Übersicht
- Geldzahlungen für in Afghanistan getötete Zivilisten bestätigt
- Friedensbewegung bezeichnet neues Afghanistan-Konzept als Mogelpackung
- Friedensbündnis ruft zum Protest gegen Afghanistan-Einsatz auf
- Steinmeier wirbt mit Krankenhäusern für Kriegseinsatz in Afghanistan
- In Afghanistan wächst der Hass auf die westlichen Besatzungstruppen
- 2008 wurden in Afghanistan laut UN mehr als 2100 Zivilisten getötet
- Bis zu 17.000 weitere Soldaten nach Afghanistan
- Afghanistan: Panzer und Kampfdrohnen als Konjunkturprogramm
Außerdem sollen flüchtende Fahrzeuge mit Schüssen auf die Reifen oder in den Kofferraum gestoppt werden, weil sie keine unmittelbare Bedrohung mehr darstellen. Die Schüsse an der Straßensperre bei Kundus am Donnerstagabend seien jedoch durch die Fenster des Autos gegangen.
Nach Bundeswehrangaben waren an der Sperre zunächst zwei Fahrzeuge gestoppt worden. Als einer der Wagen plötzlich wieder anfuhr, schossen Sicherungskräfte auf das Auto. Eine Frau und zwei Kinder wurden getötet, zwei weitere wurden verletzt.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU), sagte der "Passauer Neuen Presse": "Ich gehe davon aus, dass sich unsere Soldaten entsprechend ihres Auftrags verhalten haben. Man kann von keinem Soldaten verlangen, dass er in einer für ihn unüberschaubaren lebensbedrohenden Situation nicht reagiert." Es werde in alle Richtungen ermittelt. "Hier müssen sich die afghanischen Sicherheitsdienste beteiligen", forderte er.
Schmidt wies Forderungen nach einem schnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zurück. "Wenn bei jedem tödlichen Vorfall der Abzug der Truppen gefordert wird, schwächt das die Position der NATO und der Soldaten vor Ort", sagte Schmidt. Ein Abzug der Truppe wäre verantwortungslos. "Wer das will, fällt nicht nur den deutschen Soldaten in den Rücken, er schadet auch dem afghanischen Volk", sagte Schmidt.
Mit Blick auf die Sicherheitslage sagte der CSU-Politiker: "Die Gefahr ist größer geworden, ganz klar. Aber es besteht kein Anlass, den Einsatz in Frage zu stellen. Der Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan steht nicht zur Disposition."
Nachrichten afghanistan
Am 01-09-2008
"Kein Schuldeingeständnis" und kein Bedauern
Die Bundeswehr hat Entschädigungszahlungen an Angehörige der in Afghanistan getöteten Zivilsten bestätigt. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) habe in Afghanistan mit Paschtunen gesprochen und dabei eine "Kompensationszahlung" vereinbart, sagte ein Ministeriumssprecher am Mittwoch (3. September) in Berlin. Dadurch sei "Verzeihung ausgesprochen" und Blutrache nach "landestypischen Gebräuchen" ausgeschlossen. Der Sprecher betonte, die Zahlungen seien "selbstverständlich" kein Schuldeingeständnis. Auch war von offizieller deutscher Seite kein Bedauern dazu zu vernehmen, dass die Bundeswehr zwei Kinder und eine Frau erschossen hat.
Am vergangenen Donnerstag waren in der Nähe der nordafghanischen Stadt Kundus eine Frau und zwei Kinder an einem auch von Deutschen verantworteten Checkpoint erschossen worden. Nach Darstellung der Bundeswehr waren an der Sperre zunächst zwei Fahrzeuge gestoppt worden. Als einer der Wagen plötzlich wieder anfuhr, schossen die Soldaten auf das Auto.
Einem Zeitungsbericht zufolge sollen sich die Bundeswehrsoldaten nicht an die Einsatzregeln gehalten haben. Die "Financial Times Deutschland" berichtete, ausschließlich deutsche Soldaten hätten auf das betroffene Fahrzeug geschossen. Es gebe jedoch klare Regeln, nach denen nur die afghanischen Polizeiposten Fahrzeuge kontrollieren und eventuell das Feuer eröffnen dürften. Die Einsatzregeln der Bundeswehr verböten den Soldaten auch in Notsituationen nach dem Abbruch eines Angriffs auf Flüchtende zu schießen, schrieb das Blatt weiter.
