Unternehmen, für das Erdöl aus dem Südsudan einen Transportweg in Richtung Westen zu errichten. Immer wieder versuchten sie eine neue Eisenbahnlinie von den Ölfeldern des Südsudan – unter Umgehung des Nordsudan – in das westlich orientierte Kenia bauen. Von der kenianischen Hafenstadt Mombasa sollte das Öl dann per Schiff nach Deutschland und in andere westliche Staaten – statt nach China – transportiert werden. Das Vorhaben scheiterte wiederholt.
Auch sind die Erdöl-Interessen Deutschlands nicht identisch mit denen der USA. Diese präferieren, das Erdöl aus dem Südsudan und aus Darfur per Pipeline an die Westküste des afrikanischen Kontinents und von dort per Tankschiff Richtung Amerika zu transportieren. Auch Deutschland und Frankreichen scheinen in Afrika nicht immer die gleichen Interessen zu vertreten.
Deutsche Politiker sprechen lieber über Menschenrechtsverletzungen statt über Öl-Interessen
Die einstige Staatsministerin im Auswärtigen Amt, derzeitig außenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, Kerstin Müller (Grüne), begrüßt am Mittwoch den Haftbefehl gegen Al Baschir. "Er war lange überfällig und ist ein Meilenstein in der Geschichte im Einsatz für internationale Gerechtigkeit und Menschenrechte. Dafür haben wir uns lange eingesetzt." Der Haftbefehl sei vor allem aber ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung von menschlicher Würde und Frieden im Sudan.
Müller beklagt, dass in den vergangenen Jahren weder die sudanesische Regierung noch die afrikanischen oder arabischen Staaten in der Frage der Menschenrechte aktiv geworden seien. "Sie kritisieren lieber das Verfahren gegen Al Baschir und versuchen es, im Sicherheitsrat zu stoppen. Sie kultivieren Verschwörungstheorien gegen den Westen, anstatt sich selbst für die vielen Opfer einzusetzen. Beflissentlich ignorieren sie dabei den Ausgangspunkt des Verfahrens – nämlich schwerste Menschenrechtsverbrechen mit weit über 300.000 Toten und an die drei Millionen Vertriebenen in Darfur und der Region, die Al Baschir zu verantworten hat", so Müller.
Die Grünen-Politikerin fordert - wie schon als Staatsministerin - ein resolutes Vorgehen: "Die Bundesregierung und die EU müssen sich jetzt auch vorbehaltlos für die Vollstreckung des Haftbefehls einsetzen und dem Internationalen Strafgerichtshof alle erforderliche Unterstützung zukommen lassen. Außerdem müssen sie sich innerhalb der UNO offensiv gegen eine mögliche einjährige Aussetzung des Verfahrens durch den Sicherheitsrat einsetzen."
Die Sprecherin für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Erika Steinbach, sagte, der Bürgerkrieg in Darfur habe bereits hunderttausenden von Menschen das Leben gekostet. "Präsident Baschir wurde dabei auch die persönliche Verantwortung für Morde, Vertreibung, Folter und Vergewaltigungen nachgewiesen", so Steinbach ohne Verweis auf entsprechende Belege. Unter seine Herrschaft habe insbesondere die Zivilgesellschaft in der Krisenprovinz stark gelitten. Auch vor diesem Hintergrund sei der Vorwurf des "Neokolonialismus", der von sudanesischer Regierungsseite als Reaktion auf den Haftbefehl erhoben worden sei, "absurd".
Auffallend zurückhaltende Kommentierung durch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon reagierte am Mittwoch auf den Haftbefehl auffällig zurückhaltend. Er erkenne die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs und dessen Unabhängigkeit an, sagte er. Auch forderte er die sudanesische Regierung auf, mit den Vereinten Nationen zu kooperieren.
Anstelle einseitiger Schuldzuweisungen wie in der deutschen Politik forderte Ban Ki-moon allerdings "alle Parteien" dazu auf, den Konflikt in Darfur zu beenden.
Unlängst hatte der UN-Generalsekretär den Haftbefehl gegen Al Baschir als Problem für die Friedensbemühungen der Vereinten Nationen im Sudan bezeichnet.
