Dezember 2008
Alle Artikel aus diesem Monat und Jahr sind hier zu finden.
Lebenslange Haft für "Kofferbomber"
Im Kofferbomber-Prozess hat das Düsseldorfer Oberlandesgericht (OLG) den angeklagten Libanesen Youssef el-Hajdib zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der 6. Strafsenat befand den 24-Jährigen am Dienstag (9. Dezember) des versuchten mehrfachen Mordes und der versuchten Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion für schuldig. Mit seinem Urteil folgte das Gericht der Forderung der Bundesanwaltschaft. Die Verteidigung hatte Freispruch beantragt und kündigte Revision an.
SPD-Kanzlerkandidat macht Union "Wirtschaftskompetenz" streitig
Die SPD macht der Union im Wahljahr 2009 die Meinungsführerschaft in der Wirtschafts- und Finanzpolitik streitig. "Wir haben mehr Finanz- und Wirtschaftskompetenz als die andere Seite" sagte der Kanzlerkandidat und Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Montag (8. Dezember) in einer kämpferischen Grundsatzrede auf einer Europadelegiertenkonferenz der SPD in Berlin. Forderungen aus Union und FDP nach Steuersenkungen seien angesichts der Wirtschaftskrise nicht nur der "unsozialste Ansatz" und "ökonomischer Unfug", sondern "Wählertäuschung", so Steinmeier. Konservative und Liberale hätten ihren Kompass verloren. 2009 werde ein sozialdemokratischer Zeitgeist herrschen.
Verfassungsschutz-Chef will Genehmigung für Online-Durchsuchung
Verfassungsschutzchef Heinz Fromm fordert für seine Behörde größere Möglichkeiten zur Telekommunikationsüberwachung. "Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, um Gefahren in einem frühen Stadium zu erkennen", sagte Fromm am Montag (8. Dezember) auf einem Verfassungsschutz-Symposium in Berlin. Fromm zufolge kann die bisherige Form der Telekommunikationsüberwachung nicht mehr alle Erkenntnisse liefern, da sich der Gegner modernster Fähigkeiten des Online-Informationsaustausches und der Verschlüsselung bediene. "Wir müssen uns technisch und rechtlich den neuen Möglichkeiten anpassen", so Fromm.
Angeklagte Polizisten aus Mangel an Beweisen freigesprochen
Die im Prozess um den Tod eines afrikanischen Asylbewerbers in einer Dessauer Polizeizelle angeklagten zwei Polizisten sind am Montag (8. Dezember) freigesprochen worden. Den Polizeibeamten waren Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung vorgeworfen worden. Der Asylbewerber Oury Jalloh aus Sierra Leone war am 7. Januar 2005 bei einem Brand in seiner Zelle an den Folgen eines Hitzeschocks gestorben. Er soll die Matratze seiner Zelle angeblich selbst angezündet haben, obwohl er an Händen und Beinen gefesselt war. Die Urteilsbegründung musste unterbrochen werden, weil aufgebrachte Angehörige einer Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh auf den Zuschauerbänken im Verhandlungssaal den Richter beschimpften. Sie bezeichneten außerdem die Angeklagten als "Lügner und Mörder".
Privatisierung der niedersächsischen Krankenhäuser laut Urteil rechtswidrig
Der Verkauf der niedersächsischen Landeskrankenhäuser an private Klinikkonzerne vor knapp zwei Jahren war mit seinen Folgen für den Maßregelvollzug nicht rechtens, teilte der Staatsgerichtshof in Bückeburg am Freitag (5. Dezember) mit. Die damit verbundenen Änderungen am Maßregelvollzugs- und am Psychiatriegesetz seien teilweise mit der niedersächsischen Verfassung "unvereinbar". Das Urteil könnte Signalwirkung für andere Bundesländer haben, wo Landeskliniken mit Maßregelvollzug ebenfalls privatisiert wurden.