Außerdem sollen flüchtende Fahrzeuge mit Schüssen auf die Reifen oder in den Kofferraum gestoppt werden, weil sie keine unmittelbare Bedrohung mehr darstellen. Die Schüsse an der Straßensperre bei Kundus am Donnerstagabend seien jedoch durch die Fenster des Autos gegangen.
Am 03-09-2008
"Truppen raus aus Afghanistan"
Führende Vertreter der deutschen Friedensbewegung kritisieren das gestern (9. September) im Bundeskabinett verabschiedete Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. Reiner Braun von der Kooperation für den Frieden und Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag monieren, das Konzept gebe sich den Anschein, neu zu sein und von einer realistischeren Einschätzung der Situation in Afghanistan auszugehen. Neu sei höchstens, dass in dem Konzept deutlich von "deutschen Interessen" gesprochen werde und nicht wie bisher von "humanitären" Motiven wie Menschenrechtsschutz, Demokratieaufbau und ähnlichem, "mit denen sonst immer so gern militärische Interventionen gerechtfertigt werden". Ansonsten sei das Konzept aber in Wahrheit weder neu, noch werde die Realität der Situation im Land am Hindukusch angemessen beschrieben, so Braun und Strutynski.
So habe Das militärische "Afghanistan-Engagement" der NATO einschließlich der Bundeswehr in den letzten Jahren zu einer stetigen Destabilisierung der Sicherheitslage geführt. "Mit jeder Truppenaufstockung wuchs der Widerstand, nahmen Anschläge und Gefechte zu", kritisieren Braun und Strutynski. Zivile Todesopfer - von offiziellen Stellen vielfach als "tragische Zwischenfälle" kommentiert - nähmen beängstigend zu. Zudem wachse der Unmut in der Bevölkerung und "der Hass auf die Besatzungstruppen". Die Friedensbewegung ruft vor diesem Hintergrund zu einer bundesweiten Demo in Berlin und Stuttgart am 20. September auf.
Kritik üben Braun und Strutynski auch an der Aussage im Afghanistan-Konzept der Bundesregierung, der "internationale Terrorismus" dürfe Afghanistan nicht wieder als Ruhe-, Rückzugs- und Regenerationsraum nutzen können. "Insofern dient unser Afghanistan-Engagement unmittelbar deutschen Interessen." Die Kritiker des Afghanistan-Krieges halten diese Sichtweise für völlig verkehrt: "Afghanistan war weder vor dem 11.09.2001 ein solcher Rückzugsraum (kein einziger Attentäter kam damals aus Afghanistan), noch befindet sich dort heute das Zentrum des internationalen Terrorismus." In viel größerer Anzahl würden sich Terroristen ("oder was man dafür hält") in Irak, in Pakistan, in Somalia,in Algerien, auf den Philippinen und selbstverständlich in den ausgemachten "Schurkenstaaten" wie Iran oder Sudan tummeln.
In Afghanistan seien viele Probleme erst durch den US-geführten Krieg unter Beteiligung der Bundeswehr verschärft worden. "Die Bundesregierung verschließt auch die Augen davor, dass die Karsai-Regierung keinen Rückhalt in der Bevölkerung hat", so Braun und Strutynski. Das Land werde beherrscht von den Taliban, regionalen Warlords, Drogenbaronen und lokalen Stammesführern. Sie verweisen auf eine UN-Studie, wonach in Afghanistan 2006 - also nach 5 Jahren "Demilitarisierung" - zwischen 1200 und 2200 illegale bewaffnete Gruppen mit insgesamt 120.000 bis 200.000 Bewaffneten und mehr als 3,5 Millionen leichten Waffen existierten.
