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"Widerstand wird zur Bürgertugend"

Karlsruhe nahm Verfassungsbeschwerden zu Atommüll-Zwischenlagern nicht an

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Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die atomaren Zwischenlager neben deutschen Atomkraftwerken nicht zur Entscheidung angenommen. Wie das Gericht am Donnerstag (27. November) zur Begründung anführte, habe das Gericht "die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen" bereits entschieden. Das gelte insbesondere für den grundrechtlich gebotenen Schutz des Einzelnen vor den Gefahren der Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken wie auch die Berechtigung des Bundes, auf diesem Gebiet einschließlich der Beseitigung radioaktiver Stoffe selbständige Bundesbehörden zu errichten. "Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen und die zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften über die dezentrale Zwischenlagerung verletzen die Beschwerdeführerin auch nicht in ihren Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG)", entschied die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts.


Raimund Kamm vom "FORUM Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik" kritisierte, das Bundesverfassungsgericht wolle "die Gesundheits- und Lebensgefahren, die gerade unter Berücksichtigung des Terrorrisikos uns Menschen aus den Zwischenlagern drohen, nicht sehen. Das Bundesverfassungsgericht weigert sich auch, der Ungeheuerlichkeit ins Auge zu sehen, dass es keine Entsorgung für die Zwischenlager gibt und dass dieser tödlich strahlende Atommüll uns und unsere Nachkommen in unvorstellbarer Weise bedroht", so Kamm.

Das geltende Konzept der dezentralen Zwischenlagerung von Atommüll am Standort der Kernkraftwerke ist nach Auffassung der Verfassungsrichter mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Konzept begegne "keinen verfassungsrechtlichen Bedenken", heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss. Das verbleibende Restrisiko sei "hinzunehmen".

Bundesverfassungsgericht: Kein Verstoß gegen Grundrechte

Die Karlsruher Richter verwarfen Verfassungsbeschwerden von Anwohnern gegen die drei bayerischen Atommüll-Zwischenlager in Gundremmingen, Grafenrheinfeld und Niederaichbach. Das Verfassungsgericht sah keinen Verstoß gegen Grundrechte. Das Risiko des Einzelnen werde durch die größere Anzahl von Zwischenlagerstandorten "weder erhöht noch vermindert".

Die Beschwerden richteten sich gegen die entsprechende auf 40 Jahre befristete atomrechtliche Genehmigung. Diese erlaubt im vorliegenden Fall den Betreibern der Kernkraftwerke Gundremmingen II, Grafenrheinfeld sowie Isar 1 und Isar 2, bestrahlte Brennelemente in Castorbehältern aufzubewahren und diese zwischenzulagern, bis sie an ein Endlager für radioaktive Abfälle abgeliefert werden. Die Karlsruher Richter bestätigten nun die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften und Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts.

Klägerin: Das Standortzwischenlager wird möglicherweiwse faktisch zum Endlager

Im Falle von Grafenrheinfeld klagte eine Miteigentümerin eines rund einen Kilometer vom Zwischenlager entfernten Wohnhauses. Sie rügte, das Zwischenlager-Konzept werde der staatlichen Schutzpflicht für die Bürger nicht gerecht. Da eine Lösung der Endlagerfrage nicht absehbar sei, bestehe die Gefahr, dass die Standortzwischenlager faktisch zu Endlagern würden.

Außerdem werde ein möglicher gezielter terroristischer Flugzeugabsturz "in zu weitgehendem Maße dem Restrisikobereich zugeordnet".

Verfassungsrichter: Als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen

Das Bundesverfassungsgericht wies darauf hin, dass es "die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen" bereits in seinem "Kalkar-Urteil" von 1978 entschieden habe. Das gelte insbesondere für den Schutz des Einzelnen vor den Gefahren der Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken. Demnach sei eine Genehmigung solcher Anlagen nur zulässig, wenn Gefahren und Risiken durch die Aufbewahrung der Kernbrennstoffe sowie durch Störmaßnahmen Dritter "praktisch ausgeschlossen" erschienen. Das sei hier den Fachgerichten zufolge der Fall.

"Ein darüber hinausgehender grundrechtlich verbürgter Anspruch auf Restrisikominimierung" stehe der Klägerin nicht zu. "Ungewissheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft haben ihre Ursache in den Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens und sind als unentrinnbare und insofern sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen", betonte das Bundesverfassungsgericht.

Selbst wenn "der unwahrscheinliche Fall eines terroristischen Absturzes einer Verkehrsmaschine oder eines schnellen Militärflugzeugs" eintreten sollte, wären die Rechte der klagenden Anwohnerin nicht verletzt, hieß es weiter. Denn das Bundesamt für Strahlenschutz habe davon ausgehen dürfen, dass der Richtwert für die Evakuierung von Personen "auch im Falle des gezielten terroristischen Flugzeugabsturzes nicht erreicht werde".

Zur Antwort auf die Frage, ob die Kernenergienutzung noch verantwortet werden könne, sei nicht das Verfassungsgericht, sondern "allein der Gesetzgeber berufen".

(AZ: 1 BvR 2456/06 u. a. - Beschluss vom 12. November 2008)

Kamm: Alle Entsorgungsversprechen der Regierenden wurden gebrochenRaimund Kamm, Vorstand des FORUM Gemeinsam gegen das Zwischenlager montierte: "Alle Entsorgungsversprechen der Regierenden wurden gebrochen", moniert Kamm. So habe Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in seiner ersten Regierungserklärung nach der gewonnenen Bundestagswahl am 4. Mai 1983 erklärt: "Die Entsorgung muß und wird zügig verwirklicht werden."

So stehe auch in der Koalitionsvereinbarung der jetzigen Bundesregierung: "CDU, CSU und SPD bekennen sich zur nationalen Verantwortung für die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle und gehen die Lösung dieser Frage zügig und ergebnisorientiert an. Wir beabsichtigen in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung zu kommen."

Kamm kündigte nach dem Urteil Widerstand der Atomkraftgegner an: "Wo Unrecht nicht einmal vom höchsten deutschen Gericht als Unrecht beurteilt wird, wird Widerstand zur Bürgertugend."

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