Finanzministerium unterläuft höchstrichterliche Entscheidungen
Das Bundesfinanzministerium unterläuft nach Darstellung des Bundesfinanzhofs (BFH) wichtige und für den Steuerzahler entlastende höchstrichterliche Entscheidungen. Pro Jahr würden "sechs bis acht" Entscheidungen des BFH vom Ministerium mit einem sogenannten Nichtanwendungserlass belegt, kritisierte BFH-Präsident Wolfgang Spindler am Donnerstagabend (4. Dezember) in Karlsruhe. Dies sei "ein Riesenproblem". Das Bundesfinanzministerium verteidigte sein Vorgehen. Dies sei ein "ganz normalen Verfahren" und eine "lange geübte Praxis", die "rechtlich auf sicheren Füßen" stehe, sagte ein Sprecher von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) am Freitag in Berlin.
Marine will deutschen Luxusliner "verteidigt" haben
Da soll die Bundeswehr neuerdings gegen Piraten eingesetzt werden und schon liest man fast täglich von Piratenangriffen. Zuvor ging es jahrelang nur um "Terroristen", die bekämpft wurden. Jetzt soll es angeblich auch noch den Versuch eines Piratenangriffs auf ein deutsches Kreuzfahrtschiff gegeben haben und die deutsche Marine will den fragwürdigen Angriff abgewendet haben. Die Bundeswehr schildert den Hergang so: Zwei Schnellboote hätten sich in dem Seegebiet dem Vier-Sterne-Schiff "MS Astor" "genähert" und seien aber von einer deutschen Fregatte mit Warnschüssen "vertrieben" worden. Es sei das erste Mal, dass die deutsche Marine ein Kreuzfahrtschiff in einem solchen Fall "verteidigt" habe, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos am Freitag (5. Dezember) in Potsdam. Ob es sich aber tatsächlich um eine Attacke von Seeräubern gehandelt habe, sei nicht abschließend zu klären, stellte selbst die Bundeswehr fest. Die Schnellboote fuhren offenbar in fünf bis sechs Kilometer Entfernung von dem Kreuzfahrtschiff, teilte der Reiseveranstalter "Transocean Tours" mit.
Volkssolidarität kritisiert Begünstigung von Banken und Automobilindustrie
"Der Sozialabbau wird ebenso wie die Umverteilung von unten nach oben fort- und festgeschrieben." Das erklärte der Bundesgeschäftsführer des Sozial- und Wohlfahrtsverbandes Volkssolidarität, Bernd Niederland am Freitag (5. Dezember) in Berlin angesichts der aktuellen sozialpolitischen und wirtschaftspolitischen Entscheidungen. Es sei eine Tatsache, "dass Unternehmen und Vermögende immer weiter entlastet und die Bürger, ob nun Beschäftigte, Selbstständige, Auszubildende, Rentner und sozial Benachteiligte, immer mehr belastet werden", so Niederland. "Was der Staat den Großen schenkt, aktuell den Banken und der Autoindustrie, holt er sich bei den Kleinen." Soziale Gerechtigkeit sehe anders aus, meint der Sozialverband. Niederland verwies besonders auf die weiter zunehmenden Belastungen für die heutigen und künftigen Rentner. Dazu gehörten nach dem für viele erhöhten Krankenkassenbeitrag durch den Gesundheitsfonds die "nach der Bundestagswahl" drohenden Steuernachzahlungen für Rentner.
Kritik an "Wasserklau" und Umweltzerstörung durch Zitrus-Anbau
Durchschnittlich verbraucht jeder Deutsche im Jahr 41,5 Kilogramm an Zitrusfrüchten. Am beliebtesten sind Clementinen, Mandarinen und süße Apfelsinen. Insgesamt landen jährlich über eine Millionen Tonnen Zitrusfrüchte, bislang vor allem noch aus der Mittelmeerregion, auf dem deutschen Markt. Nach Angaben der Umweltstiftung WWF wird aber die Produktion durch eine "harte Einkaufspolitik mit niedrigen Preisen" und durch die Folgen von Dürreereignissen und Extremwettern zunehmend erschwert. "In den vergangenen Jahren hat die Bedeutung der europäischen Anbauländer stark abgenommen", so Dorothea August vom WWF Deutschland. Wenn aufgrund von Witterungsbedingungen, Preispolitik und Handelsmengen europäische Produzenten nicht wie gewünscht liefern könnten, kämen die Importe für den deutschen Markt vor allem aus Südafrika und Argentinien. Der WWF beobachtet vor allem die großen Flächenausweitungen der Produktion in den Ländern Südamerikas und der Volksrepublik China mit zunehmender Sorge.