Die Karsai-Regierung schätze Zahl der illegalen bewaffneten Gruppen sogar noch wesentlich höher. "Kein Wort davon in dem neuen Konzept der Bundesregierung, obwohl solche und andere ungeschminkte Angaben kürzlich in einer Studie des wichtigsten Think Tanks des Außenministeriums, dem Institut 'Stiftung Wissenschaft und Politik' (SWP) veröffentlicht wurden", monieren die Kriegsgegner. "Darin wird auch darauf hingewiesen, dass etwa das afghanische Parlament zu etwa einem Drittel mit Abgeordneten besetzt ist, die solche illegalen bewaffneten Banden befehligen oder mit ihnen zusammenarbeiten." Die Bundesregierung aber lobe dasselbe Parlament in höchsten Tönen: "Das Parlament wird zunehmend zu einem Forum für politische Debatten."
Der Studie "Gescheiterte Demilitarisierung" der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik zufolge sei nicht nur die angestrebte Entwaffnung der Milizen gescheitert, sondern der ganze militärisch gestützte Afghanistan-Einsatz.
Auch die "Aufbau"-Bilanz der Bundesregierung gleiche einem Potemkinschen Dorf. Die wenigen Zahlen, die etwa zum Bildungs- und Gesundheitssystem genannt würden, seien "rein fiktiv und nicht belegt".
Auch der Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen zeichne ein gänzlich anderes Bild als die deutsche Bundesregierung. Beispielsweise sei die Arbeitslosigkeit in Afghanistan auch deswegen unbeschreiblich hoch, weil die Ökonomie heute fast ausschließlich auf die Opiumproduktion konzentriert sei, was wiederum eine "Nebenwirkung" von Krieg und Besatzung sei. Bauern, die in der Schlafmohnproduktion arbeiteten, könnten aber bestenfalls ihre Lebenshaltungskosten decken, während die Warlords und Drogenhändler Millionen machten.
Braun und Strutynski verweisen des weiteren "Berichte von Insidern", wonach der gesamte Regierungsapparat Karsais und seine eigene Familie zutiefst in die Drogengeschäfte verstrickt" sei. Das Karsai-Regime wurde von den USA únd ihren Verbündeten installiert.
Am 10-09-2008
Verlängerung des Afghanistan-Mandats
Ein Friedensbündnis aus rund 250 Initiativen hat für Samstag (20. September) in Berlin und Stuttgart zum Protest gegen eine Verlängerung des Bundeswehrmandats in Afghanistan aufgerufen. Damit soll an die Abgeordneten des Bundestags appelliert werden, bei der im Oktober anstehenden Abstimmung gegen eine Fortsetzung des Einsatzes zu votieren, sagte ein Sprecher des Bündnisses am Montag (15. September) in Berlin. Nach Ansicht des Friedensbündnisses wird Deutschland immer tiefer in den Afghanistan-Konflikt verstrickt. "Afghanistan droht zum deutschen Vietnam zu werden", sagte der Sprecher. Vor wenigen Tagen hatte das Kabinett beschlossen, dieses Kontingent von derzeit 3500 Soldaten ab Herbst um 1000 Mann zu erhöhen. Dem muss das Parlament noch zustimmen.
"Mit dem sieben Jahre andauernden Krieg in Afghanistan wurde keines der vorgeblichen Ziele erreicht", heißt es im Aufruf zu den Demonstrationen. "Im Gegenteil: Gewalt, Terror und Drogenhandel prägen den Alltag. In den meisten Regionen Afghanistans herrschen Warlords und Drogenbarone. Die Bevölkerung lebt in ständiger Angst und unter unwürdigen sozialen Bedingungen. Menschenrechte werden weiterhin mit Füßen getreten. Die Alphabetisierungsrate ist seit dem Einmarsch gesunken. Täglich sterben in Afghanistan 600 Kinder unter fünf Jahren. Alle 29 Minuten stirbt eine Frau bei der Geburt ihres Kindes. Die durchschnittliche Lebenserwartung ging zurück."
Deutschlands Beteiligung "an diesem grausamen Krieg" sei nicht akzeptabel, so der Aufruf weiter. Die "Besatzung", die gegenwärtige "massive Kriegführung" sowie die vorgesehene Verstärkung der US-Armee und der Bundeswehr drohten den Krieg zu verlängern und das Land weiter zu destabilisieren. Deutschland würde noch enger in die Kriegführungsstrategie der NATO und damit der USA verstrickt. "Diese zielt ab auf die Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens und Zentralasiens zur Durchsetzung machtpolitischer und wirtschaftlicher Interessen", kritisiert die Friedensbewegung.