Der damalige UN-Koordinator für Nothilfe in Krisengebieten, Jan Egeland, bezeichnete schon vor Jahren die einseitigen Schuldzuweisungen des Westens gegenüber der sudanesischen Zentralregierung als sachlich falsch. Die Übergriffe in Darfur seien "nicht nur die Schuld der Regierung. Es gibt dort viele Milizen und andere Kräfte", so Egeleand. Weiter gibt der UN-Mitarbeiter an, alle Bürgerkriegsparteien seien an der Eskalation beteiligt: "Die so genannten Janjawid-Milizen, organisierte Kriminelle, zu viele Arbeitslose mit zu vielen Gewehren, Regierungstruppen und mit Bestimmtheit auch Streitkräfte der Aufständischen."
Dies wird auch von Amnesty International bestätigt: "Es gibt Berichte über Missbrauch und Folter, einschließlich Vergewaltigung durch Mitglieder der SLA und der JEM", die beide Rebellenorganisationen sind.
Auch Fachleute des Auswärtigen Amtes verzichteten noch 2007 auf einseitige Schuldzuweisungen
Selbst die Fachebene des Auswärtigen Amtes verzichtet bei der Skizzierung der Innenpolitik des Sudan und der Menschenrechtssituation in Darfur weitgehend auf einseitige Anschuldigungen gegen die sudanesische Zentralregierung. Nach Darstellung auf der Website des Auswärtigen Amtes gibt es wechselseitige Vorwürfe und allenfalls teilweise als gesichert angenommene Informationen über Menschenrechtsverletzungen. Auf der Website hieß es noch am 8. Mai 2007 relativ ausgewogen:
"Eine Vielzahl schwerer und schwerster Menschenrechtsverletzungen sowohl in regierungs- wie auch rebellenkontrollierten Gebieten steht in engem Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg und dem Darfur-Konflikt. Der sudanesischen Regierung wird vorgeworfen, sie dulde und unterstütze Angriffe von arabisch-stämmigen Milizen (Janjaweed) in Darfur gegen die Zivilbevölkerung der den Darfur-Rebellen angeblich nahestehenden afrikanischen Stämme der Fur, Zaghawa und der Massalit. Den Janjaweed werden schwerste Gräueltaten (Massenexekutionen, Einsatz von Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe) gegen die Zivilbevölkerung vorgeworfen. Die sudanesische Armee hat als Reaktion auf Rebellenangriffe immer wieder ohne Rücksicht auf Zivilisten Dörfer bombardiert. Dem Bericht einer VN-mandatierten unabhängigen Untersuchungskommission zu Folge hat der sudanesische Verteidigungsminister argumentiert, bereits die Anwesenheit eines Rebellenmitglieds in einem Dorf rechtfertige einen Angriff der sudanesischen Armee. Auch den Darfur-Rebellenorganisationen werden schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt."
Der Sudan-Spezialist Stefan Kröpelin vertritt die Auffassung, dass die Menschenrechtssituation in Sudan nicht besser und nicht schlimmer sei als in jedem anderen afrikanischen Land. Westeuropäische Verhältnisse gebe es dort natürlich nicht. Viele der im Sudan tätigen Europäer würden diese Sichtweise auf den Sudan und die Region Darfur bestätigen – allerdings nur "unter der Hand", so Kröpelin.
Im Sudan wehrt man sich gegen die westliche Einmischung
Im Sudan wird der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs offenbar überwiegend kritisiert. Die Straßen in der Hauptstadt Khartum sind von Solidaritätsplakaten gesäumt, so Esther Saoub vom ARD-Hörfunkstudio Kairo.
"Diese Entscheidung war von Beginn an eine Totgeburt, ungesetzlich, eine verbrecherische Tat und eine Verschwörung gegen den Sudan", so der sudanesiche UN-Botschafter Abdel Halim. "Der Haftbefehl wird dem Willen unseres Landes kein Haar krümmen. Der gesamte Sudan steht hinter seiner Führung. Deshalb ist dieser Beschluss die Tinte nicht wert, mit der er geschrieben wird."
"Sollen sie doch ihren Beschluss fassen", kommentierte Al Baschir "und danach einen zweiten, und dritten und zehnten Beschluss, am Ende sind sie alle nichtig." So wie die Resolution des Sicherheitsrates. Der Westen könne sich darauf vorbereiten, die Beschlüsse in der Pfeife zu rauchen. "Ohne die Einmischung des Westens wäre die Krise in Darfur eine normale Krise", so Al Baschir.
Die Afrikanische Union hat um einen Aufschub des Haftbefehls gebeten, um den gerade wieder in Bewegung gekommenen Friedensprozess nicht zu gefährden. Erst Mitte Februar hatte sich eine der wichtigsten Rebellengruppen Darfurs mit Regierungsvertretern getroffen und ein erstes Verhandlungspapier unterschrieben. Ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes könnte da querschlagen, fürchten manche.