Er konnte sich gegen die massiven externen und internen Widerstände nicht durchsetzen. Seine Mahnungen zur Regulierung der internationalen Finanzwelt stießen damals auf eine breite Abwehr-Front derer, die nach Auffassung der Medien etwas von Wirtschaft verstehen. Im Interview mit dem WDR 5 zog der heutige Links-Fraktionschef Lafontaine angesichts der aktuellen Welt-Finanzkrise am 18. März eine Verbindung zwischen den Jahren 1998/99 und 2008. Er bleibt bei seiner Auffassung von vor zehn Jahren, dass der Kapitalverkehr der realen Wirtschaft und nicht einem "Weltcasino" von Spekulanten zugute kommen sollte.
Lafontaine sieht zwei politische Entscheidungen als entscheidend dafür an, dass die Finanzmärkte seines Erachtens "chaotisch" sind. Zum einen: "Vor 25 Jahren hat man die Welt neu geordnet, man hatte den Kapitalverkehr freigegeben. Das heißt, es war möglich und ist möglich, Milliardenbeträge über die Grenzen der Länder zu transferieren, ohne dass das irgendwie gemeldet wird oder irgendwie auch kontrolliert wird", so Lafontaine in WDR 5.
Zum anderen: Man hat die Wechselkurse freigegeben. "Das heißt, das sehen Sie ja jetzt bei Euro und Dollar, dass eben die Währungsverhältnisse sich von Tag zu Tag sehr stark verändern. Und diese beiden Veränderungen führten dazu, dass aus der Realwirtschaft der Welt, also aus einer Wirtschaft, die aus Handel und Investitionen bestand, eine Spekulationswirtschaft wurde. Denn jetzt haben die Leute ihr Geld nicht mehr dazu eingesetzt, um etwa Handel zu treiben, Waren auszutauschen oder um Produktionen aufzubauen, Hallen zu kaufen, Grundstücke und Fabriken aufzubauen, sondern sie spekulierten darauf, ob vielleicht dort eben irgendein Preis nach oben gehen würde oder an einem anderen Teil der Welt irgendeine Währung nach oben oder unten gehen würde", kritisiert der ehemalige Finanzminister.
Vor über 20 Jahren hätte über 90 Prozent des Geldes, das um den Erdball kreiste, der Wirtschaft gedient, also dem Handel von Waren und den Investitionen und nur rund fünf Prozent der Spekulation. "Heute ist das umgekehrt", so Lafontaine. "Wir haben also ein reines Weltcasino, in dem nur spekuliert wird."
Heute sei "nicht auszuschließen, dass wir eine Weltwirtschaftskrise haben". Das Ausmaß der Krise könne fast niemand richtig einschätzen. Man versuche zunächst, die Banken zu retten. "Das kennen wir aus der Bundesrepublik", so Lafontaine. "Wir haben hier die IKB, das ist eine Privatbank, wo die Aufsichtsratsvorsitzenden die Präsidenten des BDI sind oder die Beiratsvorsitzenden, also diejenigen, die immer normalerweise sagen, sie verstünden etwas von Wirtschaft, diese IKB hat also unverantwortliche Geschäfte betrieben und ist jetzt in einer Größenordnung von über sechs Milliarden – weil Sie vorhin von Milliarden gesprochen haben – gesichert worden." Ähnliches mache man in Großbritannien. "Da hat man schlicht eine Bank mal verstaatlicht", so Lafontaine. In den USA habe die staatliche Notenbank Pate bei der "Rettung" gestanden. Des weiteren versuche die US-Notenbank Fed, die Misere durch Zinssenkungen in den Griff zu bekommen. "Aber nach offizieller Lesart, man muss sich ja nur die Kommentare rund um die Welt anschauen, weiß niemand genau, ob das ausreichen wird."
Lafontaine fordert nach wie vor klare staatliche Rahmenbedingungen für die Weltfinanzmärkte: "Vor fast zehn Jahren war ich Bundesfinanzminister und habe eine Regulierung der Weltfinanzmärkte gefordert", sagte er im Interview mit WDR 5 und erinnert sich: "Das war damals, wenn man so will, eine Todsünde, weil mehr oder weniger alle über mich her fielen und sagten, das sei also eine völlig antiquierte und nicht zeitgemäße Betrachtungsweise. Es gab dann massive Angriffe auf meine Person. Schon damals war klar, dass man eben einen Kapitalverkehr nicht völlig frei um die Welt sich entwickeln lassen kann, schon damals war klar, dass man die wüste Spekulation der Wechselkurse eindämmen müsste und insbesondere wäre es damals noch möglich gewesen, teilweise Produkte eben gar nicht erst zuzulassen, die einfach zu große Risiken in sich bergen."
Den derzeitigen Ankündigungen des amerikanischen Finanzministers einer neuen Finanzordnung traut Lafontaine nicht so Recht. Man müsse "darauf hinweisen, dass in der Regel sowohl die britische Regierung als auch die amerikanische Regierung von der jeweiligen Finanzindustrie gesteuert werden", so Lafontaine. "Dies war auch schon vor zehn Jahren so. Das heißt, die Vorschläge, die die Fachwelt gemacht hat, um die Finanzmärkte zu regulieren, sind mehr oder weniger durch Druck der Finanzindustrie auf die amerikanische Regierung und auf die britische Regierung unmöglich gemacht worden. Ich fürchte, das ist immer noch so. Also ich weiß nicht, ob die Probleme groß genug sein werden, als dass den hehren Worten, die jetzt gerade hier lese in den Zeitungen, irgendeine Tat folgt."