Schließlich der Appell an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages: Wir fordern, keiner Verlängerung oder Erweiterung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan zuzustimmen. "Hören Sie auf den Friedenswillen der Bürgerinnen und Bürger weiter zu missachten."
Der Abzug der Bundeswehr würde die USA und andere Kriegsparteien nach Auffassung der Friedensbewegung "unter Druck setzen, ihre Truppen ebenfalls abzuziehen. Dadurch erhielte der Frieden eine echte Chance."
Zu den Demonstrationen werden über 10.000 Teilnehmer erwartet. In Berlin soll die Demonstration um 12.00 Uhr am Brandenburger Tor beginnen. Nach einem Zug durch Mitte ist eine Abschlusskundgebung am Gendarmenmarkt geplant. Sprechen werden unter anderem die amerikanische Friedensaktivistin Medea Benjamin und die Tochter von Che Guevara, Aleda Guevara. Der Protestzug in Stuttgart fängt um 12.00 Uhr in der Lautschlagerstraße an und soll am Schlossplatz enden.
Am 15-09-2008
"Kein Weiter so"
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) warb im Bundestag nachdrücklich für eine Verlängerung des 2002 gestarteten Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. "Ein gegebenes Wort, das muss gelten", sagte Steinmeier am Dienstag (7. Oktober) in der ersten Beratung des Parlaments über das neue Bundeswehr-Mandat. Auch sollte nicht vergessen werden: Jeder Kilometer neue Straße und jedes Krankenhaus sei "ein kleines Stück mehr Menschlichkeit". Das neue Bundeswehr-Mandat für die Beteiligung an der Internationale "Schutztruppe" für Afghanistan (ISAF), das vom Kabinett am Dienstagvormittag beschlossen wurde, sieht eine Aufstockung der Truppenstärke um 1000 Mann auf 4500 Soldaten vor. Sie sollen helfen, die für Herbst 2009 geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abzusichern. Die Kosten für die 14-monatige Verlängerung werden auf 688 Millionen Euro veranschlagt. Der Bundesausschuss Friedensratschlag kritisierte, die Bundesregierung wolle noch mehr Krieg.
Steinmeier appellierte an die Kritiker, "redlich" zu bleiben. Die Bundesregierung überprüfe jedes Jahr das deutsche Engagement und richte daraufhin die Mission neu aus. Mit der Verlagerung des Schwerpunktes auf mehr Ausbildung von Armee und Polizei sei die Verlängerung des ISAF-Einsatzes eben kein "Weiter so".
Steinmeier: Gemeinsame Ziele für Afghanistan
Im Übrigen wäre ein Abzug deutscher Truppen nicht nur eine Verletzung der Solidarität unter den NATO-Partnern, sondern auch die Aufgabe der gemeinsamen Ziele für Afghanistan.
Erneut sprach sich Steinmeier gegen einen weiteren Einsatz deutscher KSK-Elitesoldaten in Afghanistan im Rahmen der Anti-Terror-Mission "Operation Enduring Freedom" (OEF) aus. Dieser Einsatz sei "entbehrlich geworden".
Andererseits sollte Deutschland aber Ja sagen zu der geplanten NATO-Mission, AWACS-Aufklärungsflugzeuge an den Hindukusch zu schicken. Dafür werde es ein neues Mandat geben, über das der Bundestag dann zu befinden habe.
Strutynski: Für Merkel und Jung ist Afghanistan noch das Exerzierfeld zur Bewährung der NATODer Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Peter Strutynski, sagte, während die öffentliche Debatte und die Meinung von Experten immer mehr dazu neigten, "den Afghanistankrieg zu beenden und die Besatzung lieber heute als morgen abzuziehen, favorisiert die Bundesregierung weiterhin die militärische Lösung, den Krieg". Die Auffassung von Hardlinern aus den USA, Großbritannien und Frankreich, wonach sich das Schicksal der NATO am Hindukusch entscheide, werde mittlerweile auch von Verteidigungsminister Jung und von Bundeskanzlerin Merkel vertreten. "Mit anderen Worten: Afghanistan ist für sie nur noch das Exerzierfeld, auf dem sich die NATO zu bewähren hat", so Strutynski. Allen Warnungen zum Trotz weite die Bundesregierung aber auch das Mandat für Teile der Bundeswehr auf ganz Afghanistan aus. Dies gelte etwa für die deutschen Fernmeldeeinheiten, für die deutschen Lufttransport-Kapazitäten und für den Bereich der so genannten Operativen Information.