Karlsruhe billigt Abschläge für Frührentner
Die dauerhafte Kürzung der Leistungen für Frührentner ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Dadurch sei weder die Eigentumsgarantie der Betroffenen noch der Gleichheitsgrundsatz verletzt, heißt es in dem am Donnerstag (4. Dezember) veröffentlichten Beschluss des Ersten Senats. Die Abschläge seien zudem durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig. Sie seien notwendig, um den vorzeitigen Rentenbezug "kostenneutral" für die Versichertengemeinschaft zu gestalten. Damit würden die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung gesichert.
Merkel will in Brüssel die Interessen der Automobilindustrie verteidigen
Die Bundesregierung will keinerlei europäische Klimaschutzvereinbarungen zulasten der deutschen Automobilindustrie zulassen. Das kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag (4. Dezember) im Bundestag an und erhielt dafür Rückendeckung von Union, SPD und FDP. Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin nannte die von Merkel geplanten Ausnahmen einen "Anschlag auf den internationalen Klimaschutz". Die Linke bezeichnete Merkel als eine "Kanzlerin der Luxusklasse".
Tierschutzbund fordert Schlachten nur mit Betäubung
Anlässlich des am 8. Dezember beginnenden dreitägigen islamischen Opferfestes (Kurban Bayrami) appelliert der Deutsche Tierschutzbund an die Muslime in Deutschland, Tiere nur nach vorheriger Betäubung zu schlachten. Die Tierschützer lehnen das so genannte Schächten ohne Betäubung strikt ab, "da es aus Sicht des Tierschutzes mit erheblichen und vermeidbaren Qualen für die Tiere verbunden ist". Die Tierschützer weisen darauf hin, dass Schächten grundsätzlich verboten ist. Ausnahmeregelungen von diesem Verbot seien an strenge Genehmigungsverfahren sowie strikte Auflagen geknüpft. Der Tierschutzbund fordert die zuständigen Stellen auf, alle verwaltungsrechtlichen Mittel auszuschöpfen, um solche Genehmigungen zu versagen. Darüber hinaus müsse das illegale Schächten durch strikte Kontrollen verhindert und gegebenenfalls strafrechtlich geahndet werden, so die Tierschützer.
Ermittler greifen häufig auf Vorratsdaten zu
In fast 2200 Ermittlungsverfahren haben Richter von Mai bis Juni diesen Jahres den Rückgriff auf die Verbindungsdaten von Telefonkunden und Internetnutzer angeordnet. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP hervor, wie die "Berliner Zeitung" berichtet. Dabei nutzten die Ermittler in 934 dieser Verfahren die Vorratsdaten, die Telekommunikationsfirmen und Internetbetreiber seit Januar diesen Jahres sechs Monate lang speichern müssen.
Ausländerquote in Deutschland bei konstant 8,8 Prozent
Die Ausländerquote in Deutschland liegt laut Statistik konstant bei 8,8 Prozent. Wie aus dem am Mittwoch (3. Dezember) vom Bundesinnenministerium vorgelegten und vom Kabinett beschlossenen Migrationsbericht 2007 hervorgeht, lebten im vergangenen Jahr insgesamt rund 6,74 Millionen Ausländer in Deutschland.
Einigung auf heimliche Online-Durchsuchungen mit Richtervorbehalt
Union und SPD haben sich mit den Bundesländern auf eine entschärfte Fassung des umstrittenen BKA-Gesetzes geeinigt. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte am Mittwoch (3. Dezember) in Berlin, die Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) habe sich auf drei Änderungen verständigt. Er sei optimistisch, dass das Gesetz noch vor Jahresende stehe und 2009 in Kraft treten könne. Das Kabinett rief am Mittwoch den Vermittlungsausschuss an. Dieser müsste den Gesetzentwurf mit den Änderungen wieder an den Bundestag überweisen. Laut Oppermann verständigte sich die Bund-Länder-Runde darauf, dass eine heimliche Online-Durchsuchung auch in Eilfällen durch einen Richter angeordnet werden muss.