Im Antrag der Bundesregierung heißt es dazu: "Darüber hinaus können im gesamten Verantwortungsbereich von ISAF die Aufklärungsflugzeuge vom Typ TORNADO RECCE eingesetzt werden sowie deutsche Beiträge zur Führung und Durchführung von Informations- und Fernmeldeeinsätzen, zum ISAF-Lufttransport, einschließlich taktischem Verwundetentransport (AIRMEDEVAC) geleistet werden." Diese Einheiten sollen - ähnlich wie das bei den Tornados bereits der Fall ist - nicht nur in Nordafghanistan, sondern auch im Süden und Südosten des Landes eingesetzt werden. "Damit steigt die Gefahr für Leib und Leben der Soldaten", so Strutynski. "Und damit wiederum verstärkt sich der 'Zwang', künftig weitere Kampftruppen an den Hindukusch zu entsenden." Strutynski moniert auch, die jährlichen Kriegsausgaben würden um gut 30 Prozent erhöht.
Wie wenig die Bundesregierung vom eigentlichen Souverän, der Bevölkerung, halte, dokumentiere sie im Übrigen mit der Verlängerung der Laufzeit des Mandats von 12 auf 14 Monate. "Der Afghanistankrieg soll aus dem Bundestagswahlkampf 2009 herausgehalten werden, lautet die offizielle Begründung", so Strutynski. "Was für ein pervertiertes Demokratieverständnis! In der wichtigsten Frage überhaupt, der nach Krieg oder Frieden, hat das Volk gefälligst das Maul zu halten."
Die Friedensbewegung will den Kriegsbefürwortern einen Strich durch die Rechnung machen, so Strutynski. "Das Thema Afghanistan wird von ihr zu einem zentralen Thema ihrer Öffentlichkeitsarbeit im Bundestagswahlkampf gemacht." Alle Umfragen der letzten Jahre zeigten eine konstante und eindeutige Mehrheit der Bevölkerung gegen die deutsche Kriegsbeteiligung und für den Abzug der Bundeswehr. "Das muss sich endlich auch in der Zusammensetzung des Bundestags widerspiegeln."
Am 07-10-2008
Jeder Vierte hält Anschläge auf NATO für gerechtfertigt
Die von den USA angeführten ausländischen Besatzungstruppen stoßen in Afghanistan einer aktuellen Umfrage zufolge auf wachsende Ablehnung und Hass. Die internationalen Truppen werden immer weniger als Verbündete im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind und immer stärker als Teil der Misere wahrgenommen. Das ist das Ergebnis einer Studie im Auftrag der Fernsehsender WDR/ARD, ABC und BBC, die am Montag in Köln veröffentlicht wurde. Demnach drängt erstmals eine knappe Mehrheit der Afghanen (51 Prozent) auf einen schnellen Abzug der USA und der NATO. In manchen Provinzen hält mehr als die Hälfte der Bevölkerung Anschläge auf US- und NATO-Soldaten für gerechtfertigt. Auch Deutschlands Ansehen ist von 70 auf 61 Prozent zurückgegangen und liegt nur noch knapp über dem des Iran. Am deutlichsten ist der Sympathie-Einbruch der USA: von in der islamischen Welt beispiellosen 83 Prozent im November 2005 auf nur noch 47 Prozent.
Gut sieben Jahre nach dem gewaltsamen Sturz der Taliban durch die US-Truppen hat die Mehrheit der Afghanen die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft vorerst offenbar aufgegeben. Nur noch eine Minderheit von 40 Prozent meint, dass sich ihr Land in die richtige Richtung bewegt. Vor gut drei Jahren waren es mit 77 Prozent noch fast doppelt so viele.
Die Sender WDR/ARD, ABC und BBC lassen die Stimmung in Afghanistan regelmäßig vom "Afghan Institute for Social and Public Opinion Research" untersuchen. Für die jüngste Studie wurden 1534 Afghanen in allen 34 Provinzen befragt.
Nach sieben Jahren Krieg stellen die Afghanen besonders den US- und NATO-Truppen ein vernichtendes Zeugnis aus: Nur noch jeder Dritte bescheinigt ihnen eine positive Leistung - vor drei Jahren waren es noch mehr als doppelt so viele.
Noch drastischer fällt das Bild in den Kriegsprovinzen aus: Im Südwesten fällt nur noch jeder Fünfte ein positives Urteil über die US- und NATO-Truppen. Der Trend jedenfalls ist eindeutig: Der Westen hat den Kampf um die Herzen und Köpfe der Afghanen verloren.
Nur ein Drittel der Bevölkerung glaubt noch an den Sieg über die Taliban. Inzwischen befürworten zwei von drei Afghanen Verhandlungen mit den Taliban und deren Beteiligung an der politischen Macht.
Ohne die Hoffnung auf einen militärischen Erfolg über die Taliban sehen sich die Afghanen zunehmend als Opfer zwischen den Fronten. In Kriegsprovinzen wie Helmand oder Kandahar berichtet inzwischen nahezu jeder der Befragten auch über zivile Opfer von US-Angriffen in der Umgebung. So einig sich die Afghanen in der Ablehnung von Luftangriffen sind, so unterschiedlich beurteilen sie die Schuld an den zivilen Opfern: 41 Prozent sehen die Verantwortung ausschließlich bei den ausländischen Militärs, 28 Prozent sehen die Schuld bei den "Kämpfern", die unter den Zivilisten Schutz suchen, und ebenso viele sehen beide Seiten gleichermaßen in der Schuld.
In jedem Fall aber werden die ausländischen Truppen immer weniger als Verbündete im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind und immer stärker als Teil der Misere wahrgenommen. Entsprechend drängt erstmals eine knappe Mehrheit der Afghanen auf einen schnellen Abzug von USA und NATO - im Südwesten sind es 71 Prozent. Dort will nur noch jeder Vierte die Truppen solange im Lande halten, bis die Sicherheit wiederhergestellt ist. Entsprechend findet sich in Kriegsprovinzen wie Kandahar und Helmand kaum jemand, der eine Aufstockung der Truppen befürwortet. Eine explosive Stimmung: Denn die Verdoppelung der US-Truppen um weitere 30.000 Soldaten ist derzeit das einzig konkrete Element der neuen Strategie von US-Präsident Obama.
Die Ablehnung gegenüber den US- und NATO-Truppen ist schon jetzt so stark, dass in manchen Provinzen inzwischen mehr als die Hälfte der Bevölkerung Anschläge auf US- und NATO-Soldaten für gerechtfertigt hält, landesweit ist es jeder Vierte.
Am 09-02-2009
Luftangriffe
Der von den USA begonnene Krieg in Afghanistan hat im vergangenen Jahr mehr als 2000 Zivilisten das Leben gekostet, mehr als je zuvor seit dem Sturz der Taliban. Das teilte die UN-Mission in Afghanistan (Unama) am Dienstag (17. Februar) mit. Die Zahl der zivilen Opfer sei 2008 gegenüber 2007 um fast 40 Prozent auf 2118 gestiegen. 55 Prozent der getöteten Zivilisten seien von den Aufständischen getötet worden, 39 Prozent von afghanischen oder internationalen Truppen, insbesondere bei Luftangriffen. Die restlichen sechs Prozent der Toten seien keiner Seite eindeutig zuzuordnen gewesen; da sie beispielsweise im Kreuzfeuer umgekommen seien.
Mehr als 40 Prozent der zivilen Opfer seien im umkämpften Süden des Landes registriert worden, gefolgt vom Südosten (20 Prozent) und Osten (13 Prozent).
Der Norden, das Haupteinsatzgebiet der Bundeswehr, wurde in dem Jahresbericht zum wegen der vergleichsweise geringeren Zahl der zivilen Opfer nicht gesondert aufgeführt. Im Bericht heißt es jedoch, dass der Krieg sich auf den Norden ausdehne.