Steinbrück "Politiker des Jahres 2008"
SPD-Rechte und CDU-Hardliner verstehen sich bestens. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) wird am Donnerstag (4. Dezember 19.00 Uhr) in Berlin bei der Verleihung der Auszeichnung "Politiker des Jahres 2008" eine Laudatio auf den Preisträger, Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), halten. Steinbrück wird für seine widersprüchliche Politik ausgezeichnet, zum einen für seine "herausragende Rolle beim Umgang mit der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise", für die quasi über Nacht die Steuergelder aufs Spiel gesetzt wurden. Zum anderen wird Steinbrück dafür geehrt, dass er sich beharrlich für einen ausgeglichenen Bundeshaushalt engagiert hat, beispielsweise also einer Erhöhung des Bafög nicht zugestimmt hat.
Bundesregierung will an Förderung von Biokraftstoffen festhalten
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will ungeachtet der anderslautenden Empfehlungen einer neuen Studie der Bundesregierung an der Förderung von Biokraftstoffen festhalten. Sein Ministerium sei "dezidiert anderer Auffassung", sagte Gabriel am Mittwoch (3. Dezember) in Berlin bei der Vorstellung eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Demzufolge verfügt Bioenergie zwar über große Potenziale für die Strom- und Wärmegewinnung, aber nicht als Treibstoff für Kraftfahrzeuge. Die Wissenschaftler raten daher von einer weiteren Förderung von Biokraftstoffen ab. Gabriel wies das Fazit der Gutachter scharf zurück: "Es geht nicht um Tank oder Teller."
Angeklagter im Kofferbomber-Prozess beteuert seine Unschuld
Im Kofferbomber-Prozess vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht (OLG) hat der Angeklagte am Dienstag (2. Dezember) in seinem Schlusswort erneut seine Unschuld beteuert. "Es war nicht meine Absicht, jemanden zu töten", sagte der Libanese Youssef el-Hajdib. "Ich habe keinen Versuch gemacht, jemanden zu töten." Das Urteil will der Strafsenat am 9. Dezember verkünden.
Atomkritiker sehen "objektiv-rechtliche Verpflichtung" der Verfasssungsrichter
Für die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November zur Nichtannahme der Verfassungsbeschwerden gegen mehrere Atommüll-Zwischenlager nicht nachvollziehbar (ngo-online berichtete). Nach Auffassung der Atomkritiker verweist das Bundesverfassungsgericht zwar zu Recht auf den verfassungsmäßigen Grundsatz einer "bestmöglichen Risikovorsorge und Gefahrenabwehr". Dennoch spreche das Gericht aber den Beschwerdeführern einen Anspruch auf eine "bestmögliche" Lagerung des Atommülls in terrorsicheren Lagerhallen ab. "Die Lagerung des Atommülls in unsicheren Leichtbauhallen widerspricht selbstverständlich dem Verfassungsgrundsatz einer 'bestmöglichen' Risikovorsorge und Gefahrenabwehr", meint die IPPNW.
Grüne mahnen ehrlichen Umgang der CDU mit der DDR-Vergangenheit an
Im Streit um die Rolle der DDR-Blockparteien und deren Beitritt zu westdeutschen Parteien wehren sich CDU und FDP gegen eine weitere Aufklärung. Die Grünen riefen die CDU zu einem ehrlichen Umgang mit der DDR-Parteienvergangenheit auf. Führende Grünen-Politiker forderten von den Christdemokraten eine aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte der Ost-CDU. In einem offenen Brief an CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla mahnten Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke und der frühere DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz, dieser Debatte auf dem CDU-Parteitag "Raum zu geben" und sie nicht "in Antragsbüchern und Formulierungsklauseln zu verstecken". Es habe "berechtigte Aufregung" verursacht, dass führende CDU-Politiker "viel zu spät und nur unter öffentlichem Druck Stellung zu ihrer Vergangenheit bezogen haben", heißt es in dem Schreiben.