Die Zahl der getöteten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen habe sich binnen Jahresfrist verdoppelt. 38 Helfer seien getötet und 147 weitere entführt worden. Die Arbeit von Hilfsorganisationen werde immer schwieriger. Weite Teile des Landes würden als „extrem riskante, feindliche Umgebung“ für Hilfsoperationen eingestuft.
Afghanische Regierung will einige private "Sicherheitsfirmen" schließen - Lizenz für Blackwater (Xe)
Unterdessen will die afghanische Regierung dem Wildwuchs privater "Sicherheitsdienste" ein Ende bereiten. Innerhalb der kommenden zwei Monate sollen 30 Firmen geschlossen werden. "Wir haben ihnen per Brief mitgeteilt, dass Sie ihre Waffen abgeben müssen", sagte der für Sicherheitsdienste zuständige Leiter der Antiterroreinheit der Polizei, Abdul Manan Farahi, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Ob auch ausländische Unternehmen davon betroffen sind, ließ er ebenso offen wie der Sprecher des Innenministeriums.
Gleichzeitig sollen aber 39 Firmen erstmals eine einjährige Lizenz erhalten. Dazu gehört auch das amerikanische Unternehmen Blackwater, das vor zwei Wochen seine Zulassung im Irak verlor. Mitarbeiter der inzwischen in Xe umbenannten Firma stehen vor Gericht, weil sie in Bagdad grundlos 17 Zivilisten erschossen haben sollen. In Afghanistan trainiert das Unternehmen im Auftrag der amerikanischen Regierung die afghanische Polizei und schützt Personal der Botschaft in Kabul.
Ein Gesetzentwurf für private Sicherheitsdienste liegt bereits seit mehr als einem Jahr vor, ist jedoch noch nicht vom Parlament verabschiedet worden. Als einer der Gründe für die Verzögerung gilt, dass viele Abgeordnete und Regierungsmitglieder selbst Sicherheitsdienste betreiben und daher keine Regulierung wollen.
Am 18-02-2009
"Obamas Vietnam"
Vor knapp zwei Wochen versprachen US-Vizepräsident Joe Biden und der einflussreiche US-Sicherheitsberater James Jones auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine neue Strategie für Afghanistan. Die Rede war von einer Verstärkung der zivilen Hilfe, da es einen rein militärischen Sieg nicht geben könne. Demokratische Kongressabgeordnete beklagen inzwischen lautstark, dass die Fortsetzung des Krieges in Afghanistan ohne Strategiewechsel in einem Schlamassel ("quagmire") enden müsse. Das Magazin "Newsweek" warnt gar in einer Titelgeschichte vor "Obama's Vietnam". Trotz dieser Bedenken will US-Präsident Barack Obama in den kommenden Monaten bis zu 17.000 zusätzliche Soldaten in den Krieg nach Afghanistan schicken - und das, obwohl schon 38.000 US-Soldaten im Land sind. US-Verteidigungsminister Robert Gates verlangt bei der Tagung der Verteidigungsminister der NATO-Länder in Krakau von den Verbündeten, auch sie müssten ihre Truppen aufstocken, um damit beispielsweise die Präsidentschaftswahlen im August abzusichern. Die deutsche Bundesregierung erklärte sich schon dazu bereit, bis zu 600 weitere Bundeswehr-Soldaten in den Krieg zu schicken. Offiziellen Angaben zufolge sind bisher schon 3400 deutsche Soldaten in Afghanistan.
In München redete der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) noch ganz anders: "Der militärische Ansatz ist ausreichend. Wir brauchen den zivilen Wiederaufbau und die Ausbildung der afghanischen Streitkräfte." Von einer Erhöhung des Bundeswehrkontingents war keine Rede.
Nach Auffassung von Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag "gehört wenig Phantasie zu der Vorhersage, dass der Afghanistankrieg noch härter und brutaler geführt wird als bisher. Anstatt den zivilen Aufbau voranzutreiben, flüchtet die NATO in immer mehr Krieg." Leidtragende seien die Bewohner des seit vielen Jahren von "Besatzung, Krieg und Bürgerkrieg" geplagten Landes.
Einer UN-Studie zufolge fielen dem Krieg im vergangenen Jahr mehr Zivilpersonen zum Opfer als in allen Kriegsjahren zuvor. Neueste Umfragen in Afghanistan bestätigen die wachsende Unzufriedenheit mit den Besatzungstruppen, die man lieber heute als morgen aus dem Land abziehen sehen möchte.
In den USA wächst der Widerstand gegen die Afghanistanpolitik der Obama-Administration. Die dortige Friedensbewegung ("Troops Out Now Coalition ") ruft für den 21. März zu einem landesweiten Marsch auf das Pentagon auf und fordert den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. Auch die deutsche Friedensbewegung verurteilt die vorgesehene Ausweitung des Krieges.
NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer verstärkt hingegen gemeinsam mit Obama den Druck auf die Europäer in der NATO: "Ich mache mir ehrlich gesagt Sorgen: wenn ich höre, dass die USA ihren Einsatz deutlich aufstocken wollen, während andere jetzt schon sagen, dass sie nicht mehr leisten können - das ist nicht gut für den Einsatz."
Strutynski findet die Strategie des NATO-Generalsekretärs fatal: "Wenn sich nach NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer die Zukunft der NATO tatsächlich in Afghanistan entscheidet, dann könnte man sich getrost zurücklehnen und der Niederlage am Hindukusch und dem kläglichen Ende der NATO entgegen sehen", so Strutynski. "Der Preis, den die Menschen in Afghanistan und die NATO-Soldaten dabei zahlen müssten, ist uns aber zu hoch. Besser wäre es daher für alle Beteiligten, wenn die Besatzungstruppen abgezogen würden und wenn sich die welthistorisch längst erledigte NATO selbst auflösen würde."
Am 19-02-2009
"Den Krieg in Afghanistan mitfinanzieren"
Die Abrüstungsexpertin der Links-Fraktion im Deutschen Bundestag, Inge Höger, erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung: "Unter dem Deckmantel der Konjunkturkrisenbekämpfung beschleunigt die Bundesregierung die Aufrüstung der Bundeswehr weiter. Wer den Kauf von Panzern und Kampfdrohnen als Konjunkturprogramm ausgibt, der betreibt damit massiven Etikettenschwindel", so Höger zu den Plänen der Bundesregierung, im Rahmen des Konjunkturprogramms II militärische Beschaffungsprogramme zu finanzieren. Von den 500 Millionen Euro aus dem Konjunkturprogramm II, die die Bundeswehr erhalten wird, sollen den Angaben zufolge "zu einem großen Teil" Waffen gekauft werden.
"Wir sprechen hier nicht nur von 1.000 Maschinenpistolen, sondern von der Anschaffung von schwerem Kriegsgerät", kritisiert Höger. "Dazu gehören neben 37 gepanzerten und großteils bewaffneten Tanklastzügen auch 34 gepanzerte Dingo 2-Fahrzeuge mit Gefechtsturm, 10 Fennek-Panzerfahrzeuge und ein Panzermörser Wiesel 2." Das gehe aus der Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor (Bundestags-Drucksache 16/11845).
Darüber hinaus sollen für 22 Millionen Euro schwere Kampfdrohnen eingekauft werden. "So findet eine verdeckte Erhöhung des Militäretats statt", moniert Höger. "Diese Beschaffungen unterliegen keinerlei demokratischer Kontrolle."
Das Konjunkturpaket solle so offensichtlich auch den Krieg in Afghanistan mit finanzieren, "denn vor allem die gepanzerten Fahrzeuge zeichnen sich dadurch aus, dass sie schnell, wendig und vor allem luftverladbar sind", sagte die Abrüstungsexpertin.
Höger: Anstelle eines Arbeitsplatzes in der Rüstungsindustrie ließen sich vier bis fünf bessere Arbeitsplätze schaffen
Von Aufrüstung profitierten allerdings nur wenige, während viele andere den Preis dafür bezahlen müssten. "Aufrüstung ist ein Sicherheitsrisiko und zugleich ein denkbar schlechtes Konjunkturprogramm", so Höger. Mit den Summen, die ein Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie koste, ließen sich vier bis fünf im Gesundheits- oder Bildungsbereich schaffen.
"Wir brauchen Investitionen in eine zivile Zukunft", fordert sie. "Weitere Aufrüstung löst keine Probleme, sondern verschärft die bestehenden."
Am 24-02